In unserer kleinen Blase des Schulalltags, dominiert von den nächsten Tests, Arbeiten und Abgaben, wachsen wir zu wahren Meistern der Verdrängung heran – und so musste ich mir vor einigen Tagen plötzlich die beunruhigende Frage stellen:“War das jetzt wirklich 2017?“

Mein Kopf denkt schon lange primär in Turni und sekundär in Schuljahren, viel mehr gibt es eigentlich nicht. Kalenderjahre werden dadurch wie durch Zauberhand zu beeindruckend irritierenden Zeiteinheiten. Wisst ihr noch, damals, als man Despacito einfach nicht losgeworden ist? Ach, ja, damals, die Sommerferien nach der 10. Klasse…warte, das war 2017?

Kurz vor und an Silvester wird das Netz, das gesamte Fernsehen und jedes Magazin regelmäßig von Jahresrückblicken geschwemmt. Da findet sich alles: Humoristisch-satirisch, teils mit deppressivem Touch, ebenso wie von Klatsch und Tratsch geprägten Aufzählungen berühmter Hochzeiten und zu Tränen rührenden Nachrufen, in einer Reihe mit bitter ernsten Dystopien. Und 2017 hat nun einiges geboten, eine der großen Leistungen von Trump, lang verschwiegenem Sexismus und Christian Lindner.

Und so lehnt man sich als LGHler zurück, legt den Kopf in den Nacken und fragt sich: Was war da eigentlich am LGH los? Reißt man sich von den Schubladen der Stufen los, ergießt sich eine bunte Mischung farbenfroher Erinnerungen, die ein in jedem Fall beeindruckendes Jahr illustrieren.

Noch das letzte Schuljahr war primär von seinen ganz eigenen Katastrophen geprägt. Da brauchten wir Trump nicht einmal, die WG-Schachner-Party hinterließ ganz alleine einen interessanten Nachgeschmack. Bis heute hat sie zahlreiche Fragen hinterlassen, ist es mir noch immer nicht ganz klar, welch‘ magische Lautstärke es benötigt, um Herrn Sauer nicht vor 4 Uhr, aber trotzdem dann doch aufzuwecken. Ein beeindruckendes Jahr, ganz ohne Zweifel, haben wir doch unseren Alkohol-Status danach durch weitere Besuche im Krankenhaus, wahrhaft ungeschickte Kletterpartien und kreative Erschließung neuer Lagerflächen für alkoholische Güter ausgebaut. Ein halbes Jahr voller Enthüllungen von sicherlich nicht gänzlich neuen Zuständen, und doch blickt man darauf zurück mit einem ähnlichen Gefühl wie auf Trumps Wahl – man hätte es erwarten können, es kam nicht aus dem nichts, und es hat dennoch alle erschüttert.

Während man dem kleinen Jungen jedoch weder das Bräunungsmittel noch sein Handy aus den kurzen Fingern genommen hat, scheint das LGH gelernt zu haben. Die WG-Schachner hat eine neue Beschäftigung gefunden, diesmal mit, auf Kosten der WG-Deusch, insgesamt durchaus positivem Effekt für die Schulgemeinschaft. Und auch wenn der Alkohol kaum mehr als gewandert sein dürfte, es scheint ruhiger geworden zu sein – ob gelernt oder verdrängt ist wohl eine der Fragen, die wir uns im kommenden Jahr stellen werden müssen.

Wir wollen nicht schwarzmalen, das Jahr war gar nicht so schlecht – schließlich hat sich im Angesicht der dösenden deutschen Demokratie die Schülerschaft geregt und regelrechte Auswahl bei der Schülersprecherwahl geschaffen. Spätestens Martin Schulz hat dann das Wunder von Würselen vollbracht, ganze 2 ³/4 Tage war das LGH erfüllt von Diskussion und dem Neid auf die seltene Kombination aus Motivation und Druckertinte. Doch auch diese ist wieder erloschen, ebenso plötzlich wie sie kam. Denn die vorangegangene Flaute war nicht ohne Grund: Noch immer stehen wir knietief in Misstrauen, dass sich mit roher Gewalt einen Weg zwischen Schülern und Lehrern wie Schulleitung gebahnt hat. Zu melo-dramatisch? Gut, bleiben wir auf dem Boden – das Verhältnis von Schweigen und Flüstern zu konstruktiver Kritik bleibt verbesserungswürdig, durchaus von beiden Seiten.

Greifen wir also zum elementaren Indikator dieses Jahres, der Entwicklung der berühmt-berüchtigten Reden unseres Schulleiters. Da haben wir es doch glatt geschafft, von der sagenumwobenen Krönchen-Rede, jener, die uns alle an unserem schwächsten Punkt getroffen hat: kindlich-naiv-satirischen Postkartensprüchen!, hin zu einem wahrhaften Kompliment an die Schulgemeinschaft. Deuschland, wir gratulieren zur ersten offiziellen Erwähnung des Staatsnamens!

Aber Herr Sauer hat mit der Gemeinschaft etwas angesprochen, das auch mir schließlich vor Augen bleibt. 2017, das war am LGH eine Kombination aus mehreren mittleren Katastrophen, unzählbaren, unvergesslichen, peinlichen bis grandiosen Begegnungen – und vor allem ganz und gar beeindruckend, aufgrund von, ohne sich selbst loben zu wollen, uns. Erst in meinem zweiten, noch immer leicht an Frischfleisch erinnerndem Jahr wird mir bewusst, welche Metamorphosen das LGH Jahr um Jahr durchlebt. Während Schüler und Lehrer teils endlich, teils viel zu schnell wechseln, entdeckt es sich Jahr für Jahr neu. Und wir? Wir haben die letzten 12er verloren, eine ganze Gruppe neuer Schüler und Lehrer hinzugewonnen, und wer weiß – wer weiß, wer wir noch werden. Bis jetzt jedenfalls ein neuer, wahnsinniger Haufen, der noch von 2017 einiges erzählen kann, und vielleicht ja auch lernen.

Lernen, wie verdammt schief das laufen kann, wenn plötzlich kollektiv gestraft werden muss. Wie schnell diese Feuermelder doch anspringen. Wie unangenehm und peinlich Standpauken an Vollversammlungen für beide Parteien sind. Und wie schön Rosen um die Gläser am Frühlingsball aussehen. Wie viel Wahl man haben kann – und wie wenig, wenn nur Quantität auftritt, qualitativ jedoch kein Unterschied erkennbar ist. Wie viel Geschirr am Pasta-Abend entsteht.

Und vielleicht bleibe ich nicht die einzige, die sich erinnert, wie verrückt und wunderschön es eigentlich ist, wenn ein  Sprachenfanatiker, ein neuer Fan von Herrn Oganian, ein unermüdlicher Debattierer, ein überzeugter Altsprachen-Lehrer und ein zwischen erläutern und erklären differenzierender GK-Lehrer über den gleichen dummen Einhorn-Witz lachen. Denn manchmal, da sind wir wirklich so offen und tolerant und respektvoll, wie wir das immer wollen.

Wollen wir also einen Strich unter dieses Jahr schreiben? Aufsummieren, was alles gut war, abziehen, was nicht, und ein Ergebnis berechnen? Das könnte nicht einmal die gesammelte Mathematik-Fachschaft. War das Jahr nun gut oder schlecht, wird es besser oder sinkt die Qualität der Schulabende doch ab, machen wir uns nichts vor, diese Quanten haben sich noch nicht entschieden. Wir werden kämpfen müssen, für Veränderung und für Erhalt, gegen die Stille und für unser aller Stimmen, aber dafür brauchen wir doch weder ein schlechtes Ohmen, um uns anzutreiben, noch eine rosige Prognose, um uns abzusichern. Wir sind alles, was es dazu braucht – und die Einzigen, die es in der Hand haben. Zumindest für mich reicht das, dass ich eines weiß: Es kommt wieder ein Sonntag, an dem ich meine Kleidung in den Schrank auf kreative Art etwas in Richtung falte. Es kommt wieder ein Mittwoch, an dem ich mit meinem GM über Gott und die Welt reden kann. Ich werde wieder an den Enten vorbeilaufen werde, wie sie friedlich über den Hof watscheln. Und irgendwann sitze ich auch wieder auf dem Balkon der WG, blicke auf den Campus, wie ihn die Sonne ein letztes Mal streift – und das reicht. Reicht, um dafür etwas zu riskieren. Sogar, um ein paar Wochen lang die dumme 7 in eine 8 umzumalen.

 

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