„Denkt an eure glücklichste Erinnerung!“ Ach herrje, die glücklichste Erinnerung…als hätte man einfach eine Suchfunktion und jede Erinnerung wäre mit passenden Hashtags versehen. Glückliche, die lassen sich finden, aber die glücklichste? Eins ist klar, der Dementor hätte mich bekommen… „Was macht euch wirklich glücklich?“ – mit einem Mal sind alle Schwierigkeiten weggewischt, weggetragen auf einer Welle. Schallwelle. Was mich glücklich macht? Da kann ich gleich eine ganze Playlist liefern – die klingt wie Glück.

Es scheint beinahe ironisch: Der Physik-Fan, Kunstliebhaber, Musik-Abwähler – und doch bringt nichts meine eben doch nicht ganz so stabile Gefühlslage so einfach in den freien Fall wie ein bisschen Musik. Ich bin dabei nicht besonders wählerisch – ich höre Klassik so verzückt wie Jazz, meine persönlichen Playlists durchwandern in einer Stunde nicht nur Rock, Electro und Metal, sondern schrecken auch vorm Broadway oder Deutsch Rap nicht zurück.

Dabei ist das Phänomen keineswegs so trivial, wie es einem erscheint: Man könnte meinen, man betätige einen Schalter, als knipse man die Sonne an in den Köpfen der Menschen. Aber das hier ist kein mit Darwin begründbarer Reflex, die warmen Sonnenstunden auszukosten und mit ein paar Endorphinen diesen menschlichen Körper auf Hochtouren zu bringen. Das ist mehr oder weniger wildes Gewackel der Luft um uns herum, das den Hormonhaushalt übernimmt. Gruselig, wenn man so darüber nachdenkt…

Und bis heute nicht ganz nachvollziehbar. Die Macht der Musik wird allerdings kaum angezweifelt: Lange war das Bild der ihr Baby mit Mozart beschallenden Eltern das Klischee des Optimierungsdrangs von Eltern. Klassische Musik sollte das Kind intelligenter machen – immer wieder erstaunlich, wie die Klassik zum Non Plus Ultra erhoben wird. Stellt sich die Frage, womit man den kleinen Mozart wohl hätte beschallen wollen, schließlich sollte seine Wiener Klassik noch folgen und wäre wohl zunächst als neumodischer Quatsch abgetan worden.

Aber wir wollen nicht zu hart urteilen: Die Klassik-Beschränkung hat sich als schlichter Irrtum entpuppt, doch der Einfluss der Musik ist unbestritten geblieben. Denn auch wenn das Baby nicht zwischen sinnendem Nicken zur Zauberflöte und Headbanging zu Arch Enemy differenziert, zeichnen sich in Studien doch Auswirkungen auf das Gehirn ab, die langfristig mit Kommunikations- und Gedächtnisfähigkeiten in Verbindung gesetzt werden können.

Macht uns Musik also klüger? Na ja, nicht ganz – aber auch bei Erwachsenen und solchen, die es bald sein werden, hat Musik eine besondere Stellung. Sie scheint ein verdichtetes Gedicht zu sein, Poesie auf der Schnellstraße, die den Umweg über das Bewusstsein links liegen lässt. Tatsächlich greift Musik tiefer als die in gewisser Weise kontrolliertere Form der Schwingungen, die Sprache. Während die bewusst verarbeitet wird, wirkt Musik bis zum Hirnstamm und wird dennoch von nahezu allen Bereichen unseres Gehirns aufgegriffen.

Zur rudimentären Verarbeitung hinsichtlich Gefahren oder Anzeichen eines ungefährlichen Plätzchens kommt mit der Musik jedoch auch ein anderer Effekt, der in den meisten Ausprägungen Überraschungen bereit hält: Assoziationen. Wer schon einmal eine Assoziationskette durchgespielt hat, hat eins gelernt: Das Hirn verknüpft eine ganze Menge, und es hat dabei keinen Sinn für offensichtliche Kausalität. Über verschlungene Pfade aus Steinen kleiner, lange übersehener Erinnerungen bahnt sich ein Begriff zum nächsten, doch während wir sprachlich tappen, scheint Musik über diese Pfade zu schweben.

Vom Wind in den wirbelnden Haaren am Strand von Dänemark zur sensorischen Überwältigung beim letzten Weihnachtsball braucht es hier nur ein paar wechselnde Akkorde, die einen zuerst Enya, dann Macklemore hören lassen. Weshalb das menschliche Gehirn eine solche Vorliebe für Wellen unseres Umgebungsmediums entwickelt hat, bleibt dabei noch rätselhaft. Wir nutzen diese Macht voll aus, ob nun in Form von Filmmusik oder in beginnenden Studien zu medizinischen Therapien – doch die Sinnhaftigkeit scheint uns in der Dichte verborgen zu bleiben ebenso wie den meisten die tiefe Bedeutung expressionistischer Dichtung unergründlich bleibt – mich eingeschlossen.

Und so bleibt meine Hand vor dem Schalter meiner Boxen kurz in der Luft hängen. Will ich das? Will ich meinen Zustand ein paar Schlägen von Molekülen gegen mein Trommelfell überlassen? Wir haben eine unglaubliche Vorliebe, Sachverhalte runter-zu-rationalisieren, bis sie einem so abstrus erscheinen, dass man sie verneinen möchte. Doch dann dürfen wir den Rest nicht vergessen: Dann ist die Trauer oder Freude, die wir empfinden, schlussendlich auch nichts Anderes als ein kleiner Hormon-Cocktail, den unser Gehirn gerade mehr oder minder willkürlich über uns ausgeleert hat.

Über all das haben wir nur eine Illusion von Kontrolle. Doch in meiner Playlist sind ein paar Knöpfe integriert. Sie werden Probleme nicht lösen, Sehnsucht nicht stillen, Einsamkeit nicht ändern. Aber sie können Kraft geben, sie können etwas zeigen, das wir allzu oft nicht mehr finden in der Flut an Hormonen: Wie es seien kann. Was man fühlen kann. Und wenn wir es manchmal vergessen, wie das ist, dann bleibt doch immer eine Melodie, ein Rythmus – ein Lied, das klingt wie Glück.

 

Neugierig geworden? Hier mal ein paar Recherche-Startpunkte:

Breidenich, Markus: „Tonforscher“; in: Frankfurter Allgemeine, 18.05.2004; http://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/musik-und-wissenschaft-tonforscher-1159647.html

Drösser, Christoph: „Der Gänsehaut-Effekt“; in: Zeit Online, 26.08.2010; https://www.zeit.de/2010/35/Musik-Wissenschaft

Schapira, Jan: „Musik in der Kindheit ist eine gute Altersvorsorge“; in: Welt, 30.03.2014; https://www.welt.de/gesundheit/article126364738/Musik-in-der-Kindheit-ist-eine-gute-Altersvorsorge.html

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