Vom Fensterbrett aus wirkt alles plötzlich ein kleines bisschen kleiner – Probleme liegen im Schulranzen in gutem Sicherheitsabstand, geliebt-gehasste Menschen bewegen sich in kleineren Varianten weit unter einem, und von hier oben scheint man sogar nahezu eine Welt jenseits des Campus zu erkennen. Mit einer Tasse Tee, direkt über der vielleicht sogar wirklich funktionierenden Heizung, kann der Blick am Ende des Turnus ein wenig weiter schweifen –  ein wenig weiter betrachten, was im Alltag untergeht.

Die Wände in unserem Zimmer sind dank den Fotoautomaten im dm seit Beginn des Jahres zu guten 40% mit Fotopapier bedeckt, Erinnerungen und Eindrücke aus aller Welt und allen unschmeichelhaften Blickwinkeln. Doch gut acht weitere Prozent werden von einer besonderen Kategorie von Dekoration bedeckt: Spruch-Karten. Unser Zimmer liegt damit weit unter dem Durchschnitt: Die bunten Karten leuchten einem aus fast jedem Zimmer in allen Variationen zu, in WGs von Frau Biesinger kann man ihnen schlicht nicht entkommen.

Hier lassen sich einige Großgruppen kategorisieren: Die ersten gehören der klassischen Zelebration der Jugend a la Partytime!! an. Ihre Texte überraschen meist nur bedingt und feiern in Glitzer-Optik eher ihr Comeback ins Analoge aus der digitalen Welt. Von „Hoch die Hände, Wochenende“ bis zu „Sie haben da eine Lücke im Lebenslauf – Ja, war geil“ sind sie im Großen und Ganzen alle bekannt und lassen sich auch als Neuinterpretation der Generation Z von YOLO begreifen.

Bei weitem interessanter ist da die Kategorie der betont ehrlichen Sozialkritiker. Unserer Generation gingen Generationen von sowohl Leistungsfanatikern als auch Flower-Power-Rangern voraus – und mit beiden haben die Designs ihre rege Freude.

„Der frühe Vogel kann mich mal!“ wirft einem hier in roten Lettern eine Karte entgegen – daran kann wohl auch der süße kleine Comic-Vogel daneben nichts mehr ändern. Man scheint entschlossen, sich der Perfektion nicht länger zu beugen. Kein Wunder, denkt man einen Moment darüber nach: Die Träume der letzten Generation sind vor unseren Augen in sehr weite Ferne zusammengeklappt. Wir haben keine Hooverboards, machen eigenhändig unseren Führerschein und sehen die Staatenbünde vor sich hin bröckeln.

Die hoffentlich letzten, die einen Atomkrieg fürchten müssen, die mit unter anderen ersten, die den Klimawandel nicht einfach ignorieren können – kommt uns bitte nicht mit „Alles ist möglich!“, wir haben das Scheitern des American Dream oft genug analysiert. „Ich fühle mich, als könnte ich Bäume ausreißen“ – ne, Gras, Gras geht. Willkommen in der Realität.

Doch auch gegenüber sozialer Interaktion scheint die Generation Z auf einen Boden der Tatsachen geknallt zu sein: „Lächel, du kannst sie nicht alle töten.“ fasst diese Attitüde ganz treffend: Es geht hier nicht um den Ausbruch der Anarchie in allgemeinen Regeln der Höflichkeit, sondern vielmehr um Akzeptanz ihrer Imperfektion. Social Anxiety ist schon lange nichts mehr, dass man dem einen Outsider in der letzten Reihe zuschreibt – es ist vielmehr die schon lange benötigte Anerkennung der Tatsache, dass sich niemand in diesem System aus sprachlichen Chiffren und subtextualen Aufforderungen einfach zurechtfindet und dieser Druck schwerer lasten kann, als man es sich vielleicht eingestehen mag.

Wer sich jetzt in seinem Bild der respektlosen Jugend bestätigt sieht, der soll es sich damit aber mal nicht zu gemütlich machen: Wir sind die Generation, die They/Them akzeptiert und Body Positivity auch gegen übergebliebene Miss-Wahlen zum Schlagwort macht. Diese Generation von Karten-Sammlern versucht nicht, Höflichkeit abzulegen, sondern sie nur etwas leichter auf den Schultern lasten zu lassen. „Memo an mich: Lächeln, Umdrehen, Augen Verdrehen. Nicht anders herum.“

Eine Sektion allerdings überrascht und fasziniert mich bei weitem öfter als die anderen – und scheint mir ausdrucksstark wie wenige Trends. Einhörner. Nein, ernsthaft – Einhörner, und Prinzessinnen, und Schaukeln. Die Karten der Kategorie 3 sind nicht nur die schlicht schönsten mit einer Variation von Vintage-Zeichnungen und Kekse-Essenden-Disney-Einhörnern.

Sie alle sind eine Ode an das Kind in uns: Wir werden Prinzessin; Wir sind wir selbst, außer, wir können Einhörner sein; Uns reichts, wir gehen jetzt schaukeln; In einer Generation, in der uns das G8-Konzept noch früher von der Schule schickt und man dank Maybeline & Co 14 und 24 nur noch schwer differenzieren kann, scheint man den Wert von ein wenig Sorgenlosigkeit erst richtig wieder entdeckt zu haben. Und dabei kann man mit einem „Mir doch egal, wie alt ich bin – ich will ein Einhorn“-Schild auch bei Ü30 für viel Freude sorgen.

Und wenn man seiner Mutter zum Muttertag eine glitzernde Krönchen-Karte schenkt, dann wirkt es alles gar nicht so einzigartig und revolutionär – nur rebellisch ehrlich. Denn wir sind nicht die ersten, die ihre Freude an einem kleinen Hauselefanten, der immer hüpft und trötet, wenn man nach Hause kommt, hätten. Aber vielleicht haben wir erst durch die blitzartige Liebe des Netzes für Baby-Katzen erkannt, dass wir nicht nur nicht die ersten, sondern damit vor allem nicht allein auf der Welt sind.

Also her damit – her mit den Karten, den Sprüchen, den Einhörnern. Denn das ist ja das herrlich ironische an den tausendfachen Kopien einer „Stay weird“-Karte, unsere Gemeinsamkeit liegt in dem Gefühl der Ausgeschlossenheit aus einem System voller mit letztem Stolz erhobener Köpfe und beruhigender Versicherungen, das sei doch nichts. Da ist etwas. Da ist Angst, Angst vorm Erwachsen Werden, vorm Erwachsen Sein, vorm Versagen und Allein Sein. Aber wenn wir erst einmal alle eine Karte darüber an unsere Tür hängen, dann können wir vielleicht zumindest die Angst vor den anderen von der Liste streichen.

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