… So fühlte sich der liebliche Duft des Trimesterputzes an. Damals, als er noch nicht Mal ein Jahr die Vorzüge des…

Wohnens hier im Universitätspark 21 genossen hatte, auf dem Gelände des Landesgymnasiums für Hochbegabte mit Internat und Kompetenzzentrum. Direkt unter den WGs wohnte er, und das war doch oftmals sehr anstrengend … und unseriös. Gertrude hatte es geliebt. Gertrude hatte es geliebt, wie jeden Morgen die verschlafenen Gestalten in Jogginghose und Kapuzenpulli an seinem Schlafzimmerfenster vorbeischlichen, wie sie dann mittags lauthals schreiend, singend und grölend wieder zurück in ihre Home Base zogen und ab da eigentlich permanent die Stockwerke von Lärm durchschallt wurden. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit war es besonders schlimm, denn aus irgendeinem Grund besaßen die Gören im Zimmer über ihm eine unglaubliche Vorliebe für das schnulzige „All I want for Christmas“… All what he wanted for Christmas war eine Ende von all dem Kitsch, und natürlich Gertrude zurück, aber letzteres war mittlerweile ein Wunsch ähnlich dem eines jungen Mädchens, dass seit Jahren unten auf den Wunschzettel schrieb „ich will ein Pferd“.

Auch jetzt tönten Schreie aus dem oberen Stockwerk herunter, dann lautes Gelächter. Richtig, es war Freitag Abend und somit Zeit für alle Klapseninsassen, sich zu versammeln und Gemeinschaftszeit miteinander zu verbringen. „Deckenlama„, rief eine Stimme, prompt kam die Erwiderung: „Bretthack.“ Dann Gelächter, minutenlang. Wenn die erstmal erwachsen wurden, was sollte das denn für eine Verantwortungselite werden…

Tutanchamun seufzte und betrachtete nachdenklich die kleine rote Figur aus Billig-Schokolade vor sich auf dem Tisch, die heute morgen vor seiner Tür gestanden hatte. Nikolaus war heute, anscheinend. „Und du, was hältst du von dem ganzen Schwachsinn?“, fragte er den bärtigen Genossen. Dieser schwieg. „Vermutlich findest du das auch nicht so cool, immer vor Weihnachten auf Masse produziert zu werden, dann in Masse verkauft zu werden und dann zu Körpermasse zu werden. Und du kannst dich nicht einmal drüber beschweren…“ Redete er jetzt ernsthaft mit einem Schokoladennikolaus? Anscheinend ja, konstatierte er. Generell konnte er reden, mit wem oder was er wollte, und auch sagen, was er wollte – ihm hörte ja sowieso keiner zu. „Neutralreiniger„, sagte er laut. „Seelachs. Musculus sternocleidomastoideus. Konstitutiver Parlamentsvorbehalt.“ Er war immer lauter geworden, das letzte schrie er fast. Kurz war es ruhig. „Dein Leben ist ein konstitutiver Parlamentsvorbehalt“, kam dann die Antwort von oben, dann wieder Gelächter.

Sein Leben, ein konstitutiver Parlamentsvorbehalt? Genauso fühlte es sich manchmal an, als ob ein imaginäres Parlament stets Einspruch erheben würde bei jeder Entscheidung. Und er, das Pöbel, das die Entscheidungen betrafen, konnte lediglich zusehen und jammern. Er war fremdgesteuert. Das musste sich ändern.

Abrupt stand er auf und schob seinen Stuhl nach hinten. Dann griff er sich seine Jacke, steckte seinen Geldbeutel, seinen Schlüssel und eine Deutschlandkarte ein. Hatte er noch irgendetwas Wichtiges vergessen? Nein, beschloss er, packte dennoch auch noch den Schokonikolaus in seine Tasche und verließ dann das Haus.



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