–  How many roads must a teenager go down before you can call him/her a volunteer? https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5c/1977_Hitchhiker-Luxemburg-1977.jpg?uselang=de

Ein Erfahrungsbericht

 

von Lea Frauenknecht

Meine Maxime für die Zeit nach dem Abitur? Erstmal ein Jahr lang was Freiwilliges machen und auf keinen Fall sofort studieren!

Bereits in der sechsten Klasse hatte ich mir vorgenommen, nach der Schule etwas Anderes zu machen, ein Jahr lang, und nicht gleich mit dem Studium anzufangen. Damals entwickelte ich ein sehr ausgeprägtes Interesse an Israel und der jüdischen Kultur und plante, mein sogenanntes gap year in einem Kibbuz zu verbringen. Als die politische und sicherheitstechnische Lage in Israel sich in den darauffolgenden Jahren wieder zunehmend anspannte, beschloss ich, vielleicht doch lieber nach Südamerika zu gehen oder alternativ dazu in einem us-amerikanischen Nationalpark in einer einsamen Hütte zu sitzen, Bärenbestände zu erfassen und unachtsame Touristen anzumeckern. Als meine Familie mich schließlich bat, aus Sicherheitsgründen doch lieber in Europa zu bleiben und ich mich mit meinem Freund auf das ungefähre Ziel „Skandinavien“ geeinigt hatte, konnte es losgehen.

 

Nachdem ich diverse Möglichkeiten, ins Ausland zu gelangen, durchforstet hatte und schließlich beschloss, mich im Rahmen eines European Voluntary Service für ein Jahr in einer sozialen Einrichtung in Skandinavien zu bewerben, schrieb ich vor einem knappen Jahr an meine zukünftige Entsendeorganisation in Deutschland, die sich daraufhin dazu bereiterklärte, mich bei meiner Suche zu unterstützen und mich auf das Auslandsjahr vorzubereiten. Die letzten Wochen der Sommerferien verbrachte ich damit, die Database der Projekte zu durchstöbern, meinen Lebenslauf in Englisch umzuschreiben und einseitige Motivationsschreiben, die auf jede Stelle angepasst waren, zu verfassen. Den Arbeitsaufwand hierfür kann ich nicht genau beziffern, ich schätze ihn aber auf ungefähr 50 Stunden.

 

Kurz danach erfasste mich zum ersten Mal die ungute Ahnung, dass es nicht so einfach sein würde, wie ich mir das nach 50 Stunden Vorbereitung vorgestellt hatte: Manche Stellen sagten, sie würden zur Zeit keine Freiwilligen mehr aufnehmen; manche nahmen – entgegen dem, was in der Database vermerkt war – nur Bewerber von bestimmten Organisationen; manche meinten, ich sei zu früh dran und solle die Dokumente später schicken. Viele verzichteten ganze auf irgendeine Art von kommunikativer Regung. Wirkliche Absagen habe ich für an die 25 Bewerbungen nur zwei Stück bekommen. Nachdem ich nach dem schriftlichen Abitur immer noch keine Ahnung hatte, was ich wo nächstes Jahr machen würde, beschloss ich, mir einen Plan B zu suchen: Einigermaßen lustlos beschloss ich, mich für ein FSJ Kultur in Deutschland zu bewerben, kurz vor Bewerbungsschluss. Der Arbeitsaufwand hierfür war erfreulich gering und etwa zwei Stunden, die ich damit verbrachte, Fragen auf der Plattform des FSJ Kultur im Netz zu beantworten, standen nun den 50 Arbeitsstunden für den Europäischen Freiwilligendienst gegenüber. Etwa eine Woche später durfte ich den Stellen in den Bundesländern, in denen ich mich beworben hatte, Prioritäten zuordnen. Wieder zwei Wochen später wurde veröffentlicht, bei welchen Stellen ich Bewerbungsgespräche haben würde, darunter namhafte Institutionen wie das Grips-Theater in Berlin oder die Semperoper in Dresden.

 

Ab diesem Moment beschloss ich, dass es vielleicht doch lohnenswerter sein könnte, in Deutschland in Theatern, Opern und anderen Kultureinrichtungen zu arbeiten, als in Schweden alten Leuten den ganzen Tag Babybrei zu füttern oder kleinen Kindergartenkindern in Island auf der Toilette den Po abzuwischen. Das klingt jetzt vielleicht herablassend und arrogant, weil diese Sachen ja auch gemacht werden müssen. Fakt ist trotzdem, dass es durchaus attraktiver – weil anspruchsvoller- ist, im kulturellen Sektor zu arbeiten. Im Mai bin ich nun quer durch Deutschland zu verschiedenen Bewerbungsgesprächen gefahren und geflogen, zwei Mal nach Berlin, ein Mal nach Lübeck, ein Mal nach Kiel. Mindestens drei weitere Gespräche wären noch auf mich zugekommen, aber es kam anders.

Gerade sitze ich im ICE von Dresden nach Kassel, auf der Rückfahrt nach Schwäbisch Gmünd. Gestern Abend bekam ich eine E-Mail aus Kiel: Meine favorisierte Stelle schickte mir eine Zusage. Und das erste Mal seit knapp einem Jahr verspüre ich nun eine unheimliche Erleichterung, ausgelöst durch die eintreffende Gewissheit über das kommende Jahr. Jetzt muss ich nur noch eine WG finden und ab in den Norden.

 

Ich will mit diesem Erfahrungsbericht niemandem davon abraten, ein freiwilliges Jahr zu machen, bevor das Studium losgeht. Das hat, meiner Meinung nach, fast nur Vorteile: Man sammelt erste praktische Berufserfahrungen; kann sich fachlich orientieren; sich Zeit geben, das richtige Studium zu finden und etwas tun, für das man später im Leben nie mehr die Zeit und nie mehr die Kapazitäten haben wird. Aber ich will mit dem, was ich hier schreibe, zeigen, dass es unter Umständen nicht einfach ist, als potentieller Freiwilliger einen Platz zu finden, auch, wenn die Bezahlung gering und die Arbeit oft sehr anstrengend ist.

Mit dem FSJ im Ausland, also zum Beispiel einem European Voluntary Service, kann es auch besser laufen, als das bei mir der Fall war. Mein Freund geht nächstes Jahr nach Finnland und arbeitet in einer kleinen Behindertenwerkstatt in der Nähe von Helsinki. Aber es gehört auch Glück dazu und das Gefühl, in vielen Fällen seine Bewerbungen quasi ins Nichts zu schicken.

Das Prozedere des FSJ Kultur, des FSJ Schule und des FSJ Politik ist auf jeden Fall transparenter und geordneter. Neben den vielen namhaften Institutionen, die Stellen anbieten, ist hier allerdings ein Problem, dass man lediglich 300 Euro Taschengeld im Monat bekommt, während beim European Voluntary Service Kost, Logis sowie ein etwa halb so hohes Taschengeld gestellt werden. Man kann allerdings Wohngeld beantragen, dass je nach Wohnort zwischen etwa 200 und 350 Euro im Monat liegt. Dadurch, dass man zu jedem Bewerbungsgespräch hinfahren muss, sieht man im Bewerbungsverfahren zum FSJ Kultur, FSJ Schule oder FSJ Politik unter Umständen sehr viel von Deutschland und kann sich ein besseres Bild von seiner potentiellen Einsatzstelle machen– das kann aber auch sehr anstrengend sein und macht sich zeitlich sowie finanziell durchaus bemerkbar. Und auch hier ist ein Platz nicht garantiert, vor allem nicht an solch recht begehrten Orten wie Berlin, wo dieses Jahr auf 140 Plätze im FSJ Kultur mehr als 1.400 Bewerbungen kamen.

 

Also, liebe zukünftige Abiturienten und nach-dem-Abitur-eine-Stelle-als-Freiwillige(r)-Suchende: Wer wirklich ein soziales/politisches/kulturelles freiwilliges Jahr machen will, der kriegt auch eins, aber im Zweifelsfall eben nicht ohne erheblichen Aufwand und Umwege über zunächst weniger attraktiv scheinende Alternativpläne. Auf die Frage: „How many roads must a teenager go down before you can call him/her a volunteer?“ gilt trotzdem immer noch, frei nach dem guten alten Bob Dylan: „The answer, my friend, is blowing in the wind…“

Bild: Wikimedia Commons, Roger McLassus

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