Wenn man bis vor kurzem durch die Konstanzer Innenstadt bummelte, ragten hier und da mehrere rosafarben verhüllte Gestalten und Formen aus Brunnen und Plätzen hervor. Diese neuartig bekleideten Kunstwerke wurden im Rahmen der KUNSTSTOFF-Aktion, deren Ende und finale Enthüllungszeremonie ich bei meinem BOGY-Praktikum beim Kulturamt Konstanz mitbekommen habe, warm und witterungsbeständig in glitzernde Gespinste eingepackt. Insgesamt 13 Kunstwerke im öffentlichen Raum (Statuen, Brunnen und eine Verkehrssäule) zierte und verdeckte das knallpinke Gewebe – ironischerweise, um ihnen mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Erstmal: eine sehr interessante Idee. Die Aktion regt zum Nachdenken an. Wer bestimmt überhaupt, welche im öffentlichen Raum herumstehenden Werken unter- oder überbewertet ist? Ist das da nicht eigentlich ein verhüllter Mülleimer? Kann man das auch anderswo machen, an anderen Orten voll von Kunst, die wenig bis gar nicht gewürdigt wird?
Wie zum Beispiel wäre es, wenn man im Louvre alle Kunstwerke außer der Mona Lisa verhüllen würde? Würden Touristenmassen dennoch täglich den Boden vor der holden Halblächelnden platttreten? Würden die Verhüllten mit mehr als einem Schulterzucken und einem Aufschrei von ein paar bayrischen Anti-Verhüllungs-Politikern gewürdigt werden? Wäre es in diesem Kontext nicht sogar effektiver, wenn man doch nur die Mona Lisa verhüllt und alle damit zwingt, sich auch mal das anzusehen, was daneben, dahinter und darunter hängt? Wie könnte man sonst die Aufmerksamkeit auf unbeachtete Kunst lenken?
Mir kommen zu dieser Frage einige Ideen in den Kopf – unter anderem ein Kunstraub, bei dem ein unbekannteres Werk aus dem direkten Umfeld der Mona Lisa verschwindet. Es wäre weg und die Aufregung darum riesig (Warum haben sie nicht die echte überbewertete Briefmarke mitgenommen, wenn sie die Chance hatten? Wer hätte bitte nicht gerne ihre rätselhafte Miene irgendwo im Haus auf sich herunterstarren? Und was für ein Teil haben die da bitteschön mitgenommen?). Illegal, aber effektiv. Leider funktioniert das nur für ein einzelnes Stück und wahrscheinlich nicht besonders oft.
Im größeren Stil könnte diese Aktion des Nicht-genügend-gewürdigte-Objekte-in-den-Blick-Ziehens übrigens auch für Weltwunder und Wahrzeichen gelten, obwohl die gebrauchte Stoffmenge für eine mögliche Verhüllung des Eiffelturms schon wieder ökologisch kritisch wäre. Aber den kennt man ja sowieso überall, und hier geht es um die kleineren Dinge, die uns beim Lesen dieses Satzes eben nicht in den Kopf kommen, die kleine Statue von nebenan und das freundliche Nachbarschaftsgemälde.
Irgendwo hat die ganze Angelegenheit, sei sie noch so lustig, hinter den im Sonnenlicht glimmernden und schließlich im Regen zu mattem Silber verblichenen Stoffbahnen dann doch auch düstere Assoziationen hervorgerufen – die Tatsache, dass wir Dinge, Kunst und im Endeffekt Menschen erst sehen, wenn wir sie eben nicht mehr sehen. Der Gedanke, dass so viele Künstler und Musiker erst nach ihrem Tod erfolgreich wurden, dass ein toter Schöpfer den Wert eines Kunstwerkes unermesslich steigert, ist mindestens auf der unangenehmen Seite der Bedeutungen des Sprichwortes „Willst du gelten, mach dich selten“.
Wie gesagt, eine durchaus tiefgründige Aktion. Kunst ist etwas, das meiner Meinung nach eigentlich mehr Menschen zugänglich sein sollte, auch wenn diese Verschiebung in das öffentliche Blickfeld durch eher aufdringliche, funkelnde „Hier bin Ich!“-Maßnahmen geschieht. Doch dieser Gedanke sei mal in den Raum gestellt: Sollte ich morgen früh mit einer pinken Riesensocke über den Kopf gestülpt in den Klassenraum treten, ist mir die Aufmerksamkeit aller sicher.
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