Das neue Jahr am LGH bringt so viele neue Erscheinungen mit sich, dass man auf einmal überrascht ist, wenn alte Probleme wieder vor einem stehen. Ich spreche nicht nur von verspäteten Zügen und Schlafmangel, sondern besonders von jener viel zu vertrauten Figur, die ich über die langen Sommerferien zum Abschied winkend in schmelzenden Fruchteisbechern ertränkt habe und die nun plötzlich Schokoladensoße tropfend wieder aufgetaucht ist – die dunkle Gestalt der Deadlines. Pünktlich zum Schuljahresanfang streckt sie den Kopf durch die Tür und wabert in ihr feines Gewand aus Tests, Referaten und Arbeiten gehüllt drohend am Horizont. Ihr fades Flüstern von unerledigten Aufgaben durchdringt die Luft zu jeder Uhrzeit und bildet die konstante Hintergrundmusik meines Lebens am LGH.
Als Antwort darauf gibt es kaum ein Verb, dessen Ausführung ich im Deutschen so sehr liebe wie „prokrastinieren“, was so viel bedeutet wie: Das Flüstern ignorieren und sich vor der Arbeit drücken. Blaumachen, Faulenzen, Bummeln, sich der Muße hingeben. Vor dem Hausaufgabenmachen erst mal nachschauen, was es auf Netflix neues gibt. Zum Kühlschrank gehen. Urplötzlich bemerken, was für interessante Formen die Staubkörner auf meiner Schreibtischablage annehmen und sie durch halbstündiges Anstarren mit glasigem Blick würdigen. Mit dem Schreibtischstuhl durch die gesamte WG rutschen. Noch mal zum Kühlschrank gehen, um sicherzustellen, das darin doch nichts anderes meinen Namen trägt als vor fünf Minuten. Zu Norma, um diese traurige Tatsache zu ändern.
Jede, so ziemlich jede Aktivität der eigentlichen Arbeit vorziehen, bis man am Abend vor dem Abgabetermin vor drei großen Fragen steht – wie soll ich das jetzt noch schaffen, warum muss ich immer alles bis zur letzten Minute aufschieben und – wo kriege ich um 11 Uhr abends noch genug Koffein her, um das Ganze durchzustehen?
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