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Heute: Gary Shteyngart – Kleiner Versager

„Im Jahr 1996 lasen die Menschen noch Bücher, und der legendäre Strand Bookstore konnte sich noch eine Filiale im Financial District leisten. Will sagen, man traute damals Börsenmaklern, Sekräterinnen, Regierungsbeamten – jedem – eine Art Seelenleben zu.“ (S.7)

In „Kleiner Versager“ , der literaturgewordenen Autobiographie des New Yorker Autors Gary Shteyngart (Super Sad True Love Story), wird noch oft von Seelenleben die Rede sein. Für Memoiren nicht unüblich natürlich in erster Linie von dem des Autors selbst, der mit nonchalantem Narzissmus für die vergangenen 40 Jahre seines Lebens 472 Seiten ansetzt. So erfahren wir viel über russische Großmütter und deren selbstvergessene Liebe zu ihren Enkeln und auch über Big Blue, die Gemeinschaftsbong der Studenten-WG, die zu so etwas wie einem Leitmotiv im Leben des russischstämmigen Autors avanciert.

Zwischen all diesen unterhaltsam egozentrischen Archivfunden eines asthmatischen Immigrantenjungen passiert etwas Außergewöhnliches. Nach spätestens 200 Seiten, inzwischen wollte man das Buch bereits mehrere Male zurück ins Regal stellen, ersteht neben, hinter und zwischen der omnipräsenten Autorenfigur Raum für eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Thematik des Fremden im Spannungsfeld des american dream. Hier spielt das Buch, durch die kompositorisch versierte Feder des Autors ermöglicht, seinen Gegenwartsbezug aus. Wer vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise eine wirklich authentische Auseinandersetzung mit der Alterität und dem Fremden im Eigenen oder auch dem Eigenen im Fremden sucht, dem sei „Kleiner Versager“ wärmstens an Herz gelegt.

Der zuverlässig gewitzte Sound des Buches trägt locker über die volle Distanz aus 40 Jahren Shteyngart. Nebensätze und Auslassungen aber lassen uns neben dem wahnwitzigen Treiben des failurtschka (so der liebevolle englisch-russische Kosename des Protagonisten)  die überindividuelle Dimension eines tagesaktuellen Themas erfahren.

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