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"Und wenn es gar nichts geworden ist, dann sag, es sei ein Essay."

Protest und Verheißung – von der Freiheit des Aufbegehrens

von Cosima Friedleman-159155_1280

„Es mag Zeiten geben, in welchen wir machtlos sind, Ungerechtigkeit zu verhindern, doch es darf nie eine Zeit geben, in welcher wir nicht protestieren.“ Mit diesen Worten ruft Elie Wiesel, Überlebender des Holocausts, die Menschen zum Protest auf. Doch wieso sollten wir Menschen protestieren, angesichts der häufig drohenden Konsequenzen? Und vielmehr noch stellt sich die Frage: Weshalb tun wir es dennoch so oft? Welche Verheißung verleitet uns dazu, aufzubegehren und für unsere Rechte zu kämpfen?

Wirft man einen Blick auf die historische Vergangenheit verschiedener Länder, so entsteht der Eindruck, wir Menschen wären zum Aufbegehren geboren. Kein Jahr vergeht ohne dass in irgendeinem, meist von Unruhen und Bürgerkriegen geplagten, Land Menschen auf die Barrikaden gehen, gegen Politik und Regimes aufbegehren und für ihre Rechte und Freiheiten kämpfen. Doch genauso häufig wie Reportagen über Demonstrationen und Proteste sind in den Medien Katastrophenberichte über Polizeieinsätze bei friedlichen Protestmärschen sowie über getötete Freiheitskämpfer zu lesen. Die Ursache hierfür liegt in der Tatsache, dass in einigen Ländern die Freiheit des Aufbegehrens nicht gewährleistet ist. Gesetze, welche in Deutschland absolute Grundrechte sind, wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit oder das Recht auf Demonstrationsfreiheit, sind in anderen Ländern teilweise gar nicht vorhanden, und wenn doch, so werden sie häufig mit Füßen getreten. Doch trotz der drohenden Konsequenzen zieht es jährlich Millionen Menschen auf die Straße, um für einen Regierungswechsel, mehr Rechte oder auch nur gegen eine zweite Startbahn zu kämpfen. Es stellt sich die Frage, was ist das in uns, was uns dazu bringt, aufzubegehren, zu demonstrieren, nicht jede Ungerechtigkeit oder Rechtswidrigkeit protestlos hinzunehmen?

Die Tradition des Aufbegehrens reicht weit in die Geschichte zurück. So fanden bereits im 15. Jahrhundert in ganz Europa Bauernaufstände statt, in welchen sich die Bauern und teilweise auch Bürger gegen den Adel erhoben. Forderungen waren Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Die Motivation der Aufbegehrenden ist hier also klar erkennbar: Sie kämpften für mehr Rechte, lehnten sich gegen den sie unterdrückenden Adel auf und hofften somit auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Doch kann diese Verheißung über die unmenschlichen, drohenden Konsequenzen hinwegtrösten? Die fürchterlichen Reaktionen der Herren reichten von Verpflichtung zu Schadensersatz über Abgabe der Waffen bis hin zu Hinrichtungen, und auch bereits während des Bürgerkrieges verloren Tausende ihr Leben. Lohnt es sich bei diesen Aussichten überhaupt, auf die Straße zu gehen und für seine Rechte zu kämpfen? Wieso siegt hier nicht der rationale Geist, der die Ausgangslage mit dem möglichen Ausgang eines Protests vergleichen würde, über den aufbegehrungswütigen Widerstandsgeist? Die Antwort ist einfach: die Unzufriedenheit ist größer als die Furcht vor möglichen Konsequenzen, die Wut über die Zustände größer als die Vernunft, und die Hoffnung auf Erfolg stärker als das Ohnmachtsgefühl gegenüber der Regierenden. Wenn die Menschen keinen anderen Weg mehr sehen, ihre Meinung durchzusetzen, dann gehen sie an die Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen Proteste, so beispielsweise Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg im 20. Jahrhundert, Proteste gegen den drohenden Irakkrieg 2003 oder die Montagsdemonstrationen in Dresden in der DDR, logische Folgen eines übermächtig gewordenen Unzufriedenheitsgefühl in der Bevölkerung.

So stellt sich vielmehr die Frage, was Menschen daran hindert, auf die Straße zu gehen und für ihre Rechte zu kämpfen oder für ihre Meinung einzustehen? Immer wieder lassen sich in einem Land schwerwiegende Missstände feststellen, welche jedoch mit nur geringem oder gar keinem Widerstand kommentiert werden, so beispielsweise die Repressionen in China 2011. Aus welchem Grund stellen sich Menschen lieber negativen Situationen, als dagegen aufzubegehren und sich zu wehren? Psychologischen Forschungen zufolge kann eine Ursache für Widerstandslosigkeit äußere Bedrohung oder Kritik des Systems sein, in welchem die Betroffenen leben. Aus Loyalitätsgründen verspüren sie eher den Drang dazu, das jeweilige System zu befürworten, als selbst auch Kritik und Widerstand zu üben. Auch eine gewisse Abhängigkeit von dem System oder die scheinbar unmögliche Flucht daraus lähmen Menschen und machen sie widerstandslos. Der vermutlich größte Protesthemmer ist jedoch die Angst der Menschen. Selbst in Deutschland kommt es auch heute noch immer zu gewaltsamen Polizeieinsätzen auf friedlichen Demonstrationen, beispielhaft hierfür der Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray am 30.09. 2010 im Stuttgarter Schlossgarten, bekannt geworden als der „Schwarze Donnerstag“. Mit dem Einsatz gewaltsamer Mittel und sogar einigen Festnahmen beendete die Polizei eine Demonstration gegen den Baubeginn von „Stuttgart 21“. Solche Schlagzeilen verängstigen die Bevölkerung, verringern den Willen zum Widerstand. Es zeigt sich also, dass die Freiheit des Aufbegehrens nicht immer gewährleistet ist. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Freiheit des Aufbegehrens nicht vielmehr eine Pflicht als ein Recht ist? Sind wir als Bürgerinnen und Bürger, als Bevölkerung einer Stadt, eines Landes nicht dazu verpflichtet, aufzubegehren? Sind wir wirklich frei in der Freiheit des Aufbegehrens? Oder ist es nicht unsere unbedingte Pflicht, zu protestieren, gegen unterdrückende Regierungen uns aufzulehnen, für Frieden und Gerechtigkeit zu kämpfen? Was wäre, gäbe es niemanden mehr, der aufbegehrte, protestierte? Wären wir dann nicht verloren, schutzlos und machtlos ausgeliefert der Macht aller über uns Herrschenden? Lassen wir uns verängstigen, zu sehr von der Angst und den rationalen Überlegungen leiten, dann erstickt der Funke Widerstandsgeist, der in uns allen schlummert, irgendwann völlig. Doch das soll nicht das Ziel sein, vielmehr sollte die Freiheit des Aufbegehrens von jenen, die sie haben, genutzt werden, um sie auch denen zu ermöglichen, welche sie noch nicht besitzen. In der Geschichte hat sich gezeigt, dass Aufbegehrende häufig mutige, unerschrockene Einzelkämpfer sind, welche diese Freiheit für sich nutzen. Etwas zu erreichen war für jene Aufbegehrenden sehr schwer, da sie mit ihrem Wunsch nach Protest oft alleine standen. Doch tun dies mehrere Menschen, so kann, entgegen aller Zweifel, auch tatsächlich etwas bewegt werde. In jedem Fall aber ist das Protestieren, das nicht reflexionslose Annehmen einer Regierung für eine Bevölkerung nicht nur ein Recht, sondern seine wichtigste Pflicht.

Diese unabdingbare Pflicht des Aufbegehrens spricht auch Elie Wiesel in seinem Zitat an. Er räumt zwar ein, dass durch Protest das Gewünschte nicht immer erreicht werden kann, dass der Kampf gegen Ungerechtigkeit manchmal zwecklos ist. Aber dennoch dürfen wir nicht aufhören, uns aufzulehnen und zu protestieren, müssen den in uns schlummernden Funken Widerstandsgeist nähren, bis er wächst und zu einem Feuer des Protests wird.

Bild: CCO Public Domain

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 27. March 2015
Kategorie: "Und wenn es gar nichts geworden ist, dann sag, es sei ein Essay."

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