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Ohrenschmalz – Gott erhalt’s !

Ein Kommentar

von Lea Frauenknechtgrammofon

Atemlos fand ich mich am Morgen über die Stuttgarter Zeitung gebeugt, als mir das Müsli fast im Halse stecken blieb:„Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle…?“ murmelte ich, nachdem ich eine grausame Randnotiz lesen musste, sie trug den wunderbaren Titel: „Junge Union fordert Schlagerquote“. Der Chef der Jungen Union in Mecklenburg-Vorpommern, Franz-Robert Liskow, hat doch tatsächlich eine Schlagerquote gefordert, weil, so zitierte ihn die Stuttgarter Zeitung, der Schlager durch Helene Fischer „ein frisches Image“ bekommen hätte! Der hat doch ein Knall(rotes Gummiboot)! Natürlich waren die Farbenspiel-Konzerte ausverkauft und natürlich trafen dort alle Generationen aufeinander, bei denen innerlich Marmor, Stein und Eisen bricht, wenn das Schlagersternchen vor Kitsch triefende Texte mit tausendmal berührt(en) Dreiklängen mischt. Aber wer meint, es sei wirklich im allgemeinen Interesse der Jugend, mehr Schlager zu hören, ignoriert, ganz Jenseits von Eden, zwei knallharte Fakten.

Erstens: Wer, außer vielleicht der Schöne fremde Mann namens Franz-Robert Liskow, hört bitte noch regelmäßig Radio, in Zeiten von Spotify, YouTube und Itunes? Richtig – das Radio von Heute ist, zumindest für unsere Generation, gewissermaßen ein Zug ins Nirgendwo. Zweitens: Wer den Schlager als neuen Hit unter Jugendlichen anpreist, verleugnet die unsere Gesellschaft immer weiter prägende Individualisierung. Wer heute in ein Altersheim geht, kann sich darauf verlassen, eine Generation vorzufinden, in der selbst schwer demente Rentner noch Ein ehrenwertes Haus und Ein Bett im Kornfeld auswendig mitträllern können. Wenn wir, denn, Du kannst nicht immer siebzehn sein, einmal im Altersheim sitzen werden, wird niemand mehr gemeinsam Schlager singen.

Und ich sage: Zum Glück! Müsste man sich dann permanent mit Griechischem Wein betrinken, um den Schlagerersatz, egal ob Dubstep, Black Metal, Psychedelic Rock oder Indie-Pop, zu ertragen? Die Vielfalt der verschiedenen Musikstile, die mittlerweile unüberschaubar geworden ist, steht gleichzeitig auch für eine Gesellschaft, in der jeder für sich immer mehr seine eigenen Wege findet und seinen eigenen Geschmack ständig selbst fortentwickelt, ohne dabei dem musikalischen Massendiktat unterworfen zu sein. Der Preis, den wir dafür zahlen? Es ist für jeden was dabei, aber nichts für alle. So ist es schlicht und ergreifend einfach unmöglich geworden, Musik zu finden, mit der sich nicht nur Über den Wolken alle anfreunden können Andererseits: Es muss mich ja auch nicht interessieren, was Im Wagen vor mir für Musik gespielt wird, solange ich sie mir nicht anhören muss.

Die ARD reagierte auf die Bitte nach einer Schlagerquote übrigens mit Unverständnis und sieht „kein[en] Handlungsbedarf“ in Sachen Junge-Union-goes-Schlager. Sag’ beim Abschied leise Servus ist wohl das Einzige, was man dieser jungunionistischen Lachplatte noch schadenfroh hinterher tirilieren kann…

Bildquelle: Holger Ellgaard über Wikimedia Commons

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 04. March 2015
Kategorie: Farbflecken

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