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Wir hier drinnen

Was uns prägt – 10 Jahre LGH

von Lea Frauenknecht Lowresdatei. Nutzungsvereinbarung. Nur zur privaten Nutzung bestimmt. Bitte vor Veroeffentlichung Nutzungsrechte bei dem Fotografen Andreas Reeg einholen. Landesgymnasium Baden-Wuerttemberg . Foto und Copyright: Andreas Reeg, Tel: +49-171-5449247, andreas.reeg@t-online.de, www.andreasreeg.de

10 Jahre Landesgymnasium – das sind vier Jahre länger als die Zeitspanne, die man von der siebten Klasse bis zum Abitur an dieser Schule verbringt. Doch schon sechs Jahre sind eine nicht zu verachtende Zeit in einer Gemeinschaft, in der man seine Jugend verbringt. Der Abschnitt im Leben also, der einen Menschen prägt und zu dem Individuum formt, als das er die Schule am Ende verlässt. Ausschlaggebend für diese Individualität ist dabei nicht unbedingt nur die Schule an sich: Sie hilft zwar dabei, Stärken zu finden, Interessen zu vertiefen und mit Addita ein möglichst interessensorientiertes Programm zu ermöglichen und gibt hiermit durch den Aspekt der Bildung eine Möglichkeit zur „Selbstfindung“. Viel wichtiger erscheint jedoch die Aufgabe der Gemeinschaft: Die Erziehung zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung, die das Internat erfordert, das soziale Verhalten und die Sozialisation in einer Wohngemeinschaft. Aber auch die Entwicklung eines eigenen sozialen Umfelds in Form von Freundschaften, die auf gemeinsamen Erlebnissen innerhalb und außerhalb dieser Gemeinschaft beruhen. Nicht umsonst erscheint es so schwierig, den gemeinsamen Nenner mit Nicht-LGHlern zu finden – die Internatsgemeinschaft ist und bleibt ein Phänomen, das Außenstehenden nur in Einzelfällen zugänglich wird.

So blicken die meisten von uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge ihrem Abitur und damit dem Ende ihrer Zeit am LGH entgegen. Das lachende Auge erblickt hierbei die Freiheit von kleinlichen erscheinenden -wenn auch notwendigen- Regelwerken sowie dreckigen Geschirrstapeln in der WG-Küche und auch auf eine Art normaler Privatsphäre, die im Internat nicht unbedingt gewährleistet werden kann. Das lachende Auge vermittelt einen Anschein von Macht, ein neues Kapitel zu beginnen, das sich abseits von schimmelnden Lebensmitteln, WG-Zeiten und Nachmittagsunterricht zuträgt. Der Anfang eines neuen Kapitels bedeutet in diesem Fall aber auch, wie das weinende Auge feststellt, gewachsene Freundschaften zwar nicht aufzugeben, aber zu dezentralisieren, nicht mehr nur eine Zimmertür weitergehen zu müssen, um jemanden zum Quatschen zu haben und auch nicht mehr zu einer so behütenden Gemeinschaft wie der des LGH zu gehören.

Aber auch diese Gemeinschaft hat sich über die Jahre hinweg verändert. Während ich in der siebten Klasse noch jeden LGHler mit Namen kannte und doch über jeden eine Kleinigkeit hätte sagen können – und dies galt damals noch für eine große Mehrheit der Schule -, weiß ich heute bei vielen Mitschülerinnen und Mitschülern nicht einmal mehr, welcher Klassenstufe ich sie zuordnen soll. Denn nicht nur wuchsen wir selbst über die Jahre, auch die Schulgemeinschaft durchlief in den letzten Jahren pubertär anmutende Wachstumsschübe. Diesem alljährlichen Wuchs folgte eine immer größer werdende Anonymität innerhalb der Schülerschaft und man kann es darum nur begrüßen, dass das LGH mit seiner jetzigen Schülerzahl (vorerst (?)) sein Maximum erreicht hat.

Ein wichtiges Thema ist nicht nur das Wachstum der Schule, sondern auch die steigende Fluktuation auch in der Schülerschaft, aber vor allem innerhalb des Lehrkörpers. Eine ehemalige Schülerin soll das LGH einmal mit einem Wackelpudding verglichen haben – wer sich in dessen Innern befinde, sei sofort ein fester Teil der Gemeinschaft und sei ihr zugehörig, doch wer den Wackelpudding verlasse, sei schnell vergessen. Dies scheint heute mehr denn je auf die Schulgemeinschaft zu zu treffen. An einer hohen Fluktuation ist ja per se nicht auszusetzen, denn es scheint durchaus verständlich, dass man nicht seine gesamte Schulzeit oder sein gesamtes Berufsleben unter Hochbegabten und in der Ostalb-Metropole Schwäbisch Gmünd verbringen möchte. Dennoch wird durch dieses ständige Kommen und Gehen die Gemeinschaft lockerer, die Unsicherheiten damit größer, wichtige Säulen im Schulbetrieb brechen weg und lassen eine gewisse Leere zurück. Von diesen Brüchen in der Gemeinschaft her mag auch rühren, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer seit Beginn des Schuljahres mehr denn je über das Arbeitsverhalten und die Kompetenzen der Schülerschaft echauffieren, was wiederum mit dem Versuch der größtmöglichen Distanz, vor allem im Internatsbereich, erwidert wird.

Diese Entwicklung erscheint fast dramatisch, denkt man an die Zeiten zurück, in denen WG-Abende in der Wohnung des Mentors, gemeinsame Ausflüge und sogar Freundschaften zwischen Schülern und Lehrern zum Internatsleben dazugehörten. Es bleibt also der Appell an die Schüler, das Vertrauensverhältnis, das das Internat zwischen Schülerschaft und Lehrern ermöglicht, nicht durch zu viel Distanz aus der Mode kommen zu lassen und die Bitte an die Lehrerschaft, so faul wir auch manchmal sein mögen, über eine gewisse Betriebsblindheit hinwegzusehen und zu überlegen, ob die Schülerinnen und Schüler an normalen Gymnasien wirklich so viel strebsamer, fleißiger und besser sind als wir. Auch die Förderung und Forderung von Individualität sollte im selben Atemzug genannt werden wie eine gewisse pädagogische Milde und vor allem nicht in Vergessenheit geraten – denn immerhin ist sie Teil des schulischen Leitkonzepts. Immer häufiger könnte einen der Verdacht beschleichen, angepasste und brave Mitschülerinnen und Mitschüler wären in der Lehrerschaft besser angesehen als solche, die sich noch die in der Leitlinie geforderten Ecken und Kanten bewahrt haben.

Zum zehnjährigen Jubiläum des Landesgymnasiums bleibt also ein Loblied auf die Gemeinschaft, die uns als prägendes Element in unserer Jugend begleitet, uns zum Unikat macht und der Grund ist, warum wir die Schule nur mit gemischten Gefühlen verlassen. Eine klare Absage an noch mehr Anonymität innerhalb besagter Gemeinschaft und eine deutliche Abfuhr an eine Bevorzugung der Angepasstheit soll aber dennoch erwähnt sein. Was das LGH seit jeher auszeichnet, ist schließlich die Gemeinschaft individueller Charakterköpfe und nicht die graue Masse angepasster 08/15-Schüler.

Bildquelle: Schulhomepage

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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 18. December 2014
Kategorie: Wir hier drinnen

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Ein Kommentar zu “Was uns prägt – 10 Jahre LGH”

  1. Sehr treffend beschrieben, Lea! Dem möchte ich auch gar nichts mehr hinzufügen, sondern nur nochmals bekräftigen: Schüler, bemüht euch um die Lehrer und – bitte! – auch das Personal! Von nichts kommt nichts, und das gilt gerade im zwischenmenschlichen Bereich. Wer immer nur stänkert, aber nie versucht hat, von selbst einen Schritt auf die “erwachsenen LGHler” zuzumachen, entbehrt jeder Glaubwürdigkeit. Lehrer sind auch nur Menschen, und sie schätzen es, wenn man sie so behandelt. Gerade am LGH verpflichtet die Nähe untereinander doch geradewegs dazu! Selbst wenn es in der Schule gerade nicht so läuft, heißt das doch nicht, das man kein freundliches Wort – und sei es im Vorübergehen – übrig haben darf. Ich bin mir sicher, dass die viel gerügte Anonymität schon zwischen Schülern und Lehrern anfängt, schade eigentlich. Im Kollegium finden sich so viele Charakterköpfe, interessante, liebe und manchmal auch einfach nur schreiend komische Persönlichkeiten. Wer sie nur in ihrer beruflichen Funktion betrachtet, verpasst meiner Meinung nach ein Großteil der Möglichkeiten, die das LGH seinen Schülern bieten kann. Klar, Lehrer sind Lehrer und Schüler sind Schüler, aber ein gutes und herzliches Verhältnis hat wenig mit Hierarchie zu tun. Hier nochmals der Verweis aufs Personal: ja, die Küchen- und Putzfrauen sind irgendwie nicht ganz so omnipräsente LGHler. Aber sie sind LGHler, und zwar die, die euer Wohlbefinden sichern. Auch Küchenfrauen freuen sich über ein Lächeln und ab und an eine kleine Blödelei in der Pause. Und wer vormittags öfters mal der Putzfrau begegnet, darf ruhig mal den Mund aufmachen… Man wird sich wundern, was da zurückkommt!

    Geposted von Vivien | December 19, 2014, 19:16 | Antworten

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