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Die Welt da draußen

„Das Schlimmste ist, dass wir nichts tun können“

Ein Interview mit Samer Sadeh, Organisator einer Informationsveranstaltung zum Gaza-KonfliktIsrael_and_Gaza_at_night

Tag für Tag spitzte sich die Lage in Gaza im Sommer 2014 weiter zu. Und auch nun, nach der vereinbarten Waffenruhe, ist der Albtraum noch nicht vorbei, es gab sogar schon erneute Angriffsversuche – ein richtiges Ende liegt noch in weiter Ferne.

Zuschauen und abwarten, was passiert? Das kam für Samer Sadeh nicht in Frage. Zusammen mit Freunden und Bekannten hat er Ende Juli in seinem Wohnort Vreden in Nordrhein-Westfalen eine Informationsveranstaltung auf die Beine gestellt, um Bewohner aufzuklären und Betroffenen die Möglichkeit zu geben, allen mitzuteilen, was sie zu sagen haben – und tatsächlich kamen Menschen verschiedenster Nationalitäten, Religionen und Organisationen, um die Gelegenheit zu nutzen. Im Nachgang durfte ich Samer, unterstützt von Mitorganisatorin Nauras Birawi, in Bezug auf diese Veranstaltung und den Konflikt interviewen.

von Marie Völkering

 

Der Farbfleck: Eure Veranstaltung war ein voller Erfolg, die Resonanz der Teilnehmer und Zuschauer ist durchweg positiv. Aber um auf die Ursprünge eurer Aktion zurückzugreifen: Welchen persönlichen Bezug habt ihr Organisatoren zu dem Konflikt und inwiefern habt ihr direkten Kontakt nach Palästina?

Samer Sadeh: Wir stammen alle aus Palästina und haben sehr viele Verwandte, die dort leben, Onkel, Tanten, Cousins und so weiter. Wir können uns jedoch sehr glücklich schätzen, dass sich unsere Verwandtschaft nicht im Gazastreifen aufhält. Wir kommen alle aus einem Ort in Palästina, der sich Nablus nennt. Dieser Ort ist noch relativ von den israelischen Angriffen verschont, sodass es uns einfach fällt, mit unseren Verwandten per Email, Internet und auch Telefon im Kontakt zu bleiben, die uns natürlich über viele Dinge, die dort passieren, informieren.

Der Farbfleck: Was löst der Konflikt bei dir für ein Gefühl aus? Kann man das noch mit Worten beschreiben?

Sadeh: Um ehrlich zu sein, ist es sehr schwer geworden, unsere Gefühle und Emotionen noch in Worten ausdrücken zu können. Ich persönlich bin wirklich zutiefst verletzt, mit ansehen zu müssen, was in meinem eigenen Heimatland passiert und es frustriert mich sehr, dass tagtäglich aufs Neue unschuldigen Zivilisten das Leben genommen wird. Das wohl schlimmste Gefühl ist die Tatsache, dass wir nichts tun können, außer zu beten und den Bedürftigen mit Spenden entgegen zu kommen.

Der Farbfleck: Warum ist es für dich wichtig, dass solche öffentlichen Aktionen wie Samstag stattfinden? Warum sollten sich Leute lieber bei euch, also bei persönlichen Informanten, erkundigen, statt die Lage im Fernsehen oder Radio zu verfolgen?

Sadeh: Solche Veranstaltungen wie am Samstag geben uns die Möglichkeit, die Leute über den Konflikt aufklären zu können. Es gibt uns die Möglichkeit, Menschen, die weniger Ahnung von solchen Konflikten und Kriegen haben, etwas von diesen Problemen berichten und erzählen zu können. Leider gibt es heutzutage viele Menschen, die solchen Konflikten auf dieser Erde zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Der Grund, warum es besser ist, sich bei persönlichen Informanten zu erkundigen, liegt einfach darin, dass die unterschiedlichen Fernsehsender ihre Nachrichten meistens individuell und unterschiedlich ausrichten. Es ist relativ bekannt, dass das eine Medium ein Konflikt oftmals anders präsentiert und darstellt als das andere. Meistens ist es daher besser, sich bei Leuten zu erkundigen, die selbst in dem Krisengebiet waren und mit eigenen Augen miterlebt haben, was dort wirklich passiert.

Der Farbfleck: Wann wurde dir klar, dass es notwendig ist, selbst aktiv zu werden und die Leute zu informieren?

Sadeh: Uns wurde dies vor allem bewusst, als wir bemerkt haben, wie wenig Ahnung die Menschen (auch in unserer Umgebung!) von diesem Konflikt haben und da wir solche Probleme auf dieser Welt als sehr wichtig empfinden, wurde uns klar, dass wir etwas unternehmen müssen, um die Menschen hier aufzuklären.

Der Farbfleck: Hattet ihr vorher Ziele, was die Veranstaltung angeht, zum Beispiel eine bestimmte Besucherzahl?

Sadeh: Unser größtes Ziel war ein zahlreiches Erscheinen und viele Menschen aus allen möglichen Kulturen anzuziehen, da dieser Konflikt nicht nur die Palästinenser und Israeliten selbst betrifft, sondern alle Menschen, die sich für die Menschenrechte auf dieser Welt einsetzen wollen.

Der Farbfleck: Habt ihr eure Ziele deiner Meinung nach erreicht?

Sadeh: Ja, meiner Meinung nach wurde unser Ziel erreicht. Unsere Erwartungen wurden überstiegen, wir hätten niemals mit so vielen Leuten gerechnet und sind wirklich sehr froh, dass alles so harmonisch und friedlich abgelaufen ist.

Der Farbfleck: Hättest du dir auch vorstellen können, eine Informations- oder sogar Diskussionsveranstaltung gemeinsam mit Unterstützern der israelischen Seite zu organisieren?

Sadeh: Natürlich haben wir diese Idee in Betracht gezogen, allerdings hätten wir mit der Vorbereitung viel eher anfangen müssen und uns wurde dann bewusst, dass es auch nicht einfach wäre, beiderseits Leute zu finden, die wirklich sachlich diskutiert und die Menschen objektiv über diesen Konflikt informiert hätten. Bei solchen Themen besteht leider sehr schnell die Gefahr, dass solche Diskussionen sehr schnell zu subjektiv wirken und zu unsachlich geführt werden können.

Der Farbfleck: Möchtest du unseren Lesern außerdem noch etwas mitteilen?

Sadeh: Wir möchten alle Leser darum bitten, sich mit diesem Konflikt einmal in Ruhe auseinanderzusetzen und sich ein eigenes Bild von diesem Geschehen zu machen. Es liegt uns sehr am Herzen, dass alle Menschen Solidarität und Mitgefühl zeigen, da dieser Konflikt nicht nur die Palästinenser und Israeliten selbst betrifft, sondern uns alle. Wir sind alle Menschen und niemand sollte irgendwo geringer geschätzt werden.

 Bildquelle: NASA/Alexander Gerst über Wikimedia Commons

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 27. September 2014
Kategorie: Die Welt da draußen

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