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Die Welt da draußen

Uni alla Bologna – über das Studieren in Europa

800px-Cottbus_University_Audimaxvon Jennifer Habbes

Als junges Opfer unseres Bildungssystems sehe ich mich mit den kuriosesten Aufgaben konfrontiert. Mit einem Handball zu tanzen, inzestuöse Beziehungen zu analysieren oder eben eine schmissige Abhandlung darüber zu verfassen, was man in meinem Alter über die EU denkt. Ich setze mich also an meinen PC und nach drei Stunden hilflosen Recherchierens schreibe ich auf das virtuelle Papier: „Ich finde die EU total toll, weil“. Nach einer weiteren halben Stunde intensiven Grübelns fällt mir auf, dass es neben den diversen Vorschriften bezüglich Bananen, Glühbirnen oder der Emission von Schmalspurkraftfahrzeugen eigentlich nur ein Thema gibt, welches mich als Abiturientin betrifft. Also schreibe ich:

Ich finde die EU total toll, weil sie eine hervorragende Bildungslandschaft geschaffen hat. Was ich an dieser Bildungslandschaft am allertollsten finde, sind die hervorragende Ausstattung mit Fördermitteln, das hochqualifizierte Lehrpersonal, die vorbildliche Verwaltungsstruktur und die vielen interessanten Denkansätze, die man aus jeder Veranstaltung mitnimmt.

Ja, ich bin wirklich froh, Europäer zu sein, denn das bringt mir im Vergleich zu anderen Studenten unfaire Vorteile bezüglich der Studienfinanzierung.

Aber nicht nur das: Die EU ist sogar so toll, dass sie den einzelnen Staaten die Entscheidung, wie sie ihre Studenten ausbilden will, abnimmt, indem sie Maßstäbe und Richtlinien setzt, an die sich alle halten müssen. Solche wären zum Beispiel eine unvergleichliche Mobilität der Studenten, oder die bessere Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Raum. Wir brauchen den Wettbewerb und wir brauchen Vergleichbarkeit. Ja, Vergleichbarkeit ist wichtig. Warum, weiß mittlerweile auch niemand mehr, aber dass wir mehr Vergleichbarkeit brauchen, steht außer Frage. Wenn wir Vergleichbarkeit nicht bräuchten, würde ja der europaweite Bologna-Prozess gar keinen Sinn mehr machen.

Wenigstens werden unsere Studenten jetzt auf internationalem Niveau ausgebildet und das Wechseln zwischen den Universitäten zwischen Bachelor- und Masterabschluss funktioniert ja auch vollkommen ohne Probleme. Wenn man nicht eines der tausenden Orchideenfächer wie „The Beatles, Popular Music and Society“ studiert.

Außerdem bereitet der Bologna-Prozess unsere Studenten deutlich besser als die früheren landesspezifischen Studienmethoden vor. Und das sogar in weniger Zeit! Obwohl das Studium wegen der verkürzten Studienzeit eher einer Fortsetzung der Schule ähnelt, soll man in etwa schon drei Jahren mit dem Bachelor einen arbeitsmarktreifen Abschluss erlangt haben. Gegen einen Bachelor of Engineering kann ein Diplomingenieur einpacken!

Schließlich ist der Bachelor sogar so schwierig, dass die Abbrecherzahlen in nahezu allen Studienfächern außer den Gesellschaftswissenschaften seit Bologna in die Höhe geschossen sind. Wer heutzutage ein Chemiestudium durchhält, dessen Einladung nach Stockholm wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Mehr Druck, mehr Existenzangst, und einen herabgesetzten Bildungsanspruch in der ständigen Jagd nach Credit Points – an diesen Zielen sollten wir alle festhalten. Ohne gewisse Entbehrungen erreichen wir schließlich nie unser Endziel der Vergleichbarkeit – damit wenigstens alle gleich mies ausgebildet sind.

Ich glaube, ihr wisst gar nicht, wie gut es euch gerade geht. Vor euch hat die Bewertungsgesellschaft mal einen Augenblick Pause, während hier auf dem Papier der schulisch–zukunftsentscheidende Überlebenskampf droht. Lest ihr jetzt nicht weiter, habe ich versagt und der Traum einer akademischen Karriere ist geplatzt. Wer hier versagt, geht als gebrochener Mensch nach Hause und darf hoffen, dass er noch einen Studienplatz für etwas wie Eventmanagement oder BWL bekommt, in der Hoffnung, nicht unter der Brücke landen zu müssen. Wobei das Studium nun auch keine absolute Garantie für eine Einstellung liefert.

Zusammenfassend: Ich finde die EU total toll, weil sie über zwanzig Hochschulsysteme mit ihren jeweiligen Schwächen, aber auch ihren unglaublichen Stärken zu einem homogenen Einheitsbrei zusammengerührt hat. Außerdem bewirkte sie einen Ansturm von Doktoranden, da der Master als akademischer Grad oft nicht mehr ausreicht. Es wurden tausende Studiengänge geschaffen, die so speziell sind, dass sich mit diesen zum einen oft keine Masterstudienplätze mehr finden lassen, geschweige denn eine Anstellung. Der Campus einer Universität degradiert immer mehr von einem Ort des Lehrens und Lernens zu einer Maschinerie der Massenabfertigung, in der der einzelne Student untergeht. Vor der Europawahl an diesem Sonntag habe ich nur noch ein Wort an Brüssel zu richten: Der Bologna-Prozess hätte eine gute Sache werden können, doch er richtet unsere Hochschullanschaft zu Grunde. Studenten mit Burnout und Halbwissen sind wirklich nichts, was man wirtschaftlich nennen kann.

 

Bild: Sane via Wikimedia Commons

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 22. May 2014
Kategorie: Die Welt da draußen

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