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Die Welt da draußen

Die Nacht, die zum Prozess führte

flickr-7719453292-originalvon Cosima Friedle

Entschuldigungen, Vorwürfe und Widersprüche – der Pistorius-Prozess geht nun in die 9. Woche und ist noch immer hochemotional. Nicht nur an die 300 Journalisten, auch die Familie des Opfers wohnen ihm täglich bei und beobachten das Geschehen. Obwohl der Prozess noch lange nicht zu Ende ist, kristallisieren sich bereits starke Tendenzen zur einen oder anderen Seite in der Bevölkerung heraus. Im Folgenden möchte ich einige Ansätze erörtern und bewerten.

Zunächst eine kurze Zusammenfassung des Sachverhalts: Oscar Pistorius, ein südafrikanischer Sprinter, bekannt als „Fastest man on no legs“, hatte in der Nacht des  14. Februars 2013 seine damalige Freundin, das südafrikanische Model Reeva Steenkamp erschossen. Diese wurde am 14. Februar 2013 tot in Pistorius Haus in Pretoria aufgefunden, woraufhin Pistorius von der südafrikanischen Polizei verhaftet wurde, gegen ihn wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Nach einigen Vertagungen läuft der Prozess nun seit dem 3. März in Pretoria. Pistorius hält sich selbst für unschuldig und beteuert, er habe seine Freundin für einen Einbrecher gehalten und deshalb erschossen, während die Staatsanwaltschaft nicht an eine Verwechslung glaubt.

Bei so einer Geschichte versucht man zunächst einmal, den Verstand einzuschalten und logisch zu denken. Pistorius sagt aus, er sei in der Nacht des 14. Februars aufgrund der Hitze im Schlafzimmer aufgewacht und wollte zwei Ventilatoren vom Balkon holen. Dabei hörte er, wie jemand das Badezimmerfenster öffnete, woraufhin er zunächst schrie, um den Einbrecher zu vertreiben. Außerdem habe er Steenkamp im dunklen Schlafzimmer angewiesen, sich auf den Boden zu legen sowie die Polizei zu alarmieren. Anschließend habe er seine Waffe unter dem Bett hervorgeholt und sei zum Badezimmer geschlichen. Da er dem Einbrecher keinen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort geben wollte, habe er dabei keinen Laut von sich gegeben. Als er dann vor der Badezimmertür stand, feuerte er vier Schüsse ab.

Bei Betrachtung des Tathergangs fallen einige Dinge auf, die logisch nicht zu erklären sind. Wenn Pistorius weiß, dass seine Freundin sich ebenfalls im Haus befindet, er jedoch nicht weiß, wo sie momentan ist, wieso schießt er dann gleich mit vier Schüssen durch eine verschlossene Tür? Wieso hat er sich nicht zwei Sekunden genommen und auf die andere Betthälfte getastet, um zu sehen, ob dort seine Freundin liegt? Weiter sagt er aus, er habe zu ihr gesprochen, aber wieso wartet er dann keine Reaktion ab? Eine weitere suspekte Sache ist das Badezimmer. Was macht ein Einbrecher im Badezimmer? Teure Shampoos und Rasierschaum klauen? Wohl kaum. Ganz am Rande ist die Gegend, in welcher Pistorius lebt, eine der sichersten Gegenden in ganz Südafrika, keine Einbrüche in den letzten fünf Jahren. Was zu erklären wäre ist, dass ein Einbrecher in das Badezimmerfenster einsteigt, um dann in das Wohnzimmer des Hauses vorzudringen. Aber nachdem Pistorius nach Vernehmen des Geräusches zuerst seiner Freundin Anweisungen erteilt, seine Beinprothesen angezogen und nach seiner Waffe gegriffen hatte, wusste er, dass die Person im Badezimmer bereits seit einiger Zeit im Badezimmer war. Hätte ihm das nicht seltsam vorkommen müssen? Und wieso macht ein Einbrecher das Licht an? Versucht er nicht, möglichst unbemerkt in eine Wohnung zu gelangen? Diese Überlegungen ganz abgesehen von den zahlreichen Zeugenaussagen sowie Expertenmeinungen, welche Pistorius enorm belasten. So führt Chris Mangena, ein Ballistiker, aus, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass Steenkamp zwischen den Schüssen geschrien habe. Also hätte Pistorius merken müssen, dass es sich bei der Person nicht um einen Einbrecher handelt.  Der Kriminaltechniker Francois Moller weist auf Textnachrichten hin, die Steenkamp von ihrem Handy aus zwei Wochen vor ihrem Tod geschickt hatte. Darin beschreibt sie Pistorius als cholerisch und führt aus, dass sie manchmal Angst vor ihm habe. Zudem geht die Staatsanwaltschaft von einem Streit des Paares aus, welcher sich am Abend des 14. Februars ereignet haben soll. Diese These wird gestützt durch zahlreiche Zeugen in der Nachbarschaft, welche einen Streit und laute Stimmen sowie Schreie vernommen hatten. Diese deuten ebenfalls darauf hin, dass Steenkamp zwischen den Schüssen geschrien hat, was einen Widerspruch zu Pistorius Aussagen darstellt und ihn enorm belastet. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Pistorius Waffenaffinität, er war im Besitz mehrerer schwerer Waffen und geübt im Schießen. So wird er auch von der Staatsanwaltschaft als „Waffennarr“ bezeichnet.

So weit, so belastend. Doch wie sieht es auf der Seite der Verteidigung aus?

Diese hebt besonders die Harmonie der Beziehung und die Liebe von Pistorius zu Steenkamp hervor. Die Tat wird als tragische Verwechslung dargestellt, Pistorius sagt, er habe Steenkamp nur vor dem Einbrecher beschützen wollen. Dazu kommt das Auftreten Pistorius vor Gericht: Weinkrämpfe, Zusammenbrechen, Ãœbergeben – keine Spur von Gefühlskälte und Rohheit. Kann so ein Mann kaltblütig seine Freundin erschießen und anschließend noch so gut schauspielern? Die Antwort der breiten Masse lautet eindeutig: Ja. So wird er als der „beste Schauspieler seiner Generation“ gehandelt, Simone Steenkamp, die Schwester des Opfers, bezeichnet ihn als „ widerlichen Lügner“. Auch in Foren sind sich die Menschen einig, dass Pistorius lügt. So sind beispielsweise auf Spiegel online folgende Beiträge zu finden:  „Irgendwie kann ich ihm nicht glauben. Das ist einfach zu bescheuert. Sie lag ja auch der rechten Seite des Bettes, das Bad ist auch rechts davon. Schwierig ins Bad zu gehen ohne das Bett im Blickfeld zu haben.“; „ Wer bitte soll glauben, dass er mit seiner Partnerin spricht ohne, 1. sie anzusehen 2. eine antwort abzuwarten 3. und nicht zu bemerken, dass diese angeblich nicht anwesend ist. Der Mann lügt.“;  „Zwei glaubwürdige Zeugen haben doch klar laute Schreie vor den Schüssen gehört. Sein Lügengebäude fällt in sich zusammen. Aber solche Egozentriker werden nie die Wahrheit sagen und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.“.

Bei Betrachtung der beiden Seiten sticht klar hervor, dass deutlich mehr gegen als für Pistorius spricht. Jedoch bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er schuldig ist. Die Frage, ob er die Wahrheit sagt oder nicht und was genau sich in dieser Nacht vom 14.Februar 2013 abgespielt hat, wird wohl nie ganz geklärt werden können. Bleibt nur zu hoffen, dass das Gericht am Ende des Prozesses ein gerechtes Urteil fällt – und das Verfahren nicht aufgrund mangelnder Beweise eingestellt wird mit dem Ausgang „In dubio pro reo“.

Bild: Will Clayton on Flickr via fotopedia.com

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 29. April 2014
Kategorie: Die Welt da draußen

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