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Die Welt da draußen

Information sieht anders aus

620px-2006-02-13_Drop-impactein Kommentar zum TTIP von Viktoria Kamuf

Stellt euch vor, ihr dreht den Wasserhahn auf und heraus kommt kein klares Nass, sondern nur trübe Brühe. Oder stellt euch vor, ihr dreht den Wasserhahn auf und es kommt kein Wasser, da ihr es euch nicht leisten könnt. „Ja klar, miese Vorstellung“, mögt ihr jetzt denken, „aber sowas passiert doch eh nur auf der anderen Seite der Welt, wo sie noch nicht mal Wasserhähne haben.“ Es ist ein Horrorszenario, das stimmt. Aber manchmal ist „der Schrecken“ näher als man denkt…

Das Transatlantische Freihandelsabkommen, englisch Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP, soll ein Vertrag zwischen den USA und der EU werden, ein Garant für Wirtschaftswachstum, ein ehrgeiziges Jahrhundertprojekt. Ziele des Abkommens sind die Abschaffung von Handelsbeschränkungen und die Angleichung von diversen Schutzgesetzen, Umwelt- und Gesundheitsstandards in den beteiligten Ländern. Das klingt doch zunächst einmal alles toll, die Amerikaner könnten dann auch endlich französischen Roquefort essen und bei uns in Deutschland regnete es Arbeitsplätze, ganze 180.000 an der Zahl (bei 42 Millionen Arbeitnehmern). Warum finden die Verhandlungen zu diesem Wundervertrag dann eigentlich seit einem dreiviertel Jahr im Geheimen statt, unter Ausschluss nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der EU-Parlamentsmitglieder? Die Antwort ist einfach: 0.05% Wirtschaftswachstum im Jahr wären lächerlich. Insgesamt 0.4% mehr Beschäftigte in Deutschland auch. Und in Chlor gebadete Hähnchen oder genveränderte Produkte – in den USA längst eingeführt –  das weiß inzwischen auch die deutsche Presse, will hier niemand.

Das Ausmaß der Folgen des TTIP und warum es kein Wunder ist, dass es trotz enormem öffentlichen Druck immer noch nicht vom Verhandlungstisch gewischt wurde, zeigt sich besonders anschaulich bei einem Blick auf den Wassersektor.

Die Wasserversorgung gehört in Deutschland zur Daseinsvorsorge und damit in die Hand der Kommunen. Diese sorgen für die Instandhaltung des Netzes sowie die Qualitäts- und Preiskontrolle. „Da sind wir sehr hinterher und machen auch mal lieber eine Probe mehr als zu wenig“, betont Frieder Steinhilber. Er ist zuständig für die Gas- und Wasserversorgung Schwäbisch Gmünds und somit Angestellter der Stadtwerke. Letzteres ist eine GmbH mit Aufsichtsrat, aus dem Eigenbetrieb der Stadt entstanden. Heute sind auch Privatunternehmen an ihm beteiligt, die sich in den 80er und 90er Jahren in die Wasserversorgung eingekauft haben. In Schwäbisch Gmünd gehören der EnBW ODR AG[1] 25,1% der Wasserversorgung, ähnlich sieht es in vielen anderen Gemeinden Baden-Württembergs aus. 106 von ihnen sind Mitglieder in einer Art Dachverband, der Landeswasserversorgung (LW), die ihren Sitz in Stuttgart hat. Sie koordiniert die ausreichende Trinkwasserversorgung auch der Städte, die wenig bis gar kein Eigenwasser zur Verfügung haben, wie zum Beispiel Schwäbisch Gmünd, welches zu 90% mit Wasser aus anderen Gebieten Baden-Württembergs versorgt werden muss. Die LW und ihre Mitglieder finanzieren ihre Arbeit über den Wasserpreis (2,32 €/m³ in SG). Dabei gilt: Die Landeswasserversorgung als kommunaler Verband darf keinen Gewinn machen. Anders sieht es in diesem Punkt bei privat-rechtlich organisierten Unternehmen aus, sagen sowohl Steinhilber als auch Bernhard Röhrle, Pressesprecher der LW: „Wenn etwas nicht in öffentlicher Hand ist, steckt immer die Gewinnmaximierung dahinter.“

Warum wurden wir dann bisher von steigenden Preisen, leckenden Rohren und verunreinigtem Wasser verschont? Viele Unternehmen haben sich doch seit Jahren schon in den Wassersektor eingekauft und könnten ihre Interessen durchsetzen – in der Theorie. In der Praxis steht den Privatunternehmen eine breite Front an Widerstand gegenüber. „Aufgrund enormen Drucks von Seiten der Bürger ziehen sich die Unternehmen zunehmend zurück, da sie ihre Ziele im Wassersektor nicht verwirklichen können und er somit nicht lukrativ für sie ist.“, so Röhrle.

An dieser Stelle kommt das Freihandelsabkommen ins Spiel, das große TTIP, das alles verändern könnte. Ist die ausreichende Wasserversorgung bis jetzt durch gesetzliche Vorgaben und die Aufmerksamkeit der Bürger geschützt, so öffnet das geplante Abkommen Tür und Tor für eine mögliche Untergrabung von Schutzvorschriften. Anstatt sich in Zweckverbände einzukaufen, um somit direkt auf Qualität und Preis Einfluss zu nehmen, könnten Privatunternehmen ihre Interessen nun auf indirektem Wege in Randbereichen wie dem Umweltschutz durchsetzen. „Dadurch wird die Situation sehr diffus und nur schwer kontrollierbar für die Wasserverbände“, befürchtet Röhrle. Würde zum Beispiel die Erdgasförderung „Fracking“ in Deutschland durchgesetzt, gäbe es einige Unternehmen, die sich auf hohen Profit freuen könnten, während die Qualität des Grundwassers enorm zu leiden hätte. Um trotzdem Trinkwasser für die Bevölkerung zur Verfügung stellen zu können, müssten die Wasserverbände große Aufbereitungsverfahren in Gang setzen. Ein explodierender Wasserpreis wäre die logische Konsequenz für einen jeden Bürger. Die Initiatoren einer solchen Entwicklung säßen wie so oft im Verborgenen, die kommunalen Wasserverbände hätten das Problem am Hals und der wütende Bürger müsste sich fragen, wohin er sein Pulver noch verschießen sollte. Angst hätte vor ihm keiner mehr.

Es muss also vorher etwas gegen das Jahrhundertprojekt getan werden, das einmal mehr zeigt, wie abhängig wir doch alle von Marktmechanismen sind und wie verlogen und scheinheilig unsere Politik ist, wenn sie sagt, dass wir mit einem Freihandelsabkommen einer rosigen Zukunft entgegen sehen.

Die LW hat ihren Weg schon gefunden, es sind die Lobbyverbände BDEW (Bundesverband der Wasser- und Energiewirtschaft) und VKU (Verband kommunaler Unternehmen e.V.), die nun auf den Plan treten. Ziel ist es, in diesem Fall Lobbyarbeit für den Bürger zu betreiben und den Wassersektor komplett aus dem Freihandelsabkommen herauszunehmen. Bereits funktioniert hat eine solche Einflussnahme letzten Sommer bezüglich der Konzessionsrichtlinie der EU. Der VKU konnte eine Zurückweisung des geplanten Beschlusses erreichen, nach dem private Unternehmen mehr Einfluss auf den Wassersektor erlangt hätten. „Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass dies auch beim TTIP glückt“, sagt Bernhard Röhrle und es bleibt nur die Hoffnung, dass er damit Recht hat.

Nur? Nein, denn die Wasserversorgung ist nur einer der betroffenen Bereiche unseres alltäglichen Lebens, in die das TTIP eingreift, heimlich, hinter verschlossenen Türen. Anstatt zu hoffen, kann jeder etwas gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen unternehmen und sei es nur, eine der vielen Petitionen zu unterschreiben (u.a. bei campact.de zu finden). Denn wer kann sich denn ernsthaft über einen Wasserhahn freuen, wenn kein Wasser aus ihm kommt?



[1] Abkürzung für: Energie Baden-Württemberg Ostwürttemberg DonauRies Aktiengesellschaft

 

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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 17. March 2014
Kategorie: Die Welt da draußen

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