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Die Welt da draußen

Ost oder West, das ist hier die Frage

Euromaidan_Kyiv_1-12-13_by_Gnatoush_005von Rebecca Kruse

Es hat sich viel getan in dem flächenmäßig zweitgrößten Staat Europas während der letzten Tage. Nach wochenlangen friedlichen Demonstrationen wurde der Protest schließlich blutig, bis Tote zu beklagen waren und Bürger Autoreifen und Zelte rund um den Maidan in Brand setzten, um sich durch das Feuer vor den staatlichen Sicherheitskräften zu schützen. Dies ist nun vorbei und das Ziel, den Regierungschef Wiktor Janukowitsch zu entmachten, geglückt. Vergangenen Mittwoch sollte spätestens die Neubildung eines „Kabinettes des nationalen Vertrauens“  als Übergangsregierung erfolgen, wie der vorläufig eingesetzte Präsident Alexander Turtschinow forderte. Doch neben der eigentlichen personalen Frage nach dem neuen gewählten Präsidenten, steht das Land noch vor einer viel größeren Entscheidung: Der, zwischen einer möglichen West- oder Ostanbindung. Diese hatte im Vorfeld mit zum Aufkeimen der Proteste geführt und stellt die Ukraine nun vor die Herausforderung, als Ganzes bestehen zu bleiben. Doch warum zeigen die beiden Parteien Interesse an dem krisengebeutelten Land? Was macht die Ukraine für sie so lukrativ, dass sie unter Umständen sogar 35 Milliarden Dollar in sie investieren würden? Und was würde die Bürger selbst dazu bewegen, sich für die eine oder andere Richtung zu entscheiden?

Zunächst einmal wäre da Russland. Die Ukraine bürgt militärisches Potenzial für den Megastaat und die russische Schwarzmeerflotte liegt schon an der Halbinsel Krim vor Anker, vertraglich gesichert bis 2042. 17 Prozent der Gesamtbevölkerung sind Russen, welche vor allem in dem östlichen Teil des Landes leben. Hier liegen auch das industrielle Zentrum der Nation und viele Bergwerke, welche zahllose Bodenschätze zu Tage fördern. Für Putin wäre die Ukraine ein wichtiger Part in seiner Eurasischen Union, die als Gegenstück zur EU geplant ist, und er wäre eventuell sogar bereit, dafür in die Ukraine einzumarschieren.

Die Europäer sind an ähnlichen Zielen orientiert und hatten schon ein Freihandelsabkommen ausgehandelt, welches der nun ehemalige Präsident Janukowitsch in letzter Minute gekippt hatte. Mit Hilfe dessen wären ihre eigenen Absatzmärkte gesichert und europäische Firmen hätten erleichterten Zugang zu besagten Bodenschätzen.

Zuletzt betonten jedoch beide Seiten, es gelte alles, um ein mögliches Auseinanderbrechen der Ukraine zu verhindern und man werde alle Maßnahmen zur Einigung unterstützen. Selbstverständlich hält eine solche Versicherung keinen davon ab, dafür Sorge tragen zu wollen, dass insbesondere die eigenen Interessen gewahrt bleiben.

Noch ist keine klare Tendenz in Umfragen abzusehen. Die Ukraine war bis 1991 Teil der Sowjetunion und hatte Russisch als Amtssprache. Der Großteil der Bevölkerung spricht immer noch diese Sprache des östlichen Nachbarn und Ukrainisch noch dazu. Doch seit der Unabhängigkeit ist nur Letzteres offizielle Amtssprache und viele plädieren für eine Änderung zugunsten des Russischen, welches in der Zwischenzeit als Unterrichtssprache verboten wurde. Der Boden zwischen den heutigen Grenzen ist nicht schon immer ukrainisch gewesen, sondern wurde in der Geschichte schon oft von fremden Großmächten für sich beansprucht und so zum Beispiel bei den polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts mal dem einen und mal dem anderen Territorium zugesprochen. In der Folge (etwa 100 Jahre später) gab es dann klare pro-westliche Bestrebungen, um dem Konzept der Dreieinigkeit der russischen Völker zu entgehen. Dieses hätte eine Vereinigung von (Groß-)Russland, Kleinrussland (der Ukraine) und Weißrussland in sich begreifen. Doch dann wurde das Land im auf die Revolution folgenden russischen Bürgerkrieg erobert und 1922 der Sowjetunion angeschlossen. Während des zweiten Weltkriegs von den Deutschen besetzt, kam es zu der Bildung einer Unabhängigkeitsbewegung mit eigener Armee. Das Ziel war es damals, sich klar von Deutschland und Polen zu befreien. Doch dies gelang schließlich erst mit dem endgültigen Zerfall der Sowjetunion.1024px-Karte_Ukraine

Die Ukraine gehört nicht zu den reichen Industrienationen, hat die höchste HIV-Infektionsrate in Europa und der Staat zeichnet sich bisher vor allem durch häufig ausgenutzte Polizeigewalt, menschenunwürdige Gefängnisse und Willkürlichkeit insbesondere gegenüber Asylsuchenden aus. Es bleibt den Ukrainern zu wünschen, dass sie nun einen Weg in eine bessere und gerechtere Zukunft finden und es schaffen, trotz Staatsschulden nicht im Chaos zu versinken. Der Anfang ist auf jeden Fall schon einmal geschafft.

Bild: Nessa Gnatoush via Noclador (Wikimedia Commons)

Karte: Sven Teschke via Wikimedia Commons unter der GNU Free Documentation License

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Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 28. February 2014
Kategorie: Die Welt da draußen

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