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Ausgestrahlt und Abgedruckt

Der Gesang des Dodo – Ausgestorben und wiederbelebt

von Costanze Merkthttp://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/DodoMansur.jpg

David Quammen bringt mit seinem Buch „Der Gesang des Dodo – Eine Reise durch die Evolution der Inselwelten“ einen neuen Bereich der Bücherwelt in die Bücherläden. Das 1996 geschriebene und erstmals 1998 in deutscher Sprache erschienene Buch (erst Claassen Verlag, später Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG) ist weder ein Sachbuch im eigentlichen Sinne, noch ein Roman. Trotzdem wird das mit dem Lannan Literary Award, einem der wichtigsten Literaturpreise der Welt, ausgezeichnete Buch zu Ersterem gezählt. Die Mischung aus der geschichtlichen Entwicklung der Evolutionstheorien, der Reise des Autors David Quammens und dem fast fiktional erscheinenden Wiederbeleben von teils unbekannten Tieren geben dem Buch seine eigene Note und einen ganz besonderen Stil. Man kann sogar sagen, dass das Buch mit einem spannenden Thriller von Dan Brown mithalten könnte, wenn der Leser sich auf das Abenteuer der Reise in eine andere Welt einlässt, Zoos nicht als kleinere „natürliche Umwelten“ sieht – wem kommt da nicht das Interview mit dem Leiter der Stuttgarter Wilhelma bezüglich des neuen Affengeheges in den Sinn – und ein wenig Interesse für die Natur oder Biologie bereit hat.

David Quammen, ein amerikanischer Schriftsteller und Sachbuchautor, schrieb mehrmals für den NATIONAL GEOGRAPHIC und weitere Sachbücher sowie Romane, denen des Öfteren Auszeichnungen verliehen wurden. Der Durchbruch gelang ihm jedoch mit seinem Werk Der Gesang des Dodo. Mit Humor – wer vergleicht schon den Hype um die Gentechnik mit Entengrütze, die wie in einem warmen Tümpel gedieh? – erzählt er  über die Kuriositäten des Menschen, den Forscherdrang verbunden mit dem Ausrotten von Tieren und die verschiedensten Phänomene und Wunder der Natur.

Das Buch handelt von der Problematik der Entdeckung bzw. der Veröffentlichung der beiden Evolutionstheoretiker Charles Darwin und Alfred Russel Wallace, welche zeitgleich dieselbe Theorie, heute als Darwinistische Evolutionstheorie bekannt, 15.000km entfernt und unabhängig voneinander aufstellten, jedoch außer ihrem Interesse an der Natur und derselben Muttersprache keine Gemeinsamkeiten aufwiesen. Darüber hinaus zeigt Quammen durch die detaillierte Schilderung des Artensterbens, warum die heutige Lage so ist, wie sie ist. Er warnt eindringlich und direkt vor dem vermehrten Aussterben der Tiere durch den menschlichen Egoismus („Obwohl die Seychellen erst 1778 zum Standort für eine dauerhafte Niederlassung wurden, waren bereits Ende des 18. Jahrhunderts Schildkröten das wichtigste Exportartikel der Kolonie. G.Gigantea erwiess sich als ebenso wohlschmeckend wie die Maskarenart.“). Ferner geht er romanartig auf die Entdeckungsreisen der damaligen Zeit, die entstehenden Konflikte durch Wissenschaft, Religion und dem menschlichen Gewissen ein. Gute Recherchen und längst in Vergessenheit geratene Personen und Tiere werden zum Leben erweckt und ziehen den Leser vollkommen in den Bann der damaligen Zeit. Quammens Stil fesselt nicht nur, vielmehr beschreibt er seine Handlung mit einer angemessenen Balance zwischen Wissenschaft und Fiktion. Beispielweise kann man hier den gelungenen Anfang des Buches zitieren: “Fangen wir in den eigenen vier Wänden an. Stellen wir uns als erstes einen schönen persischen Teppich nebst einem Jagdmesser vor. Sagen wir, der Teppich ist 4.00 mal 5.50 Meter groß. Das bedeutet eine Fläche von 22 Quadratmetern Webstoff. Ist das Messer scharf wie eine Rasierklinge? Falls nicht, wird es geschliffen. Wir zerschneiden nun den Teppich in sechsunddreißig gleich große Stücke, lauter Rechtecke von 1.00 mal 0.61 Metern Fläche. Die zerreißende Textur gibt kleine gequälte Geräusche von sich, die wie der unterdrückte Aufschrei entsetzter persischer Weber klingen. Aber was gehen uns die Weber an? Wenn wir mit dem Schneiden fertig sind, messen wir die einzelnen Stücke aus, zählen alles zusammen – und stellen fest, wir haben, bitte schön, nach wie vor rund 22 Quadratmeter erkennbar teppichartigen Stoff. Aber was heißt das? Nennen wir jetzt etwa sechsunddreißig hübsche persische Bettvorleger unser eigen? Nein. Wir haben nichts weiter als drei Dutzend ausgefranste wertlose Bruchstücke, die dabei sind, sich aufzudröseln…” Die anfangs dargestellte Traumwelt wird zum Grauen – wer möchte denn schon 36 nutzlose Stofffetzen haben? So wird auch die anfangs beschriebene pflanzliche und tierische Vielfalt ziemlich schnell durch das Auftauchen des Menschen ausgerottet, dass man sich schon fast für unsere Vorfahren, sei es aus gutem Willen, Neugier, Leichtsinn, Habgier oder Ignoranz der Inselerkundenden und Abenteuerreisenden, schämt. Seine Beschreibungen, warum ein Elefant in Afrika lebt und nicht in Deutschland sein Revier aufgeschlagen hat, wie er über lange Wasserstrecken auf andere Inseln schwimmt und warum es nicht nur einen Vogel, sondern eine ganze Menge verschiedenster Vogelarten durch die Evolution gibt, sind nachvollziehbar und sehr schön ausgearbeitet. Selbst „alte Bekannte“ – zu nennen wären hier James Cook oder Charles Darwin, wie auch „neue Freunde“, Alfred Russel Wallace oder seine Begleiter –  sind Gegenstand Quammens Darstellung. Ebenso werden Personen aus vergangenen Zeiten wiederbelebt – man erwähne nur die beiden Biologen Moritz Wagner oder Ernst Mayr –  darüber hinaus  Tiere, deren Existenz man nie vermutet hätte, wie wahre Drachen oder Vögel, die fluguntauglich sind und eine halbe Tonne wiegen oder auch hin und wieder keine Füße haben. Oft verspürt man den Wunsch, sie gerne kennen zu lernen, auch wenn dies leider im Bereich des Unmöglichen liegt. Die Frage nach dem Schuldigen muss man meist gar nicht mehr stellen, es genügt in den Spiegel zu sehen. Quammen schreibt zu Recht, dass er kein Patentrezept gegen das Artenaussterben hat. Er erkennt nur, was passiert, er beschreibt es und warnt. “Ãœberall auf der Erde führt die Menschheit Krieg gegen andere Arten, gegen die Wildheit der Wildnis, gegen die Blutröte der Zähne und Klauen der Natur. Der Sieg ist der Menschheit sicher. Die einzige offene Frage ist, wie hart die Friedensbedingungen sein werden […]. In dem Maße […], wie das umgebende Land sich verändert, wird Wae Wuul (ein Reservat für Komodo-Warane (Echse) in Indonesien) aufhören, Teil eines zusammenhängenden Ökosystems zu sein, das größer und reichhaltiger ist als es selbst. Das Gebiet wird keine Stichprobe mehr sein; es wird sich in ein Isolat verwandeln.” Wer sagt, dass das Buch uns nichts angehe, dass es fern der Realität sei, dass es nicht interessant sei, darf seine Meinung behalten. Aber: Wer Quammens Warnung ignoriert und später behauptet, er habe nichts gewusst, sollte sich an die eigene Nase fassen und nicht bekräftigen, dass er sich der Folgen nicht im Klaren war.

Leider enthält das Buch hin und wieder kleine Phasen, die sehr zäh wirken. Selbst wenn Quammen uns nur seine weitere Argumentation naheführen und verdeutlichen möchte, ist die Auflistung ausgestorbener Tiere nach zwei Seiten ein wenig anödend. Sonstige zähe Bereiche sind singulär und Die Zeit hat es im Klappentext meiner Meinung nach treffend formuliert: „Gleichgültig, wo man zu lesen beginnt, Der Gesang des Dodo fesselt“. Die Argumentation Quammens wird durch seine Erzählweise unterstützt und aus meiner Sicht kann man diese – auch durch die heutige Aufklärung in diesen Bereichen der Wissenschaft – lückenlos nennen.

Das Buch, anfangs mit einem Thriller von Dan Brown verglichen, hat wirklich diesen Stellenwert. Nicht umsonst wurde es von der New York Times zum besten Sachbuch 1996 gekürt. Lange Sätze und vor allem auch die geschichtliche Seite der Biologie sind vorprogrammiert. Wer damit nichts anfangen kann, sollte auch nicht mit dem Lesen des Buchs beginnen. Ist man jedoch ein Mensch, der sich biologisch interessiert, bei dem die Aussterberate der Artenvielfalt ein Warnsignal auslöst, ein wenig Genetik, Ökologie, Geographie oder Evolution das Interesse weckt, dann ist man mit diesem Buch sehr gut beraten. Wissen, wie man dies für das Studium benötigt, ist nicht vorausgesetzt. Ein wenig Schulwissen bis Klasse 10 ist jedoch hilfreich, um das Buch in seiner wahren Macht und Größe verstehen und genießen zu können. Wenn du dich auf diese Reise einlassen möchtest, dann kann ich nur eines sagen: Tolle et lege! – Nimm und lies!

Bild: Wikimedia Commons, Ustad Mansur

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 22. February 2014
Kategorie: Ausgestrahlt und Abgedruckt

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