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LGH im Ausland

Living next door to Down Under

von Wenke Grahneis

Neuseeland –  Wer sich jetzt denkt: „Das ist doch so ‘ne Insel neben Australien“, dem geht es, wie mir vor einem Jahr. Neuseeland ist jedoch ein Land wie kein anderes. Geprägt durch die isolierte Lage des Inselpaares, verfügt das Land über eine einzigartige Geschichte, Gesellschaft und Natur. Entdeckt wurde Neuseeland ursprünglich nicht, wie die meisten denken, von den Briten, sondern der Sage nach entdeckte der Polynesier Kupe die beiden Inseln schon um 950 n.Chr. Die erste Besiedlung durch die Maori, die mit ihren Kanus den Aufzeichnungen Kupes folgten, fand jedoch erst vier Jahrhunderte später statt. Sie benannten das Land Aotearoa, das „Land der langen weißen Wolke“, da sie erst durch eine weiße Wolke auf das Land aufmerksam geworden sein sollen.

Bis zu dieser ersten Besiedlung durch den Menschen hatte es in Neuseeland keine Säugetiere gegeben, sodass die Vögel die vorherrschende Gattung bildeten. Wie Neuseeland damals aussah, kann man heute nur noch schwer sagen. Das neuseeländische Ökosystem wurde von den Säugtieren, vor allem von den Ratten, die auf den Kanus der  Polynesier nach Neuseeland gelangten, völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. So kam es zum Aussterben mehrerer heimischer Vogelarten, darunter der Haastadler, der mit einer Flügelspannweite von drei Metern als der größte Greifvogel der Neuzeit gilt. Der Haastadler jagte hauptsächlich die Moa (fast zeitgleich ausgestorben), flugunfähige Laufvögel, die mit einem Gewicht von ca. 180 kg größer als die heutigen Strauße waren.  Für die meisten Lebewesen war es am Boden also sicherer als in der Luft. Das erklärt auch, warum bis heute in Neuseeland mehrere Vogelarten existieren, die das Fliegen verlernt haben. Der Berühmteste darunter ist der Kiwi, der gleichzeitig das Wahrzeichen Neuseelands ist. Insgesamt bezeichnet man in Neuseeland fast alles als „kiwi“: die Menschen sind „Kiwis“, die kleinen braunen Vögel mit dem langen Schnabel sind „kiwis“. Kompliziert wird es erst, wenn man tatsächlich die Kiwis meint, wie wir sie in Deutschland kennen, dann muss man nämlich nach der „kiwi fruit“ fragen, sonst wird man nicht verstanden und ist sogleich als Kannibale oder Tierquäler verschrien.

Das zweite Wahrzeichen Neuseelands ist der „Silver Fern“, ein Farn, den man an jeder Straßenecke findet und der von einer Palme kaum zu unterscheiden ist. Das Blatt des Farnes schmückt zudem das Trikot der All Blacks, des legendären neuseeländischen Rugbyteams, das weltweit großen Ruhm und Anerkennung genießt. Diese überaus großen Jungs sind dafür bekannt, ihre Gegner vor jedem Spiel mit dem Haka, dem traditionellen Kriegstanz der Maori, einzuschüchtern.

Neuseelands Kultur und Gesellschaft sind stark geprägt von Migration. Noch vor hundert Jahren hatte Neuseeland weniger als eine Millionen Einwohner. Seither kamen laufend Immigranten aus aller Welt hinzu. Vor allem ist Neuseeland durch seine geringe Bevölkerungsdichte seit einigen Jahren ein beliebtes Ziel für wohlhabende asiatische Familien, da sie so ihren Kindern wesentlich höhere Chancen auf einen Studien- oder Ausbildungsplatz ermöglichen. Dadurch hat sich in Neuseeland im Laufe der Jahre eine einzigartige multikulturelle Gesellschaft herausgebildet, was es unmöglich macht zu sagen, wie der „typische Kiwi“ aussieht. Vielmehr ähneln sich Kiwis meiner Erfahrung nach in ihrer Mentalität, ihren Vorlieben und Angewohnheiten, so sind sie meist herzliche Menschen, die gerne barfuß laufen und an den Strand gehen, um zu surfen oder dort ein „Barbecue“  zu machen. Danach kurz ins nächste Dairy, was so eine Art Tante-Emma-Laden ist, den man an jeder Straßenecke findet, um eine Packung Pinapple Lumps oder Jaffas zu kaufen. Letztere erfreuen sich vor allem in Auckland, der mit 1,3 Millionen Einwohnern größten Stadt Neuseelands, großer Beliebtheit. Auf Grund dessen werden die Einwohner Aucklands auch vom Rest des Landes zynisch JAFFAs genannt, was kurz für „Just Another F…ing Aucklander“ steht und darauf anspielt, dass mehr als jeder vierte Einwohner Neuseelands in Auckland wohnt.

Die sehr geringe Bevölkerungsdichte, verbunden mit der landschaftlich einzigartigen Schönheit Neuseelands waren ein der Gründe dafür, dass der Filmregisseur Peter Jackson Neuseeland 1997 als Drehort der Herr der Ringe Trilogie aus erkor. Durch den bahnbrechenden Erfolg der Filme, die Neuseeland unter dem Namen Middle Earth bekannt machten, wurden immer mehr Regisseure auf Neuseeland aufmerksam. Darunter auch der Regisseur der Narnia-Filme und wer „Prinz Kaspian von Narnia“ gesehen hat, wird diese Szene vielleicht kennen?

Die landschaftliche und vor allem kulturelle Vielfalt ist auch, das, was mich persönlich an Neuseeland am meisten fasziniert hat. Neuseeland ist wie ein Miniaturwunderland der ganzen Welt. Es gibt Strände wie in der Karibik, Mammutbaumwälder wie in den USA, Buschland wie in Afrika, Fjorde wie in Norwegen, thermalaktive Gebiete wie in Island und Berge wie in der Schweiz. Die kulturelle Vielfalt zeigt sich am deutlichsten am Beispiel der typischen Arkaden, die man in jedem noch so kleinen Dorf findet. Dort hat man die Qual der Wahl, sich zwischen dem Chinesen, Inder, Sushi Laden, Thailänder, Mexikaner, Italiener, fish and chips oder vielleicht doch Burger Fuel zu entscheiden, wobei man sich immer sicher sein kann,  von Köchen der entsprechenden Nationalität authentisch bekocht zu werden.

Kurzum ist Neuseeland ein tolles Land zum Aufwachsen, Leben und Altwerden aber auch für jeden, der ein Abenteuer erleben, herzliche Leute treffen, Vögel beobachten, SURFEN, die steilste Straße der Welt befahren, oder einfach nur dem Trubel des Alltags entfliehen will. Die Einzigen, denen ich abraten würde die lange Reise nach Neuseeland zu wagen, sind Gebäudehistoriker. Für die gibt es dort nämlich rein gar nichts zu sehen.

Fotos: Wenke Grahneis

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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 30. January 2014
Kategorie: LGH im Ausland

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