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Die Welt da draußen

Der Staat in der GroKo-Falle

von Matthias Böttger

Über vieles kann man sich erregen: Sei es darüber, dass der Rundfunkbeitrag um nur 73 Eurocent pro Monat sinkt, darüber, dass Boris Becker neuer Trainer des serbischen Tennisstars Novak Djokovic wird oder auch darüber,  dass Amazon-Mitarbeiter ausgerechnet zu Weihnachten streiken. Genauso sehr, ja noch viel mehr, sollte jedoch die neue Bundesregierung und ihre Postenverteilung Beachtung finden. Nachdem sich die Neukoalitionäre freilich schon mit der Aufstockung der Anzahl der stellvertretenden Bundestagspräsidenten in die Nesseln gesetzt und fröhlich selbst bedient hatten, kommt es nun zu einer von der Öffentlichkeit bislang weitgehend unbemerkten Postenvermehrung.

Um nicht nur die Staatssekretäre der Union und manch kompetenten FDP-Mann in der Regierung halten zu können, sondern auch der SPD eine ausreichende Postenzahl mit teils hochkarätiger Besetzung zu sichern, steigt die Zahl der parlamentarischen und der beamteten Staatssekretäre an – sie erreicht gar einen Höchststand in der Geschichte der Bundesrepublik. Einst von der ersten großen Koalition 1967 eingeführt, sollten junge Politiker als parlamentarische Staatssekretäre auf ein mögliches Ministeramt vorbereitet werden und den Amtsinhaber gegenüber dem Parlament vertreten. Zusätzlich ergab sich teilweise eine Kontrollfunktion innerhalb des Ministeriums, wenn der Minister einer anderen Partei als der parlamentarische Staatssekretär angehörte. Heute ist das Amt kaum noch zu mehr zu gebrauchen, als alle, die sich um einen Posten bemühen, ob jung oder alt, mit einem solchen zu versorgen. Nebenbei ist bezüglich der Stellvertreterfrage zu beachten, dass die beamteten Staatssekretäre in den Ministerien diese Rolle eigentlich bereits ausfüllen. Nur sie haben, neben dem Minister, überhaupt ein Weisungsrecht den Mitarbeitern gegenüber und gestalten die politischen Maßnahmen entscheidend mit.

In gewisser Weise muss man Union und SPD zugutehalten, nicht ein weiteres Ministerium geschaffen zu haben. Immerhin gibt es 14 Ministerien in Deutschland, in der Schweiz sind es nur sieben Departements, im sozialistisch regierten Frankreich hingegen 20. Den in Deutschland nicht gesetzlich festgeschriebenen, sondern weitgehend in der Hand des Bundeskanzlers liegenden Ressortzuschnitt hat man jedoch geändert.

Und das nicht ganz ohne den Gedanken an Wettbewerb zwischen den Ministern; während die Energiewende zumindest augenscheinlich in der Hand der SPD liegt, die mit Gabriel den neuen Wirtschafts- und Energieminister und mit Barbara Hendricks die neue Umweltministerin stellt – in der Tat wollen aber Merkel und das Kanzleramt mitsamt Minister für besondere Aufgaben, Peter Altmaier (CDU), ein gehöriges Wörtchen mitreden – sind andere Bereich weiter als je zuvor über die Ministerien verstreut.

Der Bereich Internet

Noch immer fühlen sich sowohl das Innen- als auch das Justizressort für die Internetsicherheit und rechtliche Rahmenbedingungen zuständig. Dazu kommt das Wirtschaftsministerium, in dem die ehemalige Justizministerien Zypries (SPD), neue parlamentarische Staatssekretärin für „IT und Raumfahrt“, und der beamtete Staatssekretär Kapferer (FDP), der als Vertrauter Phillip Röslers gilt, die Zuständigkeit übertragen bekommen haben. Damit auch die CSU noch mitreden darf, liegt die Verantwortung für die digitale Infrastruktur, insbesondere für den Breitbandausbau, im Verkehrsministerium.

Der Bereich Bau

Traditionell ein eigenes Ministerium gewesen, zuletzt ans Verkehrsministerium angehängt, liegt die Verantwortung dafür nun im Umweltministerium. Über eine etwaige Schwerpunktsetzung sagt das jedoch wenig aus. Zum einen ist der Bereich höchst abhängig von der Verkehrswegeplanung, zum anderen ist immer noch der Aufbau Ost prioritäres Thema der Regierungsarbeit. Er liegt nun nicht mehr im Innenministerium, sondern bei Gabriel im Fachbereich Wirtschaft.

Der Bereich Familie/Frauen/Soziales

Bislang war es die Aufgabe der Parteifreundinnen von der Leyen und Schröder (beide CDU), sich über dieses Themenfeld zu streiten. Ob selbiges auch mit den SPD-Ministerinnen Nahles (Arbeit und Soziales) und Schwesig (Familie, Senioren, Frauen und Jugend) der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Ursula von der Leyen jedenfalls möchte ihrerseits auch im Ministerium der Verteidigung dieses Politikfeld abdecken. Vereinbarkeit von „Familie und Dienst“ zählt sie zu ihren drei zentralen Aufgabenfeldern.

Ob von der Leyen allerdings auf Grund ihres neuen Postens und ihrer vermeintlich breiten Aufstellung tatsächlich zu den Gewinnern der Kabinettsumbildung gezählt werden kann, ist aus meiner Sicht fraglich. Zu fragil ist die Lage am Hindukusch, zu riskant wären Einsätze in Zentralafrika, wie von der französischen Regierung gefordert. Und auch Sigmar Gabriel als Gewinner zu bezeichnen, ist kaum möglich. Sich selbst aufgebürdet hat er das Thema Energiewende, bei dem es kaum Gewinner geben kann. Krisenmanagement ist auf der Tagesordnung, zu gestalten ist kaum noch möglich.

Nein, Gewinner kennt diese Regierungsbildung wahrlich allenfalls zwei. Neben Bundeskanzlerin Merkel – scheinbarer Garant für Stabilität und Sicherheit für das Volk, mehr aber auch nicht – und Bundesfinanzminister Schäuble (CDU); der Einundsiebzigjährige hat es ein weiteres Mal geschafft, dieses Schlüsselressort leiten zu können. Wenn er die ganzen vier Jahre durchhält, könnte er es sein, der Merkel aus dem Amt drängt und einen Nachfolger nach seinem Gusto etabliert. Es sei schließlich daran erinnert, dass er insbesondere in der Europapolitik eine andere Vorstellung – oder sollte man sagen, als einziger von beiden eine Vorstellung? – als Angela Merkel hat.

Neben der großen Gleichgültigkeit die über diese Regierung auch innerhalb ihrer selbst zu herrschen scheint, sind auch einige Verlierer auszumachen. Neben der winzigen Opposition und Peter Ramsauer, der sein Ministeramt als einziger unfreiwillig abzugeben hatte, obwohl er bei der Bundestagswahl das zweitbeste Erststimmenergebnis der CSU erreicht hatte, ist das natürlich das Wahlvolk; schon ganz unabhängig von der tatsächlichen politischen Ausgestaltung in den nächsten Jahren. Wie viele sich die große Koalition und damit Eintracht in der Politik gewünscht haben, konnte man in den Umfragen sehen. Man darf also gespannt sein, wann die Menschen begriffen haben werden, dass die Folgen ihrer Wahl langsam aber sicher ganz anders aussehen. Am besten kommt diese Erkenntnis so bald wie möglich, denn nichts ist effektiver die Regierungspolitik zu beeinflussen, als den sie tragenden Parteien bei Wahlen, etwa der Europawahl im Mai, einen Denkzettel zu verpassen. Falls es dazu kommt, wird er hoffentlich verstanden.

Bild: Mehr Demokatie e.V. via flickr.com

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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 22. December 2013
Kategorie: Die Welt da draußen

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