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Kurzgeschichten

“Ist hier noch frei?”

von Dana Labun File:Spiegelung Stuhl im Wasser.jpg

„Ist hier noch frei?“
Ich blinzle verwirrt und schaue nach links. Neben mir steht eine etwas ältliche Frau mit Lachfalten im Gesicht und deutet auf den leeren Platz neben mir.
Das Café, in dem sich sitze, ist nicht besonders voll, es ist gerade Mittag und Dutzende Erwachsene stehen an, um sich einen Kaffee mitzunehmen, aber die Sitzplätze sind größtenteils leer.
Ich nicke, nippe vorsichtig an meiner Latte und verbrenne mir prompt die Lippen.
Die Frau neben mir widmet sich mittlerweile ihrem Kuchenstück.
Ich drehe meinen Kopf wieder nach rechts und beobachte die vorbeigehenden Leute – oder vielmehr eine Gruppe von Schülern, die nicht weit entfernt vom Café stehen, das obligatorische Smartphone in der Hand, eingemummelt in Schals, die vage an Autoreifen erinnern und Militärjacken. Ein blondes Mädchen beugt sich gerade lachend nach vorn, sie klammert sich am Arm des Jungen neben ihr fest. Ich verziehe das Gesicht.
„Kennst du sie?“
Erstaunt drehe ich mich zu der Frau neben mir um. Sie sieht mich mit großen, fragenden Augen an und kaut.
„Ähm…“ Ich überlege. „Ja, schon. Sie sind mit mir auf der Schule. Ich habe nicht besonders viel mit ihnen zu tun, aber das…will ich auch nicht unbedingt.“ Freundlich ausgedrückt.
„Ah, verstehe.“ Sie lächelt. Bezweifle ich, denke ich und verziehe kurz das Gesicht.
„Aber die Blonde da sieht doch nett aus, oder?“, fragt die Dame weiter.
Ich lache trocken auf. „Ja, es ist nett von ihr, sich so viel mit…Leuten zu beschäftigen“, rutscht es mir heraus.
Die Frau lächelt- nein, sie grinst regelrecht, und plötzlich weiß ich, dass sie genau verstanden hat, was ich meine, trotz meiner beschönigenden Formulierung.
„Und was genau ist schlimm daran?“ Vielleicht doch nicht.
„Na ja, sie wechselt ihre…Vorlieben sehr oft-“, versuche ich zu erklären, aber sie stoppt mich. „Na und?“, fragt sie und sieht jetzt ernst aus.
Ich starre sie an. „Ich…weiß nicht“, sage ich langsam.
„Eben.“ Sie sieht jetzt wieder zufrieden aus.
Ich schlucke peinlich berührt und schaue wieder nach rechts. Irgendein Idiot zeigt gerade Bilder auf seinem Handy herum, die Umstehenden lachen und ich höre fast die abfälligen Kommentare.
„Was ist mit ihm?“ Schon wieder?, denke ich ungläubig und sage, ohne mich umzudrehen, „Er ist ein Idiot, unglaublich arrogant und er hält sich für was besseres und lassen Sie mich raten, jetzt fragen Sie wieder „Na und?““ Ich lächle halb, um es weniger harsch klingen zu lassen.
Sie lacht leise. „Nein, eigentlich nicht, aber schau doch mal.“
Ich runzle verwirrt die Stirn, aber sie deutet nur mit dem Kinn auf die Szene, die sich vor uns abspielt.
Der Junge zieht gerade seine Jacke aus und gibt sie einem Mädchen, das in ihrem dünnen Oberteil sicher friert.
Ich verdrehe die Augen. „Schön, dann ist er vielleicht nett zu seinen Freunden, aber das rechtfertigt nicht, dass er sich gegenüber allen anderen so verhält“, sage ich und versuche nicht einmal, meine Abscheu zu verbergen.
„Das sage ich auch gar nicht“, sagt die Frau ruhig. „Aber war er dir gegenüber irgendwann einmal unfreundlich?“ Ich denke nach. „Nein, eigentlich nicht“, sage ich langsam.
„Warum findest du ihn dann arrogant?“ Ich werde rot, als mir klar wird, dass ich es nicht weiß. Ein paar Gerüchte hier und da, das hatte gereicht. Ich hatte nie groß darüber nachgedacht.

Zu meiner Erleichterung blieb sie diesmal still.

„Warum fragen sie das alles?“, frage ich schließlich.
Sie lächelt geheimnisvoll. „Ich finde nur, dass man Leute nicht verurteilen sollte. Erstens kennt man die meisten dazu nicht gut genug und zweitens geht es einen nichts an.“
Sie hat Recht, realisiere ich und starre die Tasse vor mir an, bevor ich einen Schluck daraus nehme.
Ich will mich gerade umdrehen und zum Sprechen ansetzen, als mich eine Stimme stoppt.
„Ist hier noch frei?“
Neben mir steht ein Mädchen in meinem Alter und deutet lächelnd auf den leeren Platz neben mir.

Foto: Simon Eugster, Wikimedia Commons

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 18. December 2013
Kategorie: Kurzgeschichten

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