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Die Welt da draußen

Der Nachbar hat gewählt

von Matthias Böttger

Eigentlich unterscheidet sich das Wahlergebnis in Österreich kaum von dem in Deutschland: Gut 26% für die SPÖ stehen knapp 26% für die SPD entgegen. Um die fünf Prozent liegen die, natürlich nur eingeschränkt mit ihren deutschländischen Pendants vergleichbaren, liberalen Parteien, das Team Stronach und das „Neue Österreich“ (NEOS) auseinander. Ersteres ist gegen den Euro, wie in Deutschland die konservativere AfD, während der NEOS vor allem ein Aufweichen der festen bürokratischen und aus ihrer Sicht oft vetternwirtschaftlichen Strukturen im österreichischen Staatswesen am Herzen liegt. Sie deckt ähnliche Positionen wie die FDP ab, wenngleich sie libertärer auftritt sowie durch und durch proeuropäisch ist.

Das ist in der dortigen Parteienlandschaft, sieht man einmal von den Grünen ab, die im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen von einem ähnlichen Niveau aus leicht an Prozentpunkten gewinnen konnten, durchaus ein rares Alleinstellungsmerkmal.

Im konservativen Lager gibt es zwei Parteien neben dem aus dem Nationalrat ausgeschiedenen BZÖ, das man mit den Republikanern vergleichen kann, obgleich der Wirtschaftsliberalismus diesmal in den Vordergrund gestellt und die ausländerfeindliche, restriktive Einwanderungspolitik abgeschwächt wurde – ja, das kann als Grund für die Schlappe angesehen werden. Die zwei Parteien sind die sich im freien Fall befindende Volkspartei, die als christdemokratische Partei gerademal noch auf knapp 24% kam und sich daher kaum noch auf dieses einstmalige Prädikat berufen kann, und die bei dieser Wahl weiter erstarkte FPÖ.

Die Freiheitliche Partei Österreich hatte zwar auch nach dem Zweiten Weltkrieg bereits einen starken deutschnationalen Flügel, der allerdings bis Anfang der Achtziger immer weiter zurückgedrängt wurde. Man wollte sich liberal und sozial positionieren, ganz wie die deutsche FDP ging man eine Koalition mit der SPÖ ein – dem vorausgegangen war jedoch das schlechteste Abschneiden in der Geschichte mit weniger als 5% (zur Erinnerung: in Österreich gilt eine 4%-Hürde). 1986 kam Jörg Haider an die Parteispitze. Dieser führte sie immer weiter nach rechts, sodass sie heute als rechtspopulistisch, teils gar als rechtsextrem zu gelten hat, wenngleich sie sich selbst als „Drittes Lager“ in der Parteienlandschaft und berufen zur Fortführung der bürgerlichen Revolution 1848 sieht. Durch diesen Kurs hat die FPÖ es nun auch ohne ihren einstigen Frontmann wieder geschafft, nachdem sie 1999 zweitstärkste Partei wurde und bei den beiden vorangegangenen Wahlen 1994 und 1995 schon stärker war als heute, die früheren Volksparteien ÖVP und SPÖ einzuholen; sie erhielt mehr als jede fünfte Stimme.

Das einzig Gute, so könnte man meinen, ist, dass die langjährige Große Koalition (1945-1966, 1987-2000, 2007-heute) der SPÖ und ÖVP weiter im Amt bleiben kann. Sie ist längst Normalzustand im kleinen Nachbarland und konnte nur von einigen Alleinregierungen, dann der bereits erwähnten sozialliberalen Regierung und von 2000 an durch eine schwarz-blaue Koalition der ÖVP mit der FPÖ, die allerdings im Streit auseinanderging, unterbrochen werden. All diese Experimente wurden von der Bevölkerung auf Dauer nicht gutgeheißen.

Es ist aber auch klar, dass eine große Koalition, die lange Zeit deutlich über 90% der Sitze hielt und alle Positionen im Staat nach Proporz zu besetzen gedenkt, nicht zukunftsfähig ist und von radikalen Parteien schnell in die Ecke getrieben werden kann. Die Entwicklung ist, wenn auch nicht in ihrer Radikalität, mit derjenigen in der Weimarer Republik vergleichbar, wo Regierungen, die sich auf breite parlamentarische Mehrheiten in der Mitte stützten, über das Erstarken von Kommunisten und Nationalisten am Ende stürzten. Die Große Koalition liegt nach Stimmen nur noch 0,8 Prozentpunkte über der Mehrheit, nach Sitzen 7 von 183. Zum Vergleich, in Deutschland sind es immerhin 17,2 Prozentpunkte beziehungsweise 187 von 630 Sitzen.

Andere Regierungskonstellationen, wie in Deutschland schwarz-grün, sind in Österreich des Ergebnisses wegen kaum möglich. Die einzige Zweierkoalition, die sich rechnerisch noch ergibt, wäre SPÖ-FPÖ, wozu sich Erstere wohl kaum hinreißen lassen wird. Eine Koalition rechts der Mitte wäre nur unter Einbeziehung der FPÖ möglich, was das NEOS oder auch die Grünen – Bündnisse mit diesen sind auf Landesebene bereits gut erprobt – bereits ausgeschlossen haben. Auf der anderen Seite möchte die Volkspartei und insbesondere der Landeshauptmann (vgl. Ministerpräsident) ihrer Hochburg Niederösterreich, Erwin Pröll, der eine starke Stellung in der Partei innehat, nicht mit FPÖ und Team Stronach koalieren, weil man sich dann mit Stronach und Strache (FPÖ) zwei Populisten ins Haus holen würde. Die einzig denkbare Änderung in der Regierung wäre, das NEOS einzubeziehen, die neben der FPÖ als Wahlgewinner zu gelten haben. Ob sich die Regierungsparteien aber zu derartigen Zugeständnissen hinreißen lassen, ist fraglich. Mindestens genauso fraglich ist es aber, ob es in fünf Jahren wieder ausreichen wird. Protestthemen aufzugreifen und noch grundsätzlicher an relevante Problemstellungen heranzugehen, wird die einzige Möglichkeit für beide Parteien sein, sich wieder mehr zu etablieren.

Gleiches gilt im Übrigen für Deutschland in eingeschränkter Form auch. Der österreichische Bundeskanzler Faymann ist ähnlich beliebt wie Merkel, dennoch hat seine Partei, die SPÖ, gegenüber dem Stand von 2008 mit weniger als 30% weiter verloren. Sollte es nun zu einer großen Koalition in Deutschland kommen, würden wohl sowohl die Linken als auch die AfD gestärkt. Dieser Effekt wird sich zumindest kurzfristig dadurch zeigen, dass im nächsten Jahr in drei Hochburgen der Parteien, wie bei der Linken schon lang klar, bei der AfD erst bei dieser Bundestagswahl festzustellen, gewählt wird: in Brandenburg, in Sachsen und in Thüringen. Wegen dieses Umstandes sollte sich die FDP auch nicht auf einen natürlichen Trend verlassen. Schwung für sie könnte höchstens durch die seit jeher deutlich libertärere Landespartei in Sachsen entstehen, die aber allem Anschein nach von der Bundespartei ausgebremst wird.

Dass sich mit wirklich liberalem Gedankengut auch eine quasi revolutionäre Umbruchstimmung aufgebaut werden kann, hat das NEOS gezeigt, und obschon inhaltlich etwas verengt, auch die FDP 2009 bewiesen. Schließlich können in Deutschland kaum die vom Spiegel in den USA ausgemachten „Staatsverächter“ vorgefunden werden. Vielmehr besteht die Gefahr, dass der Bund weiter an Bedeutung und auch die Deutungshoheit über der Menschen Leben zusehends gewinnt. Bedrohung für die Freiheit der Menschen geht nicht von Videoüberwachung oder Vorratsdatenspeicherung aus, schließlich richten sich diese staatlichen Maßnahmen nicht gegen alle, wohl aber gegen Verbrecher. Die weitreichenden Bevormundungsvorschläge, die die Grünen im Wahlkampf vorgetragen haben, die mögliche Erhöhung der finanziellen Lasten durch Steuern neben der finanziellen Repression durch Zinsen, die unter der Inflation liegen, und nicht zuletzt eine Politik, die ausgemacht hat, wie Kinder am besten erzogen gehören, sind meiner Meinung nach bei Weitem gefährlicher – sowohl für die Individualität der Menschen als auch für den kollektiven Zusammenhalt der Gesellschaft.

Die deutsche Parteienlandschaft steht nun im Spannungsfeld zwischen weiterer Ausdifferenzierung und der Bedeutung der Volksparteien, insbesondere der CDU/CSU. Der Trend geht hin zu kleineren Parteien, daher muss die CDU aufpassen, ihre Stellung im Interesse stabiler Regierungen zu behaupten. Nur so können rechtsradikale Strömungen unterbunden werden. Viele politische Idealbilder sind schließlich verloren gegangen: Nicht nur eine Partei, die den starken Staat auf seine harte Hand bezieht, ansonsten aber liberal (und proeuropäisch) ist. Auch eine Partei, die ohne weitere ideologische Verwässerung (und proeuropäisch) liberal ist. Und trotzdem gibt es keine Partei, die Soziales mit Liberalismus verbindet (und proeuropäisch ist). Der politische Liberalismus ist fast tot. Keine der drei alten Parteien der Bundesrepublik – ja, auch die Volksparteien hatten einmal starke liberale Flügel – traut sich mehr, sich in diese Richtung zu positionieren. Alle demokratischen im Parlament vertretenen Parteien täten gut daran, sich zu öffnen, sonst überlässt man das Feld der AfD mit ihren Parolen gegen die gemeinschaftliche Währung, die wohl keine Erfolgsgeschichte, aber doch von Vorteil ist. Bei der Bundestagswahl gaben etwa 8% der Wähler ihre Stimme für Eurokritiker ab, in Österreich waren es fast 30%. Seien wir wachsam, dass nicht unter falschen Vorzeichen das Parteienspektrum nach außen vergrößert wird!

Bild: (c) dpa-infografik; schließt Wahlergebnis nach Wahlkarten und Briefwähler aus

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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 09. October 2013
Kategorie: Die Welt da draußen

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