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Die Welt da draußen

Das vergessene Wahlkampfthema

File:Bahnhof-GD-vom-Salvator.JPGvon Viktoria Kamuf

Anfang der Sommerferien war Schwäbisch Gmünd auf einmal überall: In den großen Tageszeitungen, im Fernsehen, im Bundestag, ja, sogar im Ausland. Man hätte fast stolz sein können.

Leider war der Anlass ein in verschiedener Hinsicht nicht besonders erfreulicher. Es ging um etwas, was eigentlich wichtig genug wäre, um Wahlkampfthema zu sein. Es ging um den Umgang mit Asylbewerbern in Deutschland.

 Allein im Juli dieses Jahres wurden über 11.000 Asylanträge gestellt. Auf deren Bearbeitung warten die Antragsteller größtenteils in Sammelunterkünften wie dem Wohnheim auf dem Hardt in Schwäbisch Gmünd. Dort leben derzeit 250 Flüchtlinge, praktisch isoliert vom normalen Leben.

Isoliert, weil ihnen nur wenige Chancen bleiben, aus der Sammelunterkunft hinaus ins Leben zu treten. So verbietet ihnen das Asylbewerberleistungsgesetz nämlich, eine Ausbildung zu beginnen oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ausgenommen davon sind ehrenamtliche Tätigkeiten sowie Tätigkeiten innerhalb der jeweiligen Einrichtung, in der sie sich befinden, und 1-Euro-Jobs, bei denen der maximale Stundenlohn mickrige 1,05 Euro beträgt. Es versteht sich von selbst, dass die Arbeiten außerhalb des Wohnheims auch nur dann ausgeführt werden dürfen, „sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde.“ (§5, Abs.1). Und trotzdem hilft es einem Asylanten bei der Bewerbung auf Aufenthaltsverlängerung, wenn er eine Beschäftigung vorweisen kann.

Um überhaupt ein Leben bestreiten zu können, erhält ein jeder Asylbewerber monatlich 346€ Grundsicherung, weswegen sie auch gern mit Hartz-IV-Empfängern verglichen werden. Jedoch ist es im Fall der Flüchtlinge den Zuständigen freigestellt, ob sie dieses Geld bar und/oder über Essenspakete und Gutscheine aushändigen.

In jedem dieser Fälle – sei es ein Praktikums- oder Jobangebot oder die Verfügbarkeit des Geldes – kommt es demnach vor allem auf die Entscheidungen von Kommune und Landkreis an. Die Asylbewerber sind abhängig von ihrer Umgebung und den für sie zuständigen Politikern.

Das ist – grob gesagt – die Situation der Asylanten in Deutschland; in Schwäbisch Gmünd haben sie Glück gehabt. Sie sind in einer Stadt gelandet, die offenbar bereit ist, auf sie einzugehen und ihnen zu helfen. Der Gmünder Bürgermeister Richard Arnold (CDU) sagt nicht nur, dass ihm die Belange der Asylbewerber am Herzen liegen, er kümmert sich auch im Rahmen seiner Möglichkeiten darum, dass sie nicht zur Untätigkeit verdammt tagein, tagaus im Wohnheim sitzen müssen. Es ist nicht einfach, da etwas zu finden – die Auswahl ist gering – , doch gerade das sollte kein Punkt sein, an dem man verzweifelt, sondern vielmehr einer, der einen erst recht zum Handeln zwingt.

Während der Stauferwoche zum Beispiel wurden mehrere von ihnen für den Auf- und Abbau der Tribüne angestellt, andere absolvieren ein Praktikum in der Verwaltung des Rathauses und der Nächste kümmert sich um die Instandhaltung des Jugendtreffs. Und dann sollte es da noch die Kofferträger geben. Zehn Männer, die am Bahnhof den Reisenden helfen, die absurd hohe Treppe, welche derzeit als Notlösung über die Gleise führt, mitsamt Gepäck, Kinderwägen, Rollstühlen oder Ähnlichem zu meistern. Sie verdienten 1,05 Euro die Stunde, wie vom Gesetz vorgeschrieben. Busticket und Getränke bekamen sie bezahlt. Sie hatten sich freiwillig gemeldet, als Mitte Juli das Projekt begonnen werden sollte. Sie bekamen rote T-Shirts und Namensschilder. Sie waren dunkler Hautfarbe, aber das sollte ja eigentlich egal sein. War es aber nicht.

Genau zwei Tage waren die Männer beschäftigt, dann zog sich die Bahn zurück und schwenkte auf die Beschäftigung ihrer eigenen Mitarbeiter um. Warum? Angeblich wussten sie nichts von den schlechten Arbeitsbedingungen, der (in den engen rechtlichen Grenzen) schlechten Bezahlung, die sie ja mitfinanzierten. Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass sie einer peinlichen Situation aus dem Weg gehen wollten.

Die peinliche Situation war eine Beschwerdewelle, die durch ganz Süddeutschland und bis nach Berlin zog. Laut wurden Begriffe wie „Kolonialismus“ und „Sklavenarbeit“ in den Medien genannt, Assoziationen, die bei dem Anblick von schwarzen Männern, die Koffer tragen, bei einigen hervorgerufen wurden. Und dann war da natürlich noch die Sache mit den Strohhüten. Eigentlich sollten sie gegen die Sonne schützen, wurden dann aber zum Symbol der Unterdrückung hochstilisiert.

Nun kann man die Wahl von Strohhüten für sehr unglücklich halten, denn tatsächlich haben leider in der Vergangenheit schwarze Sklaven mit Strohhüten ihren weißen reichen Herrschaften die Koffer getragen. Doch diese Menschen, um die es hier geht, sind keine Diener, sondern waren Angestellte von Stadt und Bahn. Die Beschwerden über Unterbezahlung sind berechtigt, müssten aber im Bundestag eingereicht werden und nicht in Schwäbisch Gmünd. Niemand wollte sie ausbeuten, aber jemand wollte ihnen helfen. Ein „Bitte“ und ein „Dankeschön“ integrieren noch lange keinen Menschen, doch was ist dagegen totale Isolation?

Wer beim Bild dieser Männer an Unterdrückung und Sklaverei denkt und die Stadt Schwäbisch Gmünd und ihren Bürgermeister anprangert, Klischees zu pflegen und wiederaufleben zu lassen, der trägt selbst das Klischee weiter, ja mehr noch, es ist tief in ihm verankert. Vermutlich kann er nichts dafür, sondern seine Umgebung und die Gesellschaft, in der er aufgewachsen ist. Doch wir müssen lernen, uns von diesen Klischees zu befreien und unser Denken selbst in die Hand zu nehmen. Dann wäre es endlich möglich, über das eigentlich Wichtige zu diskutieren: Über die schlechten bis unmenschlichen Verhältnisse, in denen Flüchtlinge in Deutschland leben müssen und über das Unvermögen der Gesellschaft, diese Flüchtlinge zu integrieren.

Hier in Schwäbisch Gmünd wird diese enorm nötige Debatte leider von ein paar in guter Absicht verteilten Strohhüten verhindert. Wäre die Wahl doch nur auf Baseballkappen gefallen.

Bild: File Upload Bot (Magnus Manske) via Wikimedia Commons

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Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 17. September 2013
Kategorie: Die Welt da draußen

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