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Die Welt da draußen

Die seltsame Renaissance des Günther Oettinger

ein Plädoyer von Matthias Böttger

Promoveatur ut amoveatur! Er werde befördert, um ihn loszuwerden! Das war, was im Raume stand, als Angela Merkel den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg 2010 als Kommissar nach Brüssel berief. Wohlgemerkt nicht etwa als einen der Vizepräsidenten der Kommission, zuständig für Justiz, Industrie, Verkehr, Wettbewerb, den Euro – nein, zuständig für Energie. Konkrete Kompetenzen, die über den Verbraucherschutz hinausgehen, hat die EU eigentlich nicht. Der Kommisar darf das Erbe der Montanunion, der ersten supranationalen Organisation, die von 1952 bis 2002 für die Deregulierung des Kohle- und Stahlhandels in Europa zuständig gewesen war, verwalten; er leitet die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom), die sich 1957 der Förderung der Kernkraft verschrieben hat und im Rahmen dessen an Fusionsenergie und ionisierender Strahlung im Bereich von Industrie und Medizin forscht. Als studierter Volkswirt und Rechtswissenschaftler fühlt er sich in dieser Materie natürlich fast wie zu Hause. Deshalb beschäftigt er sich auch viel lieber mit Fragen, die in nationale Kompetenzbereiche fallen und deren Umsetzung demnach eher unwahrscheinlich ist.

Nach einer eher unscheinbaren Anfangsphase, in der er unter anderem mit dem Vorstoß, in ganz Europa Einspeißevergütungen für erneuerbare Energien, wie im deutschen EEG geregelt, einzuführen, in den Unionsstaaten Unmut erregte, fand er Anfang 2011 seine Rolle. Schon einen Monat vor der überhasteten Abschaltung der deutschen KKW nach Fukushima machte er klar, dass der Binnenmarkt im Energiesektor nur mit einem zügigen Ausbau der Energienetze bewältigt werden könne. Im Übrigen steht er der Kernenergie grundsätzlich positiv gegenüber, was ihn nicht daran hindern sollte, nach Fukushima über einen EU-weiten Ausstieg aus der Technologie nachzudenken. Nun soll es immerhin alle sechs Jahre internationale Prüfergruppen in den KKW geben. Erfolgreicher hat er sich dafür eingesetzt, die Verbrauchswertgrenzen bei PKW nicht so stark abzusenken, wie ursprünglich von der europäischen Kommission vorgesehen war.

Richtig in Fahrt kam der ehemalige Ministerpräsident aber erst in den letzten beiden Monaten. Neuen Technologien gegenüber müsse man aufgeschlossen sein, erklärte er im Kontext der Fracking-Debatte – und wohl auch mit Stuttgart 21 im Hinterkopf. Die Infrastruktur dürfe nicht vernachlässigt werden, diffuse Gefühle den Fortschritt nicht verhindern. Inzwischen hat das Bundeskabinett sich übrigens mit der aktuellen Rechtslücke zufrieden gegeben und will keine Fracking-Regeln mehr festlegen.

Den Gipfel fand seine Kritik, die auch auf die Bundes- und Landesregierung von Baden-Württemberg abzuzielen scheint, jedoch auf dem Treffen der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer (debelux-AHK), wo er klarmachte, dass er den Zustand der EU mit dem des dekadenten Roms für vergleichbar und das ganze bürokratische Gebilde sowie einige Mitgliedstaaten für Sanierungsfälle halte. Diese von ihm ausgemachte Dekadenz gehe eben auch nicht einfach so wieder weg, man dürfe nicht „glauben, alles werde gut“ – sondern man müsse reformieren, erst die eigenen Probleme in den Griff bekommen, bevor man etwa die USA, Russland oder China belehren könne.

Falls Merkel wirklich beabsichtigt haben sollte, Oettinger loszuwerden, nach Brüssel „wegzuloben“, so ist das gründlich misslungen. Nicht nur, dass er nun mehr mediale Beachtung genießt als wohl je zuvor und aufgrund seiner externen Sichtweise als objektiver eingeschätzt wird. Darüber hinaus hätte sich das Land Baden-Württemberg mit ihm an der Spitze anstelle des erzkonservativen und reichlich ungeschickten Stefan Mappus wohl anders entwickelt. Vielleicht wäre mit Anti-S21-Demonstration anders umgegangen, vielleicht die Landtagswahl unmittelbar nach Fukushima gewonnen worden. Und sicher wäre der Union die EnBW-Affäre und damit verbunden ein enormer Image-Verlust erspart geblieben.

Viel Unmut scheint sich bei ihm angestaut zu haben; diesem lässt er nun freien Raum. Gegen Brüssel, gegen die neue Landesregierung, aber auch sehr offensichtlich gegen die Kanzlerin. Sein Reformelan und -eifer scheint zwar eher jüngerer Natur, er ist aber vorhanden und aus Überzeugung vorgetragen. Mit seiner Position als Energiekommisar kann er sich zwar schwerlich identifizieren, ein guter Politiker und Redner ist aber dennoch. Wobei dabei, wie schon lange, sein größtes Hindernis die Sprache ist. Wäre er nicht, insbesondere für Norddeutsche, so schwer zu verstehen, so wäre er wohl auch in der CDU in einer Führungsposition, wenn nicht gar Bundesminister. Ein derartiges Comeback hätte von ihm wohl wirklich niemand erwartet. Betrachtet man die Alternativen, so auch das aktuelle Bundeskabinett, merkt man schnell, dass er keine schlechte Wahl wäre. Befördert ihn, zum Nutzen des Staates! Eum promovete e salute rei publicae!

Bildquelle: By CDU/CSU-Bundestagsfraktion (own work), (CC-BY-SA-3.0(http://www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)), via Wikimedia Commons.

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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 23. June 2013
Kategorie: Die Welt da draußen

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