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Die Welt da draußen

Warum der Papst-Rücktritt falsch ist

von Lea Müller und Matthias Böttger

File:003 Besuch S H Papst Benedikt XVI in Berlin 22 09 2011.jpgFast schon zur Normalität ist es geworden, dass ein Politiker, wie kürzlich Annette Schavan oder vor einem Jahr Bundespräsident Christian Wulff, zurücktritt. Sei es aufgrund von Affären, durch Unruhen in Partei oder Regierung geschwächt respektive aus dem völlig unvorhersehbaren Grund des fortgeschrittenen Alters. Dass aber ein Papst sein Amt aufgibt, bevor er stirbt, ist neu. Entsprechend erstaunt reagiert nun die breite Öffentlichkeit – kaum einer kann sich wirklich erklären, was Benedikt XVI. dazu getrieben haben mag, etwas zu tun, das seit Jahrhunderten keiner tat. Der Papst hat angekündigt, dass Ende des Monats, pünktlich zur Tagesschau, die Sedisvakanz eintreten, also kein rechtmäßiger Führer der römisch-katholischen Christenheit mehr im Amt sein werde.

Doch nach dem Erstaunen macht sich bei den meisten Menschen Verständnis breit. Der Job sei schließlich mit derartigen Belastungen verbunden, das könne der alte Mann gar nicht mehr schultern. Beim Renteneintritt macht den meisten Menschen, gerade denen, die großen körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind, eine Grenze von 67 Jahren schon sehr zu schaffen; der Papst ist bekanntlich bereits in seinem 86. Lebensjahr! Manch ein Experte meint des Weiteren, Ratzinger habe das Amt nie gewollt und gleichfalls zu keinem Zeitpunkt wirklich an ihm gehangen. Jetzt, wo die Affären um Kindesmissbrauch, Vatikanbank und den Geheimnisverrat durch den Kammerdiener (Vatileaks) halbwegs ausgestanden gewesen seien, habe sich schlichtweg die Gelegenheit zu diesem Schritt ergeben. Darauf hat der Papst, der es nicht schaffte die Kirche wieder ins rechte Licht zu rücken, was er selbst als Ziel erklärte, ein Recht – von niemandem kann er gehindert werden, jedoch auch nicht gedrängt, da es sich um einen autonomen Willensentschluss handeln muss. Das ist 1983 im Canon 332 Paragraph 2 durch Papst Johannes Paul II. verankert worden. Anscheinend hatten außerdem sowohl er als auch seine beiden Vorgänger bereits Schreiben vorbereitet, die den Rücktritt bekannt geben sollten. Diese kamen gleichwohl bekanntlich nicht zum Einsatz. Vielleicht auch, da das Kirchenrecht ohnedies für eine „völlige Behinderung des römischen Bischofsstuhls“ die gleichen Regeln wie für die Vakanz vorsieht.

Unter dem Druck der Öffentlichkeit, der im Zuge der Skandale entstanden war, wollte der Papst seine Kirche nicht im Stich lassen. Da tut sich doch schnell die Frage auf, warum nun wieder nur das Alter, das ja bekanntlich bei allen seinen Vorgängern nicht das geringste war, als Grund in Frage kommt. Sicher ist der Gesundheitszustand Benedikts schlecht, von längeren Reisen riet ihm sein Leibarzt schon längere Zeit ab. Andererseits treten auch andere, ebenso schleichende Prozesse in den Vordergrund; sollte nicht etwa der Apparat des Vatikanstaats seine Macht gefährdet gesehen haben? Die Fassade bröckelt schließlich zunehmend. Zugeben würde das wohl kaum einer, auszuschließen ist es aber nicht. Man denke nur an Johannes Paul I., den ersten Papst mit Doppelnamen, der nach 33 Tagen an der höchsten Stelle der Kirche plötzlich verstarb. Noch mysteriöser ist da, dass man sich erzählt, er habe aufrecht und lächelnd in seinem Bett gesessen, als man ihn gefunden habe.

Aber: sofern die Entscheidung tatsächlich aus freien Stücken gefallen ist, wenn keinerlei Intrigen und Machtkämpfe als Auslöser in Frage kommen, hat dieser Entscheid, den Schritt wirklich zu wagen, dann nicht noch eine viel größere Tragweite als schon ohnehin?

Man erinnere sich, warum das Pontifikat auf Lebenszeit zu wählen ist. Es handelt sich um die Berufung und Pflicht eines, eines einzigen Menschen, der als Stellvertreter Christi nur diesem unterstellt und demnach in religiösen Fragen unfehlbar ist. Nach der Theorie kann aber nur der Herr selbst bestimmen, wann es eines neuen Papstes bedarf. Dies tut er durch den Tod des Vorherigen. Einem katholischen Laien und wohl überhaupt jedem aufgeklärten Menschen kommt das freilich reichlich suspekt und fundamentalistisch vor; es liegt aber auf der Linie, der viele vom Vatikan geprägte Vorgaben folgen. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Medienberater des Papstes nicht müde wird zu erklären, dass es sich bei der Regel, der Papst bleibe Papst bis zu seinem Tode, nicht um ein Gesetz Gottes sondern lediglich um eine Tradition handele.

So modern und zeitgeistig, wie regelrecht ehrenhaft auch immer es erscheinen mag – richtig ist dieser Rücktritt aus Sicht der Institution Kirche sicherlich nicht. Er schadet ihr geradezu, denn so kann sie sich künftig nicht mehr auf einen Gott berufen, dessen Geheiß von niemandem auf Erden hinterfragt werden kann. Beispiel im Sinne der Lehre hat Benedikt XVI., der es als Theologe eigentlich besser wissen müsste (wollte er vielleicht gar ein Zeichen setzen, zu dem er mit seiner Amtsmacht aufgrund der Verhältnisse im Kirchenstaat nicht fähig war?), für die vielen Gläubigen auf allen Kontinenten also ganz klar nicht gegeben. Ist Gott jetzt auch bei allen anderen Menschen nicht mehr Herr über Leben und Tod? Sollte das etwa bedeuten, Suizid werde vom Vatikan künftig unterstützt, Sterbehilfe beworben? Glaubwürdigkeit, die säkulare Kräfte in der Gesellschaft, aber gleichermaßen von der Kirche Enttäuschte immer häufiger, immer intensiver und, wie wir meinen, zurecht einfordern, kann so jedenfalls nicht wiederhergestellt werden.

Wenn nun im Zuge der Nachfolgersuche auf ein Signal seitens der Kardinäle gehofft wird, so ist es viel wichtiger, dass der nächste Papst wieder ein jüngerer sein wird, als dass es sich dabei um den ersten Schwarzen in dieser Position handeln könnte. Es muss jemand sein, der noch lange die nötige Kraft für die Aufgaben haben wird. Ansonsten stellt sich die Rücktrittsfrage möglicherweise bald wieder und Reformen haben keine Chance, in Gang zu kommen. Wenn die Kirche ihre Stellung halten will, darf die jetzige Situation keinesfalls zur Regel werden. Die sonst sooft insbesondere von Papst Benedikt XVI. angestrebte Abgrenzung von der Weltlichkeit und dem Positivismus sollte im Sinne der Stabilität und Integrität der Kardinäle gerade auch hier Alleinstellungsmerkmal bleiben – im Gegensatz zu vielen anderen Feldern kann die Unnachgiebigkeit an dieser Stelle vielleicht sogar als positive Standhaftigkeit wahrgenommen werden. Alternativ könnte man sich natürlich wünschen, dass auch andere “Traditionen” angepackt und umgekrempelt werden. Dies dürfte allerdings noch eine ganze Weile ein frommer Wunsch bleiben!

Bildquelle: WDKrause über Wikicommons

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 13. February 2013
Kategorie: Die Welt da draußen

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3 Kommentare zu “Warum der Papst-Rücktritt falsch ist”

  1. 1. Es gibt nur einen, der in Fragen der Religion unfehlbar ist: Gott
    Wer sich anmasst, einem anderen ausser Gott Unfehlbarkeit zu attestieren, stellt Gott in seiner Einzigartigkeit in Frage und betreibt Polytheismus (die Autoren sollten sich mal anschauen, was die beiden monotheistischen Religionen Judentum und Islam zum Thema Papst bzw. dessen angebliche Unfehlbarkeit zu sagen haben, sehr interessant…)

    2. Die Autoren schreiben, dass man sich nun nicht mehr auf Gott berufen kann und dass (siehe oben) der Papst in puncto Religion unfehlbar sei.
    Der Papst hat seinerzeit auch weggeschaut und geschwiegen, als Juden in Nazideutschland ermordet wurden. Das sei eben die Strafe Gottes, “denn die Juden haben ja Jesus Christus auf dem Gewissen”
    Wenn wir nun der Argumentation der Autoren folgen, so hat der damalige Papst richtig gehandelt, denn er ist ja unfehlbar…

    Liebe Autoren, so einen Quatsch habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Gott sei Dank bin ich nicht katholisch!

    Geposted von Anonymous | February 22, 2013, 00:08 | Antworten
  2. Diesen Artikel finde ich ausnahmsweise mal wirklich gut, er hätte etwas länger sein können, weniger Bezug auf Intrigen nehmen – aber naja…

    Anonymous muss ich hingegen klar widersprechen:

    Der Papst ist sehr wohl nach Lehrmeinung der Kirche in Fragen der Auslegung der Bibel und des Glaubens unfehlbar. Seine Meinung hierzu drückt er schließlich in seinem Enzykliken aus. Auch andere Religionen haben oberste Führer, die zumeist, ähnlich wie in erster Linie früher auch der Papst, gleichzeitig als weltlicher Herrscher agieren.

    Des Weiteres ist durch diese Entscheidung sehr wohl tangiert, was lange als Selbstverständlichkeit galt; nämlich dass Gott über Leben und Tod entscheidet, über das Schicksal der Menschen richtet! Diese Dingen werden aber (erstaunlich) offen angesprochen in letzter Zeit, auch bei der Pille danach zu sehen.

    Die Rolle des Vatikan während des Dritten Reiches kann wohl nicht abschließend geklärt werden und ist eine Streitfrage für sich, die nichts direkt mit dem Rücktritt, den der Artikel behandelt, zu tun hat. Anzumerken ist aber, dass auch im Neuen Testament eine bewusste Hinwendung zu Gott gefordert wird, um an seiner Barmherzigkeit teil zu haben.

    Ich bin auch nicht katholisch, halte den Artikel aber für angemessen recherchiert.

    Geposted von Die Ente | February 26, 2013, 22:59 | Antworten
  3. Hat sich denn noch keiner Gedanken gemacht, warum er nun wirklich zurückgetreten ist? Aus Gesundheitlichen Gründen tritt ein Papst nicht einfach zurück, das ist ja auch nicht ganz seine eigene Entscheidung (oder zumindest wird er doch von hochrangigen Diplomaten beraten).

    Was haltet ihr hiervon:

    http://karfreitagsgrill.wordpress.com/2013/02/13/itccs-papst-benedikt-dankt-ab-um-verhaftung-und-beschlagnahme-kirchlichen-vermogens-bis-ostern-zu-entgehen/

    Demnach besteht also ein Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofes wegen dubioser Machenschaften v.a. der Vatikanbank.

    Geposted von 128 | March 17, 2013, 19:50 | Antworten

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