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“Es drückt all das aus, woran ich glaube.”

Nachtrag: Der französische Starautor Éric-Emmanuel Schmitt über „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ im Stuttgarter Institut Français


von Lea Frauenknecht

 „Monsieur Ibrahim et les fleurs du coran“, zu Deutsch: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, ist die Lektüre, die den Oberstufen-Französischschülerinnen und -schülern, die sich am 15. Oktober 2012 zusammen mit ihren Lehrern nachmittags im Institut Français in Stuttgart einfinden, nur ein allzu bekannter Begriff sein sollte. Und heute haben sie sogar die Chance, von der sämtliche gleichaltrige Lateinschüler nur träumen können: Den Autor ihrer Pflichtlektüre live zu sehen und ihn aus jenem Buch lesen zu hören, durch das sie sich bereits seit Wochen gequält haben. Oder auch nicht. Eines stellt Schmitt, ein gut Fünfzigjähriger mit markantem Gesicht und kurzem Haarschnitt jedoch am Ende der Veranstaltung noch klar: „Wenn euer Französisch-Abitur schlecht wird, liegt das nicht an mir – sondern an euch.“ Er hat Humor, der Mann.

 Obwohl die Veranstaltung im Institut Français von vornherein auf eine gute Stunde terminiert ist, lernt man in dieser kurzen Zeit erstaunlich viel und nicht nur Biographisches über Schmitt, sondern auch über die Ideen und die Beziehungen, die zwischen dem Franko-Belgier und seinen Werken bestehen. Zunächst liest er zwei kürzere Passagen aus „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, einem Buch, das die Geschichte des heranwachsenden Momo in einem Vorort von Paris erzählt, dessen Leben sich schlagartig in eine andere Richtung zu bewegen beginnt, als der alte Kolonialwarenhändler Monsieur Ibrahim ihn in die Philosophie des islamischen Sufismus einzuführen beginnt. Ein Bonuspunkt hier für uns eifrig lauschende Schülerinnen und Schüler: Schmitts Französisch ist klar, seine Geschwindigkeit hat er eindeutig seinem Zielpublikum angepasst. Später wird er sagen, dass sein 2004 mit dem „Deutschen Buchpreis“ ausgezeichnetes Werk keinerlei biographische Elemente enthält, was die jugendliche Hauptperson Momo und zum Beispiel dessen im Buch schlechte Beziehung zu seinem Vater angeht, mit dem er selten mehr als ein paar Worte wechselt. Die Komponenten von „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, in denen man den Autor selbst finden kann, sind keineswegs mit den Charakteren verbunden: Einerseits ist es die Szenerie, mit der sich der Autor an einem realen Ort orientiert, andererseits die Gesamtaussage des Buches, zu der er anmerkt: „Il [le livre] exprime tout à ce que je croix“, zu Deutsch: „Es [das Buch] drückt all das aus, woran ich glaube“. Wesentlich mehr als nur zu den Charakteren als Individuen berichtet Schmitt zu ihren Beziehungen untereinander: Momo und Monsieur Ibrahim zum Beispiel würden sich „hors de la société“, also „außerhalb der Gesellschaft“ bewegen, beide auf der Suche nach total gegensätzlichen Attributen, die sie schließlich in ihrer Beziehung selber finden: Monsieur Ibrahim das Kind-Sein, Momo das Erwachsenwerden.

 Aber nicht nur Beziehungsstrukturen werden in „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ sehr ausführlich dargestellt. Wie der Titel bereits verrät, geht es hier auch um den Islam, in diesem Fall konkret um die Philosophie des Sufismus, die Monsieur Ibrahim dem halbstarken Momo zu vermitteln sucht. „L’idée du soufisme est que le corps a une fonction dans la vie spirituelle“, die Idee des Sufismus sei es, dass der Körper im spirituellen Leben eine Funktion einnimmt, beschreibt Schmitt seine Auffassung und nennt sein 2003 erschienenes Buch deshalb auch ein „conte philosophique“, ein „philosophisches Märchen“. Ursprünglich jedoch hat er „Monsieur Ibrahim“ für das Theater geschrieben, da es sehr viel von den menschlichen Beziehungen und ihrer Dialogform untereinander lebt. Einem konventionellen Genre möchte er das Stück allerdings nicht zuteilen: „C’est limiter la liberté d’écrire“, „Das schränkt die Freiheit beim Schreiben ein“, ist er überzeugt. Und warum nun der Titel, warum ausgerechnet „Die Blumen des Koran“? „Monsieur Ibrahim a compris le coran comme des fleurs ce qui signifie qu’il y a beaucoup de différentes possibilités de lire et d’interpréter le coran“, antwortet er. Laut ihm sieht Monsieur Ibrahim den Koran als verschiedene Blumen an, die man ebenso verschieden interpretieren kann.

 Je weiter die Stunde fortschreitet, desto mehr erfährt man teils durch Nachfragen aus dem Publikum auch zu Schmitts Vorgehen, was das Schreiben angeht. Er redet zum Beispiel vom hohen Grad der Fiktion, der seine Bücher durchzieht: „Pour moi, écrire n’est pas photocopier“, für die Entstehung seiner Charaktere benutzt er also einzig und allein seine Fantasie und keine realen menschlichen Vorbilder, denn: „Schreiben heißt für mich nicht, alles zu kopieren“. Seine Bücher sollen im Leser dessen inneren Entdeckergeist wecken, der ihn dazu bringen soll, seine Mitmenschen besser kennenzulernen, beziehungsweise die fiktiven Abbilder der Menschheit in Schmitts Büchern.

Menschenkenntnis – eine Gabe, die Schmitt selbst sehr gut beherrscht, und für die er auch Andere sensibilisieren will.

Für ein Interview mit der Farbfleck-Redaktion reichte ihm die Zeit nach der offiziellen Stunde leider nicht mehr, aber es sei ihm verziehen, pries er doch am Ende noch einmal ausdrücklich seine enge Verbundenheit mit der deutschen Kultur, insbesondere der Philosophie und der Musik. Seinen engen Bezug erhielt er, auch wenn er kein Deutsch spricht, durch seine Großeltern, die im Elsass, also nicht weit der deutsche Grenze, wohnten.

Am Ende bleibt nun nur noch, den geneigten Leser dieses Artikels auf ein paar weitere Bücher Schmitts aufmerksam zu machen und somit an den Entdeckergeist zu appellieren: Zuallererst natürlich „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, oder, für diejenigen, die es lieber auf Französisch mögen: „Monsieur Ibrahim et les fleurs du coran“. Drei weiter sehr bekannte Bücher Schmitts sind „Odette Toulemonde“ (2006), das bereits verfilmte „Oscar et la dame en rose/ Oscar und die Dame in Rosa“ (2009). Ein Zirkel, der das religiöse Interesse Schmitts anhand verschiedener Konfessionen weiterspinnt, ist der „Cycle de l’invisible“.

 

Bildquelle: By Bilby (Own work) [CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 19. January 2013
Kategorie: Stars on Page

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