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Die Welt da draußen

Sie sind unter uns …

von Benjamin Škulec

Herbert A. Cráh sitzt an seinem Schreibtisch und prüft die Bilanzen seiner Teppichverlegefirma, die er mit Kapital aus seiner eigentlichen Heimat Rumänien gründete. Er ist Ende 30, trägt ein billiges Jacket, Papier türmt sich vor ihm auf dem Tisch.
Seine Nachbarn waren zuerst mißtrauisch, haben die Zugezogenen jedoch bald akzeptiert. Seit sieben Jahren wohnen die Cráhs nun hier. Manchmal werden Sie von den Knaiers nebenan zum Essen eingeladen. Sie führen eine glückliche Ehe. Hermann ist die Art Mensch, die man positiv nicht in Erinnerung behält.

Sein Handy vibriert.
Er wirft einen kurzen Blick auf das Display, steht auf und geht zum Aktenschrank neben der Tür, schliesst ihn auf und packt eine Tasche.
In der Küche steht Frau Cráh und bereitet das Mittagessen vor. Ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, verlässt Herbert das Haus.

In der Kirche sitzt der Meßdiener neben der Haupttür. Er passt darauf auf, dass die perspektiv- und pietätslose Dorfjugend nicht das geheiligte Inventar zerdeppert. Er steht auf, um zu grüßen, ein trockenes, unnatürliches Geräusch später sinkt er zurück in den Stuhl. Er wirkt nun etwas leblos.
Herbert geht weiter, das Schloss hält seinem Werkzeug keine Sekunde stand.
Oben auf dem Turm öffnet er seine Tasche. Arretiert beim Rausholen automatisch Schaft und Lauf. Er bringt die Stütze am Lauf an. Schalldämper anschrauben, Zielfernrohr prüfen und nachjustieren. Seitenwind einschätzen, das Ziel ins Visier nehmen und entsichern. Er hat Zeit.

Schläfer sind eine Instanz der Geheimdienste und Terrororganisationen. Es sind ausgebildete Killer (Worin besteht denn Spionagearbeit? Töte den Richtigen, um diese Information zu kriegen, kill den, der weiß zu viel…), die meist über Jahre hinweg ein Scheinleben aufrecht erhalten, nur um eines Tages einen Anruf, eine SMS, mit einer verschlüsselten Botschaft zum Inhalt, zu erhalten und aktiv zu werden.

Sie denken nun: – ich kenne doch meine Nachbarn – ich weiß genau von wo die hergezogen sind. Die haben doch eine ordentliche Arbeit, solche Augen können doch nichts verbergen.
Ich habe mal seinen Pass gesehen!
Bullsh*t.
Geheimdienste sind kreativ, nicht nur in dem, was sie der Öffentlichkeit erzählen, sondern auch, was die Identitäten ihres Operationsbestecks angeht. Als Agent besitzt man wenigstens eine Identität pro Land. Die Bourne Trilogie zeigt das sehr schön.

Es ist ein unumstößlicher Fakt, dass Schläfer existieren. Sie sind da, wo man sie potentiell mal brauchen könnte. Also nahezu überall.
Vielleicht in ihrer, vielleicht auch in meiner Nachbarschaft.

Resumée:
Sie sind hier, direkt unter u

Man fand Benjamin Škulec erschossen an seinem PC, den fast vollständigen Artikel noch geöffnet. Vermutlich wusste er zu viel.
Um die Welt nicht im Dunkeln zu lassen, veröffentlichen wir seinen Artikel nun trotzdem und trauern um einen unserer besten Redakteure.

– die Chefredaktion –

 

Bildquelle: von Bryan Helfrich (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

 

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 12. January 2013
Kategorie: Die Welt da draußen

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Ein Kommentar zu “Sie sind unter uns …”

  1. R.i.P. РM̦ge sein Lachen nie vergehen :D

    Geposted von The King | January 24, 2013, 11:46 | Antworten

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