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Die Welt da draußen

Amanda Todd – Trauer oder Heuchelei?

von Jakob Dürr

Amanda Todd – ein Name, dem man in letzter Zeit kaum aus dem Weg gehen konnte. In sämtlichen sozialen Netzwerken häufen sich die Mitleidsbekundungen, viele Nachrichtenagenturen greifen den Fall auf und die Anti-Mobbing-Bewegung bekommt frischen Wind.

Ein Rückblick, nachdem sich die allgemeine Hysterie gelegt hat:

Für diejenigen unter euch, die sich noch nicht damit beschäftigt haben: Die 15-Jährige Amanda Todd aus Vancouver brachte sich am 10. Oktober wegen Mobbings um. Das ganze begann, als ein Fremder, vor dem sie sich vor ihrer Webcam entblößt hatte, sie damit erpresste und Fotos von ihren Brüsten an alle ihre Schulfreunde schickte. Sie wurde damit aufgezogen, wechselte die Schule, an der jedoch auch alle die Fotos kannten, schlief dort mit einem Jungen, der in einer Beziehung war, wurde von dessen Freundin angegriffen, die von allen Umstehenden angefeuert wurde. Ihr wurde gesagt, dass niemand sie mögen würde und sie trank am Abend dieses Tages Bleichmittel. Sie überlebte, bekam Antidepressiva und verletzte sich weiterhin selbst. Ihr wurde gesagt, dass sie es das nächste Mal besser mit einem anderen Bleichmittel versuchen solle, damit es auch wirklich funktioniert.

Dies zumindest erzählt sie in einem Youtube-Video, in dem sie über 8 Minuten Karteikarten in die Kamera hält, kurz bevor sie sich umbrachte.

Ich möchte dieser Geschichte weder ihre Tragik noch ihre Traurigkeit absprechen, doch die Bewegung, die sich um dieses Mädchen und ihr Video formiert hat, ist mir dennoch ein wenig suspekt. Ich bin des Weiteren auch ein klarer Gegner von Mobbing und Diskriminierung, doch folgende Punkte stören mich an der Ikonisierung Amandas:

  • Ich weiß nicht, was Amanda Todd so sehr von all denen unterscheidet, die sich auch wegen Mobbings umbringen, von denen es jedoch Unzählige gibt. Wenn sie ein tragischer Einzelfall wäre, könnte ich das verstehen, doch es gibt tausende weitere Fälle, die kaum jemanden interessieren oder nur in Statistiken auftauchen. Amanda hat jedoch Facebook-Rest-in-Peace-Seiten mit hunderttausenden Likes. Was macht sie so besonders?
  • Die Problematik des Mobbings bestand schon vorher, doch das Interesse daran kommt erst jetzt zum Vorschein, und es wird wohl wieder verschwinden, wenn eine gewisse Zeit vorbei ist, wie es bei den meisten Themen ist. Dann wird wieder fast niemand darauf bedacht sein, Mobbing passiv wie aktiv Einhalt zu gebieten.
  • Diejenigen, die die Fixierung auf diesen einen Fall damit rechtfertigen, dass man so besser  das öffentliche Interesse auf diese Problematik lenken könne, machen sich der Heuchelei schuldig, da sie dann ja nicht an Amanda selbst, sondern nur an ihrer öffentlichen Wirksamkeit interessiert sind.
  • Man konzentriert sich auf sie, obwohl ihr niemand mehr helfen kann, doch kaum jemand spricht über die, die jetzt in diesem Moment Opfer von Mobbing und Ausgrenzung sind und denen man noch helfen kann.  Diejenigen, die das tun, fokussieren sich hauptsächlich jedoch auf Lösungsmöglichkeiten wie dem eingeschränktem Zugang zu sozialen Netzwerken, doch niemand spricht darüber, dass man den Kindern erklären sollte, dass man sich nicht vor der Webcam ausziehen darf, wenn ein Fremder einem sagt, man sei hübsch, was in diesem Fall das Ganze ja erst verursacht hat.
  • Die Selbstjustiz, die in diesem Fall insbesondere die Organisation Anonymus betreibt (welche kurz nach ihrem Tod den Namen des mutmaßlichen Erpressers, welcher sich dann jedoch als der wahrscheinlich Falsche herausstellte, ins Netz stellte), finde ich sehr problematisch. Hier wird Unrecht mit Unrecht vergolten und in gewisser Weiße eine weitere Mobbing-Kampagne gegen einen wahrscheinlich Unschuldigen oder zumindest nicht bewiesen Schuldigen losgetreten. Hier sollte man besser das reaktionäre Verhalten ablegen und sich fragen, wie man denn selbst mit Anderen umgeht.

Vielleicht irre ich mich und der Fall Amanda Todds erregt wirklich so viel Interesse und Mitgefühl, dass sich etwas tut. Dann wäre für mich die Ikonisierung berechtigt gewesen, obwohl sie den Beigeschmack der Heuchelei und des Mittels zum Zweck behalten würde. Bis dahin sollte sich allerdings jeder der 1,1 Millionen, denen „RIP Amanda Todd“ gefällt, fragen, ob er oder sie wirklich etwas gegen Mobbing unternehmen will, oder nur versucht sein schockiertes Gewissen zu erleichtern, bis etwas anderes aktuell ist. Ein jeder derer sollte sich fragen, warum man gerade sie und nicht auch die unzähligen anderen, welche täglich aufgrund von Mobbing sterben, betrauert.

 

Bildquelle:By Bpenn005 at en.wikibooks [Public domain], from Wikimedia Commons

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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 12. November 2012
Kategorie: Die Welt da draußen

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