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Kurzprosa: Es war still in dem Zimmer

von Nils van der Straeten

Es war still in dem Zimmer. Niemand sprach, keiner der Schüler hatte bisher den Mut dazu aufgebracht. Sie verspürten Furcht, man sah es in ihren Gesichtern, der Raum war erfüllt von ihr. Vielleicht war gerade sie der Grund, warum kein Lehrer zu sehen war. Sein Platz war verlassen, einzig ein kleiner schwarzer Hut kündete von seiner Präsenz. Schweigend saßen die Schüler beisammen, Tisch an Tisch, Schulter an Schulter. Vorn die jungen, hinten die alten, so hatten alle den Blick auf den Hut frei, der dort vorne drohte. Niemand rührte sich, alles lag still da.

Die Schüler saßen da, aufrecht, ordentlich, furchtsam, den Blick auf den Hut geheftet. So verging die Zeit, alles blieb, wie es war. Wolken zogen im Zimmer auf, es begann zu dunkeln. Langsam und still setzte der Regen ein. Benetzte die Gesichter der Schüler, ihre Kleidung. Doch niemand wagte, sich zu rühren. Langsam, kaum merklich wird der Regen stärker, Pfützen bilden sich auf dem Boden und den Pulten. Nass sind nun die Kleider, kleine Rinnsale strömen von den Schülern herab in die langsam steigende Flut. Immer noch ist kein Laut zu hören, der Regen fällt lautlos. Die Schüler wagen nicht, ihre Haltung zu ändern. Schließlich erreicht das Wasser die Schuhe der Schüler, es beginnt vorn. Als seien sie froh über den Platz, ergießen sich die Fluten in die Schuhe und füllen sie, ziehen die Hosenbeine entlang. Dunkel und schwer hängt die Kleidung an den Schülern herab.

Nun sieht man es, eine Veränderung. Unmerklich, kaum fassbar, es beginnt vorn, Angst tritt an die Stelle der Furcht. Als sie die letzten Reihen erreicht wird der Regen zu einem Schleier, nimmt jegliche Sicht, alles verdeckt er. Noch immer rührt sich niemand, alles bleibt still, doch der Hut beginnt langsam zu treiben. Die erste Reihe scheint schon vollkommen von der Flut verschlungen zu sein. Der Hut treibt, eine Strömung führt ihn zur gläsernen Wand. Dort folgt er nun endlich seiner wahren Bestimmung. Er beginnt zu steigen. Reihe um Reihe versinkt in den Fluten. Niemand rührt sich, alles liegt still da.
Schließlich erreicht der Hut die Decke, alles ist von Wasser bedeckt. Eine Klingel zerreißt die Stille, die Wolken beginnen langsam sich zu lichten. Das Wasser strömt ab. Durch eine Laune wohl, ruht der Hut wieder auf seinem Platz. Vor ihm erstrecken sich die verlassenen Pulte. Da werden Schüler hereingeführt, setzen sich, die kleinen nach vorn, die großen nach hinten. Niemand rührt sich, alles ist still, niemand spricht.

 

Bildquelle: By Bobo12345 at English Wikipedia (Transferred from en.wikipedia to Commons.) [Public domain], via Wikimedia Commons

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 10. November 2012
Kategorie: Farbflecken

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