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Ausgestrahlt und Abgedruckt

“Californication” im Wandel der Zeiten

Foto: Lea Frauenknecht

Falls ihr demnächst mal wieder dazu verpflichtet seid, ein wenig Small Talk          zu führen, etwa auf der Hochzeit eurer Großcousine zweiten Grades, sei euch ein exzellentes Thema gesagt, das unter Umständen mit einer Frage klärt, ob der Verwandte um dutzende Ecken, der vor euch steht, es wirklich wert es, sich mit ihm auch nur über die kulinarische Qualität des Nachtischbuffets auszulassen. Die Red Hot Chili Peppers sind durchaus ein guter Richtwert, seine Verwandtschaft in „spießig“ und „cool“, in „langweilig“ und „facettenreich“ zu unterteilen und dem leidigen Thema „Familienfeier“ einen vertrauten Beigeschmack zu geben.

Foto: Lea Frauenknecht

Kennt der Angesprochene, etwa ein Großonkel aus dem Harz, die wohl populärste, aber trotzdem Punkrock-aber-eigentlich-klingen-sie-immer-nur-wie-sie-selbst-Band nicht, bringt es wohl höchstens etwas, ihm eines der zehn qualitativ hochwertigen Alben zu empfehlen, wobei etwa „Californication“ für einen Neuling auf dem Gebiet der Red Hot Chili Peppers ob seiner für die Band charakteristischen Klänge sehr empfehlenswert ist, und sich dann weiter hartnäckig kontraproduktiv anzuschweigen. Oder, falls es sich denn lohnen sollte, sich unauffällig ans Nachtischbuffet zu verabschieden. Ist dem aber nicht so, und Großonkel Hans-Walter kennt die Red Hot Chili Peppers – dann ist dies wohl Gesprächsthema genug für einen ganzen Abend, und keineswegs nur für oberflächlichen Small Talk. Es könnte sogar passieren, dass man über der Fachsimpelei das Nachtischbuffet vergessen sollte, so exzellent es auch sein mag. Denn man hat es mit einer Band zu tun, die den Einzelnen prägt. Wieso überhaupt?

Ich persönlich kenne zwar natürlich auch Freunde, die die Red Hot Chili Peppers nicht kennen, mit denen man aber trotzdem stundenlang mehr als nur Small Talk quatschen kann. Minus dieses eine Thema, versteht sich. Auf der anderen Seite kenne ich aber auch niemanden, der die vier Kalifornier kennt und sie nicht mag. Manche sind mit ihnen aufgewachsen, weil die Eltern selber Red Hot Chili Peppers hören. Manche stolperten zufällig über eine CD oder LP, deren Inhalt sie in hypnotische Ekstase versetzte. Auch wenn ich zu letzterer Gruppe gehöre, möchte ich in diesem Artikel 30 Jahren Bandgeschichte und den damit verbundenen Veränderungen auf den Zahn fühlen, mich fragend, was die Red Hot Chili Peppers sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene, zwischen denen unter Umständen mehr als nur 30 Jahre Altersunterschied liegen, zu einem absoluten Muss macht. Und selbstverständlich sollen auch diejenigen, denen der Name Red Hot Chili Peppers oder auch RHCP bisher noch kein Begriff war, von dem stundenlang exzessiv möglichen Hörgenuss und seinem Ursprung erfahren, den der Name hinter einem noch unbekannten Cover bereithält.

Aber zuerst einmal zu den Wurzeln und zur Entwicklung der Band bis heute: Vom Jahr 1983 bis ins Jahr 2012 und hoffentlich noch weit darüber hinaus. Als ich mir neulich das zweite Album der Band, „Freaky Styley“ aus dem Jahr 1985, als LP kaufte und es dann mit dem neuesten Album „I’m with you“ (2011) verglich, wurde mir zum ersten Mal klar, was für einen klanglichen Wandel die mittlerweile nicht mehr ganz so blutjunge Truppe aus Los Angeles hinter sich hat. Aus den Küken des Punkrock, die in „Nevermind“ selbstbewusst ihren späteren Erfolg vorhersagen („Nevermind the Men at Work/ those tunes are for the jerks/ ’cause we’re the Red Hot Chili Peppers“) sind heute schon sehr erwachsene Männer geworden, deren Texte plötzlich sehr ernst klingen, wie etwa in „Ethiopia“: „Tell my boy/ I love him so/ tell him so he knows/ lost in Ethiopia/ we walk out in that road“. Beide Alben, nur Randteile eines gigantischen klanglichen Puzzles, sind jedoch eher unbekannt, zumindest unter denjenigen, die die Red Hot Chili Peppers nur schemenhaft kennen. Zwischen Gitarrensaiten, die aus Fingern springen wie die Erbsen an Knallsträuchern und langsamen, melancholisch anmutenden Akkorden, zu denen die ernste Stimme Anthony Kiedis erwachsene Worte vertont, liegt das, was man wohl als DIE Red Hot Chili Peppers bezeichnen würde: Der unverkennbare Sound von etwa „Californication“ (1999), „By the way“ (2002) und „Stadium Arcadium“ (2006). Freche Gitarrenstimmen, Texte, die auf der Zunge provozierend zerplatzen wie Kaugummiblasen und sich abwechseln mit melancholisch-sehnsüchtig-langsamen Rockballaden und so der Punkrocklegende ihren einzigartigen Untergrund bereiten.

Und auch, wenn etwa die Gitarristen der Band über die Jahre hinweg schon acht verschiedene Namen trugen, so besteht der harte Kern der Red Hot Chili Peppers doch immer noch aus dem Sänger Anthony Kiedis, dem Bassisten Michael „Flea“ Balzary und seit 1989 auch aus dem Schlagzeuger Chad Smith. Seit 2009 ist Josh Klinghoffer der aktuelle Gitarrist der Band. Aus vier Schulkameraden (Anthony Kiedis, Michael Balzary, Hillel Slovak und Jack Irons), die im Los Angeles der frühen 1980er Jahren anfingen, zusammen Punkrock zu machen, sind heute drei Männer Anfang fünfzig geworden und ein mit Anfang 30 dazu verglichen recht junger Josh Klinghoffer. Doch als die Vier letztes Jahr während der Präsentation ihres neuen Albums „I’m with you“ auf den Dächern von Venice Beach herumhüpften, schien es fast so, als seien sie kein Jahr älter geworden seit ihrer Zeit an der Fairfax High School.

Doch wer jetzt denkt, die Red Hot Chili Peppers mag nur, wer ihre lange klangliche Tradition schätzt und ihren immer noch unverwechselbaren Sound, der irrt. Denn ich könnte allein von vier Alben eine lange Liste von ganz gegensätzlichen Stimmungen machen, zu denen je mindestens ein ganz bestimmter Song passen würde. Habe ich Fernweh lausche ich den weiten Gitarrenakkorden von „Factory of Faith“ oder stelle mir den Text von „Road Trippin’“ bildlich vor. Brauche ich dagegen ein Lied, das meine Stimmung aufwertet mokiere ich mich in „Nevermind“ über Mainstream-Bands oder singe leise zu „Purple Stain“: „Knock on wood we all stay good/ ’cause we all live in Hollywood“. „Snow (Hey Oh)“ ist sowieso ein Klassiker, egal ob zum Trimesterputz oder Mathelernen. Und um verliebt durch verschneite Fußgängerzonen zu laufen, kann ich „dosed“ (zu Deutsch: „süchtig“) nur empfehlen. So könnte ich die Liste noch unendlich lange fortführen und auch auf YouTube gibt es schier unzählige Videos die Titel tragen wie etwa: „My 40 favourite songs performed by the Red Hot Chili Peppers“.

Das Einzige, was mich wirklich betrübt an dieser Band ist leicht nachvollziehbar, wenn man die Seite der Red Hot Chili Peppers aufruft (redhotchilipeppers.com) und sich die Tourdaten für die kommenden Monate anschaut: Bis Februar sind zwar knapp 40 Konzerte eingetragen, allerdings nur in den USA, Kanada, Neuseeland, Australien und Südafrika, nie in Deutschland oder auch nur im europäischen Raum.

Das bedeutet für alle, die über diese Band jetzt schon sagen können: „I got dosed by you“ (zu Deutsch: „Du hast mich süchtig gemacht“): je nach Stimmung weiter brav LPs und CDs in Endlosschleife hören. Und für all jene, denen demnächst eine Familienfeier blüht und die die Frage nach der Lieblingsband endlich nicht mehr mit einem unentschiedenen Herumdrucksen erwidern wollen: Fleißig YouTube beanspruchen. Dass die Red Hot Chili Peppers süchtig machen, gilt nämlich für so ziemlich alle. Außer denen, die den seichten Mainstream-Pop sowieso dem Punkrock vorziehen. Selber schuld können Chad, Flea, Anthony und Josh dazu nur sagen, denn: „Nevermind the British Bands/ nevermind the Synth Funk bands/ ’cause we’re the Red Hot Chili Peppers!“

(Lea Frauenknecht)

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 21. September 2012
Kategorie: Ausgestrahlt und Abgedruckt

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