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“Jeder Gläubige, der die Kirche verlässt, schmerzt uns”

Bild: Andreas Gerhardt

Die soziale Gerechtigkeit rückt besonders im 21. Jahrhundert immer stärker in den Mittelpunkt der Wahrnehmung. Sowohl der Staat, als auch soziale Einrichtungen versuchen die Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft zu beheben. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, stellte sich den Fragen der alten farbfleck-Chefredaktion und ließ dort tief in die Seele der katholischen Kirche blicken.

Bild: Andreas Gerhardt

derfarbfleck: Eure Exzellenz, vor zwei Monaten feierte Papst Benedikt XVI. seinen 85. Geburtstag. In welcher Form haben Sie ihm Ihre Glückwünsche übermittelt?

Erzbischof Robert Zollitsch: An den Feierlichkeiten, die der Heilige Vater bewusst im kleinen Kreis halten wollte, konnte ich persönlich in Rom teilnehmen. Es war sehr schön, dass er zunächst mit uns Bischöfen und Angehörigen die Heilige Messe gefeiert und dabei selbst gepredigt hat. Nachher war es eine bewegende Begegnung mit viel bayerischem Flair, eben ein Familienfest.

derfarbfleck: Inwiefern stehen Sie als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz im persönlichen Kontakt mit dem Heiligen Vater?

Zollitsch: Der Kontakt ist regelmäßig. Wenn ich in Rom bin und wichtige Anliegen mit dem Heiligen Vater zu besprechen habe, bekomme ich eine Audienz. Das sind dann oft sehr persönliche Begegnungen. Der Papst interessiert sich für die Lage der Kirche in Deutschland. Gerade beim Besuch des Heiligen Vaters im letzten Jahr habe ich gespürt, wie sehr der Papst der Weltkirche auch Deutscher geblieben ist.

derfarbfleck: Sind Sie der Meinung, dass die deutsche Staatsangehörigkeit des Papstes ein besonderes Verhältnis zwischen dem Vatikan und den deutschen Würdenträgern fördert.

Zollitsch: „Wir sind Papst“ – das gilt immer noch. Deshalb dürfen wir Deutsche zu Recht stolz sein, einen von uns auf dem Stuhl Petri zu wissen. Und genauso ist klar: Wir können den Heiligen Vater nicht für uns allein beanspruchen, sondern müssen hier – und das wollen wir auch – seine weltkirchliche Verantwortung sehen.

derfarbfleck: Ist das Amt des Pontifex Maximus zeitgemäß?

Zollitsch: Ja! Es ist nicht nur zeitgemäß, sondern gehört zum Wesen der katholischen Kirche. Das Amt des Papstes als Nachfolger des Apostels Petrus kann nicht eben mal abgeschafft werden. Wir sprechen von „Apostolischer Sukzession“, damit wird die Vollmacht unseres Herrn Jesus Christus auf den Papst und die Bischöfe weitergegeben. Im Übrigen zeigt sich das große Interesse am Papstamt doch auch durch die hohe Wertschätzung von mehr als zwei Millionen Pilgern auf dem Petersplatz im letzten Jahr und Hunderttausenden Gläubigen, die ihn bei den Auslandsreisen sehen und gemeinsam mit ihm Gottesdienst feiern möchten.

derfarbfleck: Sie selbst sagten einmal, Deutschland würde mittlerweile im Vatikan als Missionsland wahrgenommen. Wie sehen Sie konkret die Situation der katholischen Kirche in Deutschland?

Zollitsch: Viele Elemente unseres kirchlichen Lebens sind heute nicht mehr so selbstverständlich wie vor 20 oder 40 Jahren. Wir sind weniger geworden, aber wir sind – mit 24,6 Mio Katholiken – immer noch sehr viele in Deutschland. Deshalb gilt, dass wir das Evangelium auch für morgen in die Gesellschaft hineintragen und an die kommende Generation weitergeben. Vor allem meine ich, sollten wir das Positive der Kirche hervorheben, bei allem notwendigen Wandel. Der jüngste Katholikentag in Mannheim hat mir da viel Mut gemacht. Das war ein Fest des Glaubens und der Zuversicht, dass die Kirche von morgen eine Chance hat und eine entscheidende Rolle in dieser Welt spielt. Es geht darum, so hat es Papst Benedikt formuliert, den Geist und das Herz Vieler für die Sehnsucht nach Gott zu öffnen. Wir deutschen Bischöfe haben zu diesem Anliegen vor mehr als zehn Jahren ein Wort verfasst, das heute nichts an Aktualität verloren hat: „Missionarisch Kirche sein“. Darauf kommt es an.

derfarbfleck: Ist die Kirche, mit all Ihren ethischen Werten und Vorstellungen, überhaupt noch in der Gesellschaft verankert? So musste etwa die katholische Kirche allein 2010 in Deutschland rund 180.000 Austritte verkraften.

Zollitsch: Ja, die Kirche ist in der Gesellschaft verankert. Natürlich schmerzt uns jeder Gläubige, der die Kirche verlässt. Aber stellen Sie sich einmal vor, die Kirche würde ihre caritativen Dienste einstellen: Staat und Gesellschaft könnten diesen Verlust personell, finanziell und ideell gar nicht auffangen. Oder was wäre, wenn wir die fast 1000 konfessionellen Schulen schließen? Wir haben eine Verankerung in der Gesellschaft und wir werden unseren Auftrag in der Gesellschaft auch künftig wahrnehmen.

derfarbfleck: Im ursprünglichen Sinn ist mit Kirche die Gemeinschaft aller Gläubigen gemeint. Kümmert sich die katholische Kirche nicht zu stark um institutionelle Probleme bzw. um sich selbst, anstatt die Gläubigen ausreichend im Blick zu haben?

Zollitsch: Wir Bischöfe suchen in unseren Bistümern gemeinsam mit den Gläubigen nach Wegen und Möglichkeiten, um eine Pastoral an und mit den Menschen zu ermöglichen. Das, was in den Medien gerne transportiert wird, sind Konflikte. Aber die Wahrheit ist doch: Es geht uns um die Frage nach Gott, um den Menschen und die Gemeinden. Da müssen wir auch künftig den Schwerpunkt unserer Arbeit setzen.

derfarbfleck: Worin liegen die Gründe für den massiven Vertrauensverlust?

Zollitsch: Wie begründen Sie einen angeblichen „massivenVertrauensverlust“? Nochmals: Jeder Gläubige, der die Kirche verlässt, ist ein Schmerz für uns. Aber gerade deshalb schauen wir nicht tatenlos zu, sondern handeln, in dem wir eine Seelsorge der Zukunft aufbauen. Zur Seelsorge der Zukunft gehört unsere Verpflichtung in der Gesellschaft. Und gerade hier sehe ich einen großen Vertrauensvorschuss und hohe Wertschätzung. Weil unsere caritativen Einrichtungen und die Schulen so hervorragend sind, wird ihnen ein ganz besonders Vertrauen entgegen gebracht.

derfarbfleck: Inwieweit passt Glaube und Religion in den modernen Zeitgeist des 21. Jahrhunderts?

Zollitsch: Glaube und Religion sind auch im 21. Jahrhundert nicht nur notwendig, sondern konstitutive Bestandteile der Welt. Eine Welt ohne Glaube und Religion verarmt, wäre geistig schwach und menschlich noch anfälliger. Religion gibt dem Menschen Halt, Orientierung und vermittelt Werte. Was wäre unsere Welt, wenn diese Trias nur noch von der Politik verantwortet oder ausschließlich von wirtschaftlichen Interessen geleitet würde?

derfarbfleck: Oftmals wird der Zölibat als einer der stärksten Belege für die Rückständigkeit der katholischen Kirche, insbesondere Ihrer Sexualmoral, benannt. Ist der Zölibat Ihrer Meinung nach für einen starken Glauben wirklich notwendig?

Zollitsch: Der Zölibat hat nichts mit Rückständigkeit zu tun, sondern er zeigt: Der Priester stellt sein ganzes Leben ungeteilt in den Dienst für Gott. Deshalb sind unsere Priester, die diese Lebensform bewusst wählen, zufriedene Menschen. Jeder darf und kann sich für seine Lebensform frei entscheiden, Sie ja auch. Und wenn ein junger Mann sagt, dass er Priester werden möchte und zölibatär zu leben bereit ist, sollte die Gesellschaft das nicht nur akzeptieren, sondern auch gutheißen. Denn es ist eine Entscheidung aus freiem Willen und nicht unter Zwang.

derfarbfleck: Auch die Frauenordination wird von vielen Kirchenkritikern immer wieder ins Gespräch gebracht. Was spricht gegen eine solche?

Zollitsch: Wir könnten jetzt alle Reizthemen durchgehen, zu denen schon oft und ausführlich das Notwendige gesagt worden ist. Die auf Jesus Christus zurückgehende Tradition sieht nun einmal das Priesteramt für den Mann vor. Dem wissen sich die katholische wie die orthodoxen Kirchen verpflichtet. Als katholische Kirche haben wir viel in den letzten 30 Jahren geleistet, die Rolle der Frau in der Kirche aufzuwerten: das fängt bei wichtigen Führungspositionen im Vatikan an, das geht über Lehrstuhlinhaberinnen an Hochschulen bis hin zum wertvollen Einsatz in der Gemeindeseelsorge, den Frauen wahrnehmen.

derfarbfleck: Der evangelischen Kirche ergeht es zurzeit nicht anders als der katholischen: Auch sie verliert immens an Rückhalt. Ist nicht gerade jetzt – in Zeiten der Schwäche, wenn man es so nennen will – Ökumene wichtiger denn je?

Zollitsch: Ja, ohne Frage. Und daran arbeiten wir kontinuierlich. Wir spüren als evangelische und katholische Christen, dass wir mit Blick auf unsere gesellschaftliche Akzeptanz alle im gleichen Boot sitzen. Ich bin daher sehr dankbar, wie positiv sich das ökumenische Gespräch auf hoher Ebene und auch in den Gemeinden in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat.

derfarbfleck: Worin liegen Ihrer Meinung nach die höchsten Hürden, die für eine gelingende Annäherung der beiden Kirchen noch zu nehmen sind?

Zollitsch: Es geht nicht um Annäherung im Sinn von politischen Koalitionsverhandlungen, es geht um die Lösung theologischer Fragen. Dazu gehört etwa die theologische Auseinandersetzung über die Frage des Verständnisses des Abendmahls und verbunden damit über die Amtsfrage und damit die schon oben erwähnte „Apostolische Sukzession“. An diesen Punkten müssen wir arbeiten. In den kommenden Jahren wird es außerdem darum gehen, das Reformationsgedenken 2017 auch ökumenisch auszugestalten.

derfarbfleck: Der Glaube an Jesus Christus eint alle christlichen Kirchen und bildet deren gemeinsamen Mittelpunkt. Doch was bedeutet Christsein überhaupt im Alltag?

Zollitsch: Dass wir im Vertrauen auf die Nähe, Liebe und Führung Gottes leben. Gott ist eben kein abstraktes Prinzip, sondern in Jesus Christus Mensch und damit einer von uns geworden. Wer an ihn glaubt, hat den Mut, auch den Zumutungen des Lebens nicht auszuweichen. Und diesen Glauben brauchen wir nicht zu verstecken. Christsein im Alltag bedeutet deshalb auch, ein öffentliches Zeugnis abzulegen. Das kann ohne großes Aufsehen geschehen, z. B. wenn ich in Ruhe vor jedem Essen ein Tischgebet spreche, das kann aber auch sichtbar sein, wenn ich einen Teil meiner eigenen Zeit in den Dienst von Kirche und Gesellschaft stelle. Dieses Ehrenamt, der Einsatz für den Nächsten ist für mich ein wertvoller Ausdruck eines Christseins im Alltag. Und da wird viel, sehr viel und oft unbemerkt geleistet. Gerade auch von Jugendlichen, deren Einsatz gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.

derfarbfleck: Selbst der Apostel Petrus, immerhin der Fels, auf den Jesus Christus seine Kirche bauen wollte, musste sich die Frage gefallen lassen, warum er zweifle und kleingläubig sei, als er im See Genezareth zu versinken drohte (Mt 14,31). Inwiefern sind Glaube und Zweifel miteinander verbunden?

Zollitsch: Der Zweifel gehört zum Glauben. Und gerade das stärkt ja den Glauben, wenn ich nicht schon immer alles weiß und sage, wie es geht, sondern wenn ich mich und meine Argumente auch hinterfrage und beim anderen Rat suche. Die größten Fragenden der Geschichte wurden zu den größten Theologen. Sie nennen Petrus, nehmen wir z. B. auch Thomas von Aquin hinzu. Der war ein solch Suchender, dass er immer neu Fragen an sich und die Theologie stellte und durch das Nachfragen einen unerschütterlichen tiefen Glauben gewonnen hat.

derfarbfleck: Zweifeln auch Sie als Mann des Glaubens? Und falls ja, wer oder was kann Sie stets aufs Neue bestärken?

Zollitsch: Mich stärken – gerade auch angesichts so mancher offener Fragen – das Gebet und die Feier der Eucharistie. In der persönlichen Zwiesprache mit Gott fühle ich mich in seiner Hand gehalten und von ihm verstanden. In der Feier von Tod und Auferstehung Jesu verdichtet sich für mich die Heilsgewissheit, aus der heraus ich als Priester und Bischof lebe: Gott ist bei uns.

derfarbfleck: Die Theodizee-Frage, die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, etc.: Wer sich mit Glauben beschäftigt, stößt nolens volens auf viele Fragen. Welche theologische Frage beschäftigt Sie am meisten?

Zollitsch: Wie gelingt es uns, in Ihrer Generation und künftigen Generationen die Frage nach Gott lebendig zu halten? Das Motto der Reise des Heiligen Vaters im letzten Jahr lautete: „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. Daran möchte ich weiterarbeiten, diese Frage bewegt mich. Denn in Gott kommt alles zusammen: Die Welt, das Leben, Sie und ich.
Das Interview führten Johannes Gansmeier und David Irion

 

Robert Zollitsch, geboren am 9. August. 1938 in Filipowa,
1960 Reifeprüfung am Gymnasium in Tauberbischofsheim,
1960-1964 Studium der Theologie in Freiburg und München,
1965 Weihung zum Priester,
1974 Promotion zum Doktor der Theologie,
Seit 2003 Erzbischof von Freiburg und Metropolit der Oberrheinischen Kirchenprovinz,
Seit 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 25. June 2012
Kategorie: Stars on Page

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