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Die Welt da draußen

“Ich fühle mich überhaupt nicht eingeschränkt”

Markus Rehm ist einer der erfolgreichsten deutschen Leichtathleten. Markus Rehm ist Behindertensportler. Mit vierzehn Jahren hatte er beim Wakeboarden einen schweren Unfall mit einem anderen Motorboot, er geriet mit seinen Beinen in die Schiffsschrauben. Mehrere Tage lang kämpften die Ärzte darum, seine Beine, dennoch musste nach einer Blutvergiftung sein rechter Unterschenkel amputiert werden. Für Markus Rehm sollte das aber nicht bedeuten, nie wieder Sport betreiben zu können: Schon knapp ein Jahr später stand er wieder auf dem Board und trainierte mehr als je zuvor, diesmal mit wasserfester Prothese. Nach seinem Schulabschluss entschied er sich für eine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker und Bandagisten. Vor kurzem hat er die Meisterschule erfolgreich abgeschlossen und ist neben seinem sportlichen Engagement halbtags berufstätig. Für Markus Rehm ist der Sport zum sehr wichtigen Lebensinhalt geworden. Er tritt national und international in den Leichtathletik-Disziplinen Weitsprung und 100 Meter zu Wettkämpfen an und ist seit 2010 Weltrekordhalter im Weitsprung. Diesen Rekord verbesserte er dann nochmals bei den IPC Weltmeisterschaften 2011 in Neuseeland. Zurzeit trainiert Markus Rehm für die Paralympics 2012 in London. Im Interview spricht er über das eigene Verständnis von Sport mit Behinderung.

„Herr Rehm, was bedeutet es für Sie, „behindert“ zu sein?“

Markus Rehm: „ Bei dem Wort kommt den meisten Menschen sofort eine große Einschränkung in den Sinn. Ich bin zwar offiziell behindert, fühle mich aber persönlich überhaupt nicht eingeschränkt. Im Alltag komme ich sehr gut zurecht, deswegen kann ich mich nicht richtig mit dem Begriff identifizieren. Das englische „Handicap“ gefällt mir besser, ist irgendwie sympathischer.“

„Inwiefern hat Ihnen also der Sport geholfen, nach dem Unfall besser mit diesen Gedanken umzugehen?“

Markus Rehm: „Ich hatte nie eine wirklich lange Phase der Depression, aber es war anfangs sicher nicht leicht, sich mit dem, was geschehen war, abzufinden. Da hilft der Sport natürlich ungemein, indem er mir und auch anderen zeigen kann, dass ich eigentlich gar nicht so eingeschränkt bin, wie vielleicht gedacht. Für mich war es damals eine große Motivation, wieder auf die Beine zu kommen, um Sport zu treiben. Zurzeit trainiere ich sechs Mal in der Woche und meine Prothesen gehören zu mir und zu meinem Leben.“

„Herr Rehm, als Orthopädiemechaniker ist ihr Handicap für Sie auch im Berufsleben präsent. Welche Vorteile entstehen daraus?“

Markus Rehm: „Es ist sicher ein großer Vorteil, dass ich selbst Hand anlegen kann, wenn etwas nicht richtig funktioniert. Bei statischen Problemen weiß ich genau, was ich ändern muss und welche Möglichkeiten ich habe. Dazu kommt, dass ich beim Bauen von Prothesen selbst nur zu gut nachvollziehen kann, wie sich so etwas am Bein anfühlt. Ich habe immer im Kopf, worauf ich beim Tragekomfort achten muss. Ich denke, ein Mensch mit gesunden Beinen kann sich das nicht so optimal vorstellen. Bei Wettkämpfen kommt es auch vor, dass ich anderen helfe. Wenn ein prothesentechnisches Problem auftritt, und kein Fachmann zur Stelle ist, bin ich natürlich der Erste, der da gerne hilft. Nur vermeide ich es, meinen Konkurrenten komplette Prothesen zu bauen, denn wenn dann etwas nicht in Ordnung ist oder sich ein anderer Sportler sogar verletzt, möchte ich nicht dafür verantwortlich gemacht werden können. Meine eigenen Sportprothesen habe ich allerdings selbst gebaut.“

„Herr Rehm, was waren bisher Ihre größten persönlichen Erfolge im Behindertensport?“

Markus Rehm: „Also einerseits zähle ich dazu natürlich die beiden Weltmeistertitel im Weitsprung, 2009 und 2011. Ganz besonders freue ich mich aber auch darüber, dass ich mit 7,09 Metern den Weltrekord im Weitsprung halte, das ist wahrscheinlich mein größter Erfolg.

„Momentan trainieren Sie für die Paralympics 2012 in London. Was erhoffen Sie sich?“

Markus Rehm: „Erst einmal muss ich mich dafür qualifizieren, deswegen hoffe ich sehr, dass ich bis dahin gesund und verletzungsfrei bleibe. Speziell im Weitsprung hoffe ich auf eine sehr gute Platzierung, eine Medaille wäre schön. Eine Goldmedaille wäre natürlich die Krönung des Ganzen. Grundsätzlich ist aber auch allein die Teilnahme an den Spielen mein persönliches Ziel, auf dass ich mit großer Motivation hinarbeite. Ich bin konsequent, und versuche es durchzuhalten, zweimal am Tag zu trainieren. Schließlich will ich nach London.“

„Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Interview und wünsche Ihnen viel Erfolg im Sommer, und dass Sie verletzungsfrei bleiben. Alles Gute!“

Von Livia Boerner

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 20. April 2012
Kategorie: Die Welt da draußen

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