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“In der Kirche wird reagiert wie früher bei kommunistischen Parteifunktionären”

Im Vordergrund: Hans Küng, Im Hintergrund v.l: David Irion, Johannes GansmeierSeit Jahrzehnten ist Hans Küng nicht nur einer der bekanntesten, sondern auch einer der einflussreichsten Theologen weltweit. Für nicht wenige ist er sogar einer der bedeutensten Universalgelehrten unserer Zeit. In seinem neuesten Buch “Ist die Kirche noch zu retten?” zeigt er viele Missstände innerhalb der katholischen Kirche auf und fordert Reformen. Kurz vor Weihnachten empfing er die farbfleck-Chefredaktion bei sich zu Hause und stellte sich den Fragen.

derfarbfleck:
 Herr Prof. Küng, in Ihrem Buch „Ist die Kirche noch zu retten?“ kritisieren Sie, dass die katholische Kirche im abendländischen Raum an Anhängern verliert. Gleichzeitig lassen Sie allerdings unerwähnt, dass sie in Südamerika, Afrika und Asien mitunter massiv hinzu gewinnt. Ganz provokant gefragt: Könnte der Mitgliederschwund nicht einfach daran liegen, dass die Zeit des Glaubens hier in Europa abgelaufen ist?

Küng: Ich würde sagen, dass Glaube und Religiosität nicht einfach so abgenommen haben, wohl aber die Glaubwürdigkeit der Institution „katholische Kirche“. Allerdings ist die katholische nicht die einzige Kirche, die zurzeit Probleme hat. Und auch Gewerkschaften und sogar Staaten befinden sich teilweise in wirklichen Krisen. Alle diese Institutionen haben an Glaubwürdigkeit, manche sogar an Effizienz verloren. Was nun den Glauben betrifft, bräuchte es natürlich vielfach eine bessere Verkündigung, denn der traditionelle Katechismus ist für die heutigen Menschen nicht mehr zugänglich bzw. verständlich. Es braucht eine zeitgemäße Verkündigung, die zwar – insofern sie christlich gesinnt ist – an der Bibel orientiert sein sollte, aber eben gleichzeitig moderne Aspekte aufgreift.

derfarbfleck: Ist das von Ihnen kritisierte eurozentrische Bild der katholischen Kirche überhaupt zutreffend, immerhin legen die Kirchenführer immer mehr Wert auf eben jene erwähnten wachsenden Regionen.

Küng: Zahlenmäßig hat sich der Schwerpunkt zweifellos verschoben, aber es ist gefährlich, hier nur auf Zahlen zu schauen. Der große Zuwachs ist schlicht mit der Bevölkerungsexplosion auf diesen Kontinenten verbunden. Diese Bevölkerungsexplosionen haben zur Folge, dass in den Megastädten wie Sao Paulo oder Nairobi immer weniger Priester für immer mehr Leute zuständig sind. Was nützt das, wenn man sagt, die katholische Kirche hat an Mitgliedern hinzugewonnen, wenn z.B. in Sao Paulo eine Pfarrei 20‘000 Leute zählt? Außerdem ist es sehr gefährlich zu meinen, man könne auf die europäischen Kirchen verzichten. Ich verweise nur auf die finanzielle Komponente: Der Hauptteil der Einnahmen kommt immer noch aus Amerika und Europa. Und auch der Großteil der geistigen und theologischen Arbeit ist hier geleistet worden. Jetzt einfach zu sagen, wir gehen nach Afrika, ist genauso dumm, wie wenn ein Konzern seine Produkte nur noch in Afrika absetzen möchte.

derfarbfleck: Wie gerade auch kritisieren Sie auch immer wieder, dass Pfarreien und Bistümer zusammengelegt werden. Ist das nicht Meckern auf dem höchsten Niveau, immerhin gab es auch schon vor 200 Jahren größere Pfarreien. Was wir die letzten Jahrzehnte erlebt haben – viel persönliche Fürsorge – ist dahingehend wohl eher Luxus.

Küng: Wenn Sie Pfarrer wären und Sie müssten für fünf Gemeinden Beerdigungen durchführen, dann würden Sie jetzt nicht so reden. Wenn ein Priester heute für fünf, sechs Gemeinden Gottesdienste, Beerdigungen, Taufen und anderes durchführen muss, dann kann er ja gar keine persönlichen Beziehungen zu seinen Gläubigen aufbauen. Das ist einfach nicht durchzuhalten. Vor allem wenn man bedenkt, dass man die Priester ja hätte, wenn man die Pastoralreferenten, die gut ausgebildet sind, ordinieren würde. Das geht aber nicht, und zwar nur weil sie verheiratet sind.

derfarbfleck: Argumentieren Sie nicht selbst aus einem eurozentrischen Bild heraus?

Küng: Ich argumentiere nicht aus einem eurozentrischen Bild heraus. Ich bin natürlich klar Europäer und habe meinen beschränkten Standpunkt. Aber ich habe mich wie kaum ein anderer Theologe bemüht, alle konfessionellen Formen des Christentums und alle Weltreligionen zu studieren. Natürlich bin ich verwurzelt – hier in Tübingen und in meiner schweizerischen Heimat – aber ich bin gleichzeitig auch Kosmopolit und habe auf einer Vielzahl von Reisen die Situation zahlloser Kirchen in aller Welt kennengelernt.

derfarbfleck: Aber die meisten Probleme die Sie im Buch benennen beziehen sich ja durchaus hauptsächlich auf Europa: Zölibat, Frauenordination oder andere Themen, die allzu oft als „deutsche Probleme“ bezeichnet werden.

Küng: Nein, das stimmt eben nicht. Die Probleme, die ich benenne, werden auch andernorts stark diskutiert. Der Zölibat ist auch in Afrika oder Asien ein großes kulturelles Problem. Das ist eben genau eine Propagandaantwort Roms, einfach zu sagen, das seien „deutsche Probleme“. Das sind alles universale Probleme, die die Kirche beseitigen müsste.

derfarbfleck: Rufen Bücher wie die Ihren nicht eher Trotzreaktionen statt Annäherungen hervor?

Küng: Das wäre wirklich eine kindische Reaktion! Ich denke aber nicht, dass es so ist. Der Episkopat ist derartig auf Rom und den Papst eingeschworen, dass wir überhaupt keine unabhängigen Urteile mehr bekommen. Es wird reagiert wie früher bei kommunistischen Parteifunktionären, die nur schauten, was in Moskau gesagt wurde. Das wurde dann nachgeredet. In der Kirche wird geschaut, was im Vatikan gilt, und das nehmen die Bischöfe als Richtlinie.

derfarbfleck: Sind Sie nicht manchmal etwas verwundert und enttäuscht, weil eigentlich hätten Sie ja aus früherer Zeit hervorragende Kontakte in den Vatikan. Joseph Ratzinger und Walter Kasper waren immerhin beide einmal Professorenkollegen von Ihnen.

Küng: Ich habe in meinen Memoiren von meiner Audienz bei Papst Paul VI. am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils berichtet. Er bot mir damals direkt an, in den Dienst der Kirche zu treten, was ich auch gemacht hätte, wenn ich denn etwas hätte verändern können. Aber nicht, wenn ich mich in das gegebene System hätte einfügen müssen, wie das meine Freunde leider getan haben. Seitdem reden die auch nur noch wie die Römer.

derfarbfleck: Sie kritisieren auch den mangelnden Willen zur Ökumene. Aber wie wichtig ist Ökumene Ihrer Ansicht nach im 21. Jahrhundert überhaupt?

Küng: Ein Christus konfessioneller Art kann doch heute nicht mehr überzeugen. Wenn wir Christen uns untereinander nicht einig sind, können wir ja nicht der Welt predigen, dass es mehr Einheit und Frieden geben soll. Der Friede zwischen den verschiedenen Konfessionen ist Voraussetzung für eine gemeinsame überzeugende Verkündigung.

derfarbfleck: Waren Sie mit dem Papstbesuch im Hinblick auf die Ökumene zufrieden?

Küng: Ich denke, der Papstbesuch war für alle, die das etwas genauer mit verfolgt haben, eine gewaltige Enttäuschung. Er hat abgelehnt, irgendwelche Reformen auch nur zu benennen, er hat nie vom Zölibat geredet und er hat vor allem auch bei seiner Begegnung mit den Lutheranern in Erfurt gesagt, dass er nichts tun will im Hinblick auf die Ökumene.

derfarbfleck: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, meinte aber in seinem Interview mit dem farbfleck, dass der Papst sehr wohl klare positive Signale in Richtung Ökumene gesetzt hat, allerdings im nichtöffentlichen Teil des Treffens.

Küng: Erstens mal, wieso sagt er das im Geheimen, gerade das müsste ja öffentlich gesagt werden. Zweitens kenne ich Joseph Ratzinger seit unseren Tübinger Jahren und weiß sehr wohl, wo er die Religiosität Luthers preisen kann. Aber im Grunde lehnt er alle wesentlichen Faktoren wie den Primat der Bibel, den Primat der Gemeinde und die Ämtertheologie entschlossen ab.

derfarbfleck: Ein weiterer Kritikpunkt, den Sie in Ihrem Buch ansprechen, ist die Frauenordination. Könnte die Einführung der Frauenordination nicht ein weiteres Kirchenschisma hervorrufen? Es gibt ja durchaus mächtige katholische Kreise, denen gerade dies sehr unpassend käme.

Küng: Es muss ja nicht sofort allgemein in der ganzen Kirche eingeführt werden. Auch bei den Lutheranern und Anglikanern haben dies nicht alle regionalen Kirchen gleichzeitig getan. Die grundsätzliche Freigabe der Frauenordination würde ja vollkommen genügen. Aber sobald diese Freiheiten gegeben werden, könnten Sie beobachten, dass es überall auf der Welt eine rege Annahme des Angebots geben würde.

derfarbfleck: Sie als römisch-katholischer Priester: Mit welchen Argumenten könnten Sie uns als jungen Menschen raten, in den katholischen Priesterdienst einzutreten?

Küng: Leider Gottes kann man diese Frage heutzutage nicht mehr unabhängig von der Zölibatsfrage beantworten. Wenn jemand heiraten will, dann ist es vollkommen ausgeschlossen und es macht gar keinen Zweck darüber zu reden. Ich und viele damals jüngere Konzilstheologen hatten fest damit gerechnet, man würde den Zölibat aufheben. Aber abgesehen davon halte ich es immer noch für eine äußerst befriedigende Aufgabe, im Dienst einer Gemeinde zu stehen. Ich war selbst zwei Jahre Gemeindekaplan in Luzern; ich weiß, dass man da sehr viel empfängt und nicht nur geben muss.

derfarbfleck: Wenn wir schon bei Gemeinde sind. Sie fragen in Ihrem neusten Buch, ob die Kirche überhaupt noch zu retten sei. Doch kann die Kirche – als Gemeinschaft aller Gläubigen – überhaupt verloren sein, wenn sie wirklich die Jüngerschaft des lebendigen und allmächtigen Gottes ist?

Küng: Die Kirche als Glaubensgemeinschaft wird sicher weiter existieren. Vielleicht kleiner. Vielleicht intensiver. Aber sie wird bleiben, weil die Botschaft Jesu Christi immer bleiben wird. Aber das römische System, unter dem die Kirche leidet, das ein Herrschaftssystem aus dem 11. Jahrhundert ist, hat keine Zukunft und ist Schuld an der gegenwärtigen Krise. Solange wir dieses Herrschaftssystem nicht ändern, wir sich unsere Kirche auch nicht bessern.

derfarbfleck: Seit mehr als 40 Jahren kämpfen Sie nun schon für Ihre Reformansätze. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl gegen unumstoßbare Mauern zu laufen?

Küng: Es war natürlich schön, als ich die ersten großen Worte – noch während des Zweiten Vatikanums – sagen konnte und diese auch noch Gehör fanden. Damals hatte ich sowohl den alten Papst Johannes XXIII., als auch den jungen, ersten katholischen Präsidenten der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, auf meiner Seite. Da hat man mit dem Wind segeln können, was sehr angenehm war. Ich musste allerdings lernen, dass man auch durch Kreuzen schließlich Hindernisse überwinden kann. Wir haben trotz mancher Rückschläge viel erreicht: Die Kirche ist nicht mehr dieselbe wie vor dem Konzil.

derfarbfleck: Woher nehmen Sie dafür Ihre Kraft. Resultiert diese aus Ihrem Glauben?

Küng: Nicht nur. Man muss auch einigermaßen gesund sein und man darf den Humor nicht verlieren (lächelt). Aber wenn ich kein überzeugter, gläubiger Christ wäre, dann würde ich mich ja gar nicht für die Sache einsetzen. Und wenn ich die Institution häufig scharf kritisiere, dann deshalb, weil ich so engagiert dafür bin.

derfarbfleck: Sie rufen andauernd in den Wald, doch es kommt nichts heraus. Wie sehr zehrt es an Ihrem Selbstwertgefühl, wenn die Kirchenführung nicht auf Sie eingeht?

Küng: Mein Selbstwertgefühl und meine Glaube sind in keiner Weise abhängig von der kirchlichen Hierarchie. Die leben aus dem Evangelium, aus dem Dienst an den Menschen, und ich habe keine Probleme genügend Gehör zu finden – und das weit über die Kirche hinaus. Im Gegenteil, gerade weil mir so üble Maßnahmen seitens der Kirchenführung zu teil wurden, habe ich größere Glaubwürdigkeit sogar bei Muslimen und Juden.

derfarbfleck: Sie zählen in Ihrem Buch viele historische Verfehlungen der Kirche auf. Honorieren Sie es denn gar nicht, dass z.B. im Jahr 2000 in einem feierlichen Gottesdienst – und auch darüber hinaus – unter Johannes Paul II. in vielerlei Hinsicht um Vergebung gebeten wurde?

Küng: Ja das war zwar alles ganz feierlich, aber eben auch viel zu allgemein. Man hat damals nichts gesagt zur Judenverfolgung, man hat nichts gesagt zur Hexenverfolgung, man hat nichts gesagt zur Inquisition, der Glaubenskongregation, die ja bis heute anhält. Insofern war das zwar gut, dass das mal angesprochen wurde, aber mehr auch nicht.

derfarbfleck: Ihnen als Priester sind die drei evangelischen Räte sicherlich wohlbekannt: Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam. Bei so vielen Bücherveröffentlichungen und Auftritten, wie halten Sie’s da eigentlich mit der Armut?

Küng: (schmunzelt) Stop, das gilt ja für den Ordensklerus und nicht für den weltlichen Klerus.

derfarbfleck: Na wenn das so ist. Herr Professor Küng, wir bedanken uns dafür, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.

Das Interview führten Johannes Gansmeier & David Irion

Hans Küng, geboren am 19. März.1928 in Sursee, Kanton Luzern,
Erwerb der Matura 1948 in Luzern,
Von 1948 bis 1955 Studium der Philosophie und Theologie an
der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom,
Weihe als katholischer Priester,
Promotion am Institut Catholique in Paris,
1962 bis 1965  Konzilstheologe des Zweiten Vatikanischen Konzils,
Professor an der Universität Tübingen,
1979 Entzug der Lehrbefugnis,
Gründer und seit 1995 Präsident der Stiftung Weltethos.

 

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 06. March 2012
Kategorie: Stars on Page

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3 Kommentare zu ““In der Kirche wird reagiert wie früher bei kommunistischen Parteifunktionären””

  1. gut

    Geposted von sinah weiß | March 7, 2012, 14:52 | Antworten
  2. 1, sehr interessant
    2. wieso wechselt er nicht einfach zu den evangelischen Christen: kein Zölibat, Pfarrerinnen, moderner, setzen eher auf einfach als auf prunkvoll??
    Schließlich wurde die evangelische Kirche genau deshalb gegründet, damit die Kirche an die Zeit angepasst wird.

    Geposted von Lucia Schmid | March 7, 2012, 14:52 | Antworten
  3. Lieber Johannes, lieber David,
    ich bin immer wieder beeindruckt von Euren Interviews. Nicht nur, dass Ihr einen hochkarätigen Gesprächspartner nach dem anderen an der Angel habt, auch die Qualität der Interviews ist bemerkenswert. Ihr seid immer bestens vorbereitet und scheut auch bei einem prominenten Gegenüber nicht davor zurück, kritische Fragen zu stellen.
    Da sich Eure LGH-Zeit schon der Zielgeraden nähert, würde ich mich freuen, wenn Ihr Nachfolger/innen fändet, die Eure Arbeit auf so hohem Niveau fortsetzen.
    Vielen Dank für Euer großartiges Engagement
    Armin Höppel

    Geposted von Anonymous | March 7, 2012, 14:53 | Antworten

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