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Die Welt da draußen

Darf man noch gegen Stuttgart 21 demonstrieren?

Bild: CHRISTOPHER MACSURAK @ flickr.com

Das Volk Baden-Württembergs hat entschieden. Also muss der neue Tiefbahnhof in Stuttgart gebaut werden. Doch das wird die Gegner des Projekts wohl kaum davon abhalten weiterhin zu demonstrieren, sie werden argumentieren dass die Mehrheit des Volkes dumm, unwissend und vernebelt von der Befürworterpropaganda sei, dass sie die Vernünftigeren seien und Recht haben. Dürfen sie das? Eine moralische Stellungnahme.
Die Volksabstimmung ist vorbei, am Sonntag haben 48,3 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt. Davon 58,8 Prozent gegen eine Kündigung der Verträge (also für Stuttgart 21) und 41,2 Prozent dafür. Das ist doch eine demokratische Mehrheit der Befürworter, also darf niemand mehr dagegen protestieren.

Doch wer so denkt, liegt total falsch. Das Demonstrieren an sich ist in einer Demokratie niemals verboten, es besteht Meinungsfreiheit und diese Rechte dürften nicht einmal von einer 99-Prozent-Mehrheit der Bevölkerung beschnitten werden und schon garnicht von 28,4 Prozent. Soweit zu legalen Demonstrationen, aber was wenn Gegner die Baustelle mit Sitzblockaden oder Ähnlichem behindern, wenn sie eine Dauerblockade errichten und aufrechterhalten, so wie es zum Beispiel bei den Protesten gegen Atomwaffen in den 80ern in Mutlangen geschehen ist? Rechtlich ist die Sache eindeutig, der Staat muss gegen diese Art des Protests vorgehen, natürlich ohne unnötige Brutalität, um den Willen des Volkes durchzusetzen. Doch wenn man nun die rechtlichen Aspekte beiseite lässt und das Ganze von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet, sind die Gegner nicht moralisch dazu verpflichtet, sich der demokratischen Mehrheit anzuschließen? Nein, das sind sie erstmal nicht. Wenn sie es nach Abwägung aller Gründe nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, nichts gegen den Bau des Bahnhofs zu unternehmen, so sind sie sogar moralisch dazu verpflichtet, dagegen aktiv zu werden. Die Geschichte hat vielfach gezeigt, dass die Mehrheit durchaus falsch liegen kann, Atomkraftgegner waren seinerzeit auch eine Minderheit, heute sind ihre Inhalte Programm aller Parteien. Doch wenn es so wäre, so müssten die S21-Gegner vor allem die restliche Bevölkerung darüber informieren, wieso sie falsch liegt und sie dadurch umstimmen, von innen heraus überzeugen, so wie es die Anti-Atomkraftbewegung getan hat. Schaffen sie das auf längere Zeit nicht, können sie zwei mögliche Schlussfolgerungen ziehen: Entweder wäre die Mehrheit tatsächlich dumm und bestünde nicht aus vernunftbegabten Menschen, dadurch wäre Demokratie sinnlos. Wenn man einmal vom Gegenteil ausgeht, bliebe nur, dass die Befürworter richtig lägen und jeder müsste sich damit abfinden.

Die Frage, die sich noch stellt ist die, ob das Thema wirklich so wichtig ist, dass es diesen starken Widerstand rechtfertigt. Anders als bei Atomwaffen oder Atomkraft besteht hier schließlich keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung. Man fragt sich dann doch, ob es nicht viel schlimmere Misstände in Deutschland oder anderswo gibt, gegen die es zu protestieren sinnvoller wäre.

Von Jakob Schiele

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 06. March 2012
Kategorie: Die Welt da draußen, Farbflecken

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