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“Es gibt keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung”

Durch den Antrag auf Bildung eines palästinensischen Staats des Präsidenten der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, in der UN-Generalversammlung vergangenen Freitag hat der Nahost-Konflikt ein weiteres Mal an Brisanz gewonnen und den Fokus der gesamten Weltgemeinschaft wieder auf eine kleine Region gerichtet. Der Publizist und ehemalige israelische Botschafter in Deutschland Avi Primor stellte sich im Vorfeld des Showdowns in New York den Fragen des farbflecks und ließ einen Blick in die israelische Seele zu.

derfarbfleck: Herr Primor, zunächst einmal möchten wir uns bei Ihnen bedanken, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Wurden Sie schon häufiger von einer Schülerzeitung interviewt oder ist das Ihr erstes Mal?

Avi Primor: Man kann nicht gerade sagen, dass es zu meiner normalen Tagesordnung gehört, aber von Studenten hier an der Privatuniversität IDC Herzliya werde ich schon von Zeit zu Zeit interviewt.

derfarbfleck: Seit Anfang dieses Jahres brodelt es mal wieder gewaltig im Nahen Osten. Zuerst wurde die Regierung in Tunesien gestürzt, dann Mubarak in Ägypten, andauernde Proteste und Aufstände sind in Libyen und Syrien zu betrachten. Inwiefern beunruhigen die aktuellen Geschehnisse die Bevölkerung Israels?

Primor: Ich würde sagen in einer zwiespältigen Art und Weise, weil man noch nicht wissen kann, wie sich die Lage vor Ort entwickelt. Einerseits ist die Demokratisierung des Nahen Ostens eine gute Nachricht für Israel, da uns durchaus bewusst ist, dass man mit Demokratien Frieden besser „festnageln“ kann. Die Geschichte zeigt ja, dass es noch nie Krieg zwischen zwei parlamentarischen Demokratien gegeben hat. Also sehen wir die Ereignisse auch als Chance und große Hoffnung. Andererseits wissen wir auch wo die Gefahr lauert. Ich erinnere an die Revolution im Iran 1979. Die Revolution begann mit den größten Erwartungen: Ein Diktator wurde gestürzt und die liberalen Kräfte der Nation kamen an die Macht. Jene konnten sich allerdings nicht halten und innerhalb kurzer Zeit hatten die Fundamentalisten die Kontrolle übernommen, welche noch erheblich schlimmer sind, als die Diktatur des Schahs. Nicht nur schlimmer für die Iraner, sondern auch gefährlicher für die gesamte Umgebung.

derfarbfleck: Sie sprachen die Fundamentalisten bereits an. Gerade wenn man nach Ägypten schaut, wird oft befürchtet, dass die Muslimbrüder eine starke Rolle übernehmen werden. Geht eine tatsächliche Bedrohung von den Revolutionen in den arabischen Ländern aus? Oder anders gefragt: ist der Staat Israel heutzutage noch stärker in Gefahr als ohnehin schon?

Primor: Zunächst einmal bin ich mir gar nicht so sicher, ob Israel so in Gefahr ist, wie wir es immer offiziell behaupten. Das entspricht nicht unbedingt meiner persönlichen Meinung. Die Gefahr lauert bestimmt, nämlich im Iran. Die arabische Welt hingegen hat ihre Meinung im Hinblick auf Israel im Laufe der Jahre ein bisschen geändert. Natürlich haben sie nach wie vor keine Sympathien für Israel, sind aber zu der Schlussfolgerung gekommen, dass Israel im Nahen Osten eine permanente Erscheinung ist und bleibt. Sie haben sich damit abgefunden, dass sie dazu verdammt sind, mit Israel hier im Nahen Osten zu leben. Infolgedessen sehe ich nicht alles ganz so finster. Selbstverständlich gibt es indes Gefahren, deren wir uns weiterhin erwehren müssen: Die Hisbollah, die Hamas, die Fundamentalisten also. Diese hätten allerdings ohne die Unterstützung des Irans keine großen Chancen und Möglichkeiten. Wir sehen also wiederum, dass die Bedrohung in erster Linie aus dem Iran kommt. Was für uns jedoch viel wichtiger ist, sind die unmittelbaren Nachbarn. Nun haben wir ja bereits mit zwei von ihnen vor geraumer Zeit den Frieden geschlossen, nämlich mit Ägypten und Jordanien. In beiden Staaten gibt es zur Zeit Unruhen und niemand weiß, wie diese enden werden. Von einem können wir aber getrost ausgehen, egal wer in Ägypten oder Jordanien an die Macht kommen sollte: Die neuen Machthaber werden das Interesse des eigenen Volkes genauso sehen, wie diejenigen, die damals den Frieden mit uns geschlossen haben. Das heißt, dass die Verantwortlichen in den Ländern sehen werden, dass der Friede mit Israel auch ein ägyptisches bzw. jordanisches Interesse ist.

derfarbfleck: Fragen wir einmal anders herum: Zog die westliche Welt und Israel nicht auch einen Vorteil aus den bisherigen Kooperationen mit zum Teil menschenrechtsverachtenden Autokraten? Immerhin bedeuteten diese Zusammenarbeiten weitgehende Stabilität im Nahen Osten.

Primor: Sehen Sie, es steht uns nicht zu, den Nachbarn zu diktieren, was für ein Regime sie haben sollen. Wir müssen uns mit dem Regime abfinden, das der Nachbar haben will. Natürlich dürfen wir träumen oder gar sagen, es wäre so viel schöner, wenn im Nachbarstaat keine Diktatur herrschen würde. Wenn Sie jetzt also die Frage stellen, ob man mit einem Diktator einen sicheren Frieden schließen kann und darf, dann verweise ich nur darauf, dass Diktaturen ohnehin nicht langfristig halten können. Letzten Endes, und hier wiederhole ich mich gerne, wird eine Demokratie nach der schmerzlichen Umwandlungsphase für einen   Friedensschluss und Frieden besser geeignet sein, als eine andere Regierungsform.

derfarbfleck: Die gesamte Welt fordert jetzt Demokratie und Freiheit für die arabischen Länder. Doch wird nicht gerade jetzt die Unterstützung der bisher einzig wirklich funktionierenden Demokratie im Nahen Osten, nämlich Israels, vernachlässigt?

Primor: Ich bin der Ansicht, dass Israel von westlicher Seite sehr stark unterstützt wird. Obwohl die europäischen Staaten und die USA oftmals mit der israelischen Politik sehr unzufrieden sind, besonders den Siedlungsbau betreffend, wird Israel als wichtiger Partner anerkannt und geschätzt. Es stimmt schon, dass wir hin und wieder Meinungsverschiedenheiten haben oder auch gerügt werden, aber ich würde nicht sagen, dass uns der Westen weniger unterstützt. Sie haben Recht, wir sind die einzige Demokratie im Nahen Osten – wenn man Israels Gegenwart in den besetzten Gebieten außer Betracht lässt. Doch es wäre für die gesamte Welt, nicht nur für uns Israelis, ein enormer Vorteil, wenn die Demokratisierung nun auch in vielen arabischen Staaten Einzug halten würde. Nun muss man sich allerdings damit abfinden können, dass Demokratien nicht erzwungen werden können. Man kann nicht willkürlich eine Demokratie einsetzen: Demokratie muss gedeihen, wachsen und sich entwickeln. Demokratie ist eine Frage des Regimes, eine Frage der Erziehung und vor allem eine Frage der Mentalität. All das braucht seine Zeit. Ich hoffe also, dass dem ersten Schritt in Richtung einer solchen langjährigen Entwicklung auf einem steinigen Weg weitere Schritte folgen werden.

derfarbfleck: Vor rund achtzehn Jahren begannen die Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern in Oslo. Inwieweit sind Sie der Meinung, dass Oslo eine Lösung im Nahostkonflikt vorangebracht hat?

Primor: 1993 hatten wir bei den Verhandlungen in Oslo einen allmählichen Friedensprozess ins Leben gerufen. Wir wollten den Frieden schrittweise herbeiführen. Wir dachten damals, dass, wenn wir alle Probleme auf ein Mal auf den Verhandlungstisch brächten, alles in die Luft gejagt werden würde. Wir waren der Meinung, wir müssten vorsichtig sein und Schritt für Schritt den Prozess vorantreiben. Das hat sich mittlerweile als Fehler herausgestellt, weil sich entlang des Weges viele Schwierigkeiten herauskristallisierten, die den Oslo-Prozess zunichte gemacht haben. Dennoch haben wir den Oslo-Verhandlungen zumindest die Tatsache zu verdanken, dass es nun eine palästinensische Autonomiebehörde gibt. Die Frage die sich nun stellt ist, wie man auf diesem Stand ansetzen und weiterverhandeln kann, um auch den endgültigen Frieden zu erreichen.

derfarbfleck: Gibt es eine wirkliche Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung? Und falls ja, welche?

Primor: Nein. Meines Erachtens gibt es keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung. Denn die einzige Alternative zur eben genannten Lösung, wenn man die Vernichtung Israels nicht mitzählt, würde ein gemeinsamer Staat für Israelis und Palästinenser sein. Und ein gemeinsamer Staat wäre unmöglich, weil sich niemand auch nur vorstellen kann, dass die Gemüter so weit sind, einen Staat zu erlauben, in dem Israelis und Palästinenser tatsächlich gleichberechtigt sind. Ich denke, das ist ein schöner Traum, aber nicht machbar in der heutigen Realität. Somit bleibt uns nur eine Alternative zur Besatzung, zum Konflikt, zur Katastrophe, und das ist die Zwei-Staaten-Lösung. Das akzeptiert mittlerweile auch schon das rechte Lager in Israel, wenn auch sehr widerwillig.

derfarbfleck: Die gemäßigte Fatah und die radikale Hamas werden zukünftig vereint auftreten – so wollen sie’s zumindest. Macht eine solche Vereinigung nicht jedwede Bemühung und Annäherung zwischen Israel und Palästinensern zunichte? Immerhin hat die Hamas das auserkorene Ziel, den Staat Israel zu zerstören.

Bild: Peace Youth Palestine @flickr.com

Bild: Peace Youth Palestine @flickr.com

Primor: Sprechen wir zunächst einmal über die Hamas. Die Hamas ist eine Bewegung, die Sie richtig beschrieben haben: Eine fundamentalistische Bewegung, die es sich offenkundig zum Ziel setzt, den Staat Israel zu vernichten. Das will sie anhand von terroristischen Methoden erreichen. Nun ist aber die Hamas nicht mehr „nur“ eine Bewegung. Sie stellt heutzutage die Regierung eines Staates, auch wenn sie einen solchen nicht ausgerufen hat. In der Realität regiert sie einen Staat, ein Territorium mit einer Bevölkerung von immerhin 1,6 Millionen Menschen. Nun ist es so in der Geschichte, dass Staaten auch Staatsraison haben. Die Geschichte zeigt, dass Staatsraison immer die Oberhand gegenüber Ideologie besitzt. Soll heißen: Die Hamas muss die eigene Bevölkerung befriedigen, wenn sie an der Macht bleiben will. Wenn sie die Lebensbedingungen der Menschen im Gaza-Streifen nicht bald verbessert, und die Leute dort leben wirklich im Elend, wird sie nicht an der Macht bleiben können. Das alles kann sie ohne uns aber nicht, weil wir den Zugang zum Gaza-Streifen kontrollieren, den Luft- und Seeraum beherrschen. Wir haben auch Staatsraison und was wir brauchen ist Ruhe und Sicherheit entlang unserer Grenzen. Unsere Bevölkerung muss vor Angriffen geschützt werden. Das können wir ohne eine Zusammenarbeit mit der Hamas nicht erreichen. Wir haben ja schon alles andere probiert: Kriege, Belagerung und internationalen Druck – alles jedoch erfolglos. Anders gesagt, Israel und die Hamas-Regierung haben gemeinsame Interessen, die nicht Frieden bedeuten, auch keine gegenseitige Anerkennung, wohl aber technische Arrangements, die die beiden unbedingt brauchen. Das zum einen. Zum anderen wird die Hamas keine Einigung mit der Fatah erzielen. Die Kluft zwischen den beiden Lagern ist viel zu tief. Aber auch hier kommt wieder die Staatsraison zum Tragen und somit brauchen die beiden, wenn schon keinen einheitlichen Staat, zumindest einen gemeinsamen Rahmen. In diesem Rahmen könnte dann die Hamas, nachdem sie mit uns Arrangements ausgearbeitet hat, der Fatah grünes Licht für Friedensverhandlungen geben. Die Hamas wird nie mit uns direkt über Frieden verhandeln, aber wenigstens nicht mehr die Verhandlungsbemühungen der Fatah behindern. Insofern sehe ich eher positive Möglichkeiten für eine Vereinigung der beiden. Das ist natürlich nicht das Ende des Problems, da es sich langfristig nicht um zwei Palästinenserstaaten handeln kann. Früher oder später müssen Hamas und Fatah zu einer Übereinstimmung kommen.

 derfarbfleck: Kommen wir zu einem Thema, das Sie vorhin schon einmal kurz angeschnitten hatten: dem Siedlungsbau: Die europäischen Staaten und die USA drängen die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu zum sofortigen Baustopp. Dennoch zögert der Premier mit einem innenpolitischen Machtwort. Ist dies nicht eine leichtfertige Blockade von möglichen Friedensverhandlungen?

Primor: Das ist es in der Tat. Ich glaube, dass die israelische Regierung Gefangene ihrer eigenen Koalition ist. Sollte sie den Siedlungsbau wirklich einstellen, so würde die Koalition zerfallen. Die heutigen Machthaber würden also die Macht verlieren, und das wollen sie natürlich nicht. Ich bin aber der Meinung, dass die Taktik des amerikanischen Präsidenten, alles auf den Siedlungsbaustopp zu setzen, eine falsche Taktik war. Meines Erachtens ist diese auch gescheitert. Es kommt mir so vor, als ob man den Karren vor das Pferd spannen wollte. Das Hauptproblem ist ein anderes, nämlich die Entscheidung über die Grenzen zwischen dem Staat Israel und dem zukünftigen Palästinenserstaat. Darauf hätten die Amerikaner bestehen sollen. Wenn erst einmal eine Verständigung gefunden wird, wo die Grenze zwischen den beiden Staaten verlaufen soll, dann ist es doch für jedermann selbstverständlich, dass es jenseits der Grenze keine Siedlungen geben kann. Dann würde auch kein Israeli mehr Siedlungen bauen wollen, weil diese nicht in seinem Staat liegen würden.

derfarbfleck: Mit welchen Argumenten könnten die Siedler zum Rückzug aus den Palästinensergebieten bewegt werden? Gibt es da überhaupt eine realistische Chance?

Primor: Man muss die Situation in den Siedlungen genauer betrachten. Es gibt im Westjordanland 300.000 Siedler. Nun leben ca. 220.000 von diesen Siedlern in den sogenannten drei großen Blöcken, die territoriale Berührungspunkte mit Israel haben. Es wird wohl so kommen, und das akzeptieren die Palästinenser auch, dass wir diese drei großen Blöcke im Rahmen des Friedensvertrags annektieren werden dürfen, und dafür dem Palästinenserstaat Land von gleicher Fläche geben werden. Das heißt, es geht hier um Landaustausch. Wenn wir das tun, haben wir schon einen Großteil des Siedlerproblems gelöst. Dann haben wir noch mit etwa 80.000 Siedlern zu tun, die überall im Westjordanland  verstreut leben. Die Mehrheit dieser Siedler lebt allerdings nicht aus ideologischen Gründen dort, sondern weil man ihnen große wirtschaftliche Vorteile angeboten hat, wenn sie in die besetzten Gebieten ziehen. Diese Leute leben nicht sehr gerne in den Siedlungen und würden liebend gerne wieder zurück ins Kernland ziehen, sollte man ihnen eine anständige Entschädigung anbieten. Wie so oft geht es  hier nur um Geld. Sodann bleibt noch der harte Kern der Siedler, wenn man das so sagen kann, nämlich diejenigen, die aus ideologischen Gründen in den besetzen Gebieten leben. Die werden natürlich alles Mögliche gegen eine Räumung tun – sie sprechen sogar von Bürgerkrieg – aber wenn die Mehrheit des Israelis entschieden ist, einen Friedensvertrag zu akzeptieren, dann werden diese Siedler keine Alternative zum Rückzug haben.

derfarbfleck: Wir sprachen vorhin bereits über eine mögliche Bedrohungslage auf Grund sich verändernder Staatsstrukturen in den Anrainerstaaten Israels. Einen anderen stetigen Bedrohungsherd stellt der Iran mit seiner antiisraelischen Grundhaltung dar. Das iranische Atomprogramm tut sein übriges dazu. Muss oder sollte sich Israel auf einen Präventivschlag vorbereiten?

Primor: Vorbereiten muss man sich immer. Man sollte alle Optionen in der Hand haben. Ich halte allerdings wenig von einer militärischen Intervention, denn ich bin mir gar nicht sicher, ob wir überhaupt die Möglichkeiten dazu haben, alle iranischen Atomanlagen mit einem Angriff aus der Luft zu zerstören. Außerdem würde der Iran in einem solchen Falle Vergeltungsmaßnahmen unternehmen, was womöglich einen Krieg im Nahen Osten auslösen würde. Des Weiteren könnte dies Chaos in der ganzen Welt verursachen, weil die Erdölindustrie ins Stocken geriete. Man sollte indes die Lage nüchtern betrachten: der Iran ist nicht ein rein israelisches Problem. Der Iran benutzt Israel lediglich als Mittel, um seine wirklichen Ziele zu erreichen. Und diese sind die unmittelbaren Nachbarstaaten des Irans. Schon aus der Geschichte dieses Staates lässt sich erkennen, dass der Iran seine Anrainerstaaten irgendwie beherrschen möchte. Ich spreche hierbei vom Irak, von Saudi-Arabien und von den Golf-Staaten. Sollte den Iranern dies gelingen, dann würde der Iran über 57 Prozent aller Erdölreserven der Welt verfügen. Somit wäre der Iran eine Großmacht und könnte die ganze Welt erpressen. Und so versucht der Iran sich in der ganzen arabischen Welt beliebt zu machen, indem er von der physischen Vernichtung Israels spricht. Israel wird nur als Propagandamittel benutzt, obwohl der Iran sicherlich auch aus Gründen des Hasses an einer Zerstörung Israels interessiert ist.

derfarbfleck: Sie sprachen von einem globalen Problem. Dies würde ja auch Deutschland betreffen. Und wenn wir schon bei deutscher Außenpolitik sind: mit der Enthaltung im Sicherheitsrat die Libyenfrage betreffend, hat sich Deutschland nach Ansicht vieler nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Wie sehen Sie die Rolle der Bundesrepublik in der Welt?

Primor: Ich denke, die Bundesrepublik Deutschland sollte eine größere Rolle in der Welt spielen. Zunächst einmal, weil die Bundesrepublik heute ein durch und durch positives Land ist und eine echte parlamentarische Demokratie vorzuweisen hat. Außerdem ist Deutschland ein mächtiges Land geworden, vor allem als eines der Hauptmitglieder der EU. Insofern sollte Deutschlands Einfluss durchaus stärker sein. Nur muss man sich immer auch daran erinnern, dass Politik die Kunst des Möglichen ist. Ich glaube, dass Deutschland auch eine wichtigere Rolle im lybischen Bürgerkrieg spielen könnte. Es hat sich aber dagegen entschieden und wir müssen das akzeptieren.

derfarbfleck:
Wie denkt ein junger Israeli heute über Deutschland? Stehen immer noch die Schrecken des Holocausts im Vordergrund oder hat sich das Bild normalisiert?

Primor: Beides. Man ist sich zunehmend des Holocausts bewusst, man kennt ihn immer besser, man lernt immer mehr über ihn. Man macht aber ganz klar den Unterschied zwischen Nazideutschland und der Bundesrepublik. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das diesen Sachverhalt sehr gut illustrieren kann. Im Jahr 2006, nach dem Libanonkrieg, entstand die Notwendigkeit, eine internationale Truppe an die israelisch-libanesische Grenze zu schicken, um den Waffenstillstand zu überwachen. Die ersten, die man gefragt hat, waren die Franzosen, die dazu bereit waren, aber eine Bedingung stellten: auch Deutschland muss mitmachen. In Deutschland entbrannte damals eine hitzige Diskussion, ob man Soldaten an die israelische Grenze entsenden dürfe. Denn wenn man sich an der Grenze befindet, können Zwischenfälle entstehen – ganz aus Versehen – die zu Feuergefechten führen könnten. Und Feuergefechte zwischen Bundeswehrsoldaten und israelischen Soldaten konnte Deutschland sich nicht leisten. So zumindest die Meinung der deutschen Öffentlichkeit. Die Lösung war schlussendlich die Entscheidung, dass Deutschland doch Soldaten schicken würde, indes nicht an die israelische Grenze, sondern nur in den Seeraum, also die Bundesmarine. Was interessant ist und Ihre Frage beantworten soll, ist, dass diese Diskussion in Israel überhaupt nicht stattgefunden hat. In Israel sagte man, „warum nicht Bundeswehsoldaten? Warum französische, kanadische, aber keine deutschen Soldaten?“. Deutschland ist darüber hinaus ein sehr großer und auch unentbehrlicher Freund Israels.

derfarbfleck: Abschließend noch drei Sätze, die wir Sie bitten zu vervollständigen: Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wird 2020…

Primor: …durch einen echten Friedensprozess gelöst werden.

 derfarbfleck: Es gibt nur eine Möglichkeit für Frieden im Nahen Osten, wenn…

Primor: … eine Trennung zwischen Israelis und Palästinensern, die Entstehung eines unabhängigen, souveränen Palästinenserstaates und eine Kooperation zwischen den beiden Staaten stattfindet.

derfarbfleck: Avi Primor und Deutschland, das ist wie…

Primor: … eine Überwindung der Geschichte.

derfarbfleck:Herr Primor, wir danken Ihnen nochmals für das Interview

Das Interview führten Johannes Gansmeier & David Irion

Avi Primor, geboren am 8.April.1935 in Tel Aviv,
1952-1955 Studium der Politikwissenschaften  an der Hebräischen Universität Jerusalem, von 1955-1957 Wehrdienstzeit,
bis 1959 Studium und Abschluss am City College New York und der Sorbonne in Paris,
1961 Eintritt in den dimplomatischen Dienst,
1970 Gesandter Israels in Frankreich,
1993-1999 Botschafter Israels in Deutschland,
Avi Primor ist Präsident der Israelischen Gesellschaft für Außenpolitik.

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 27. September 2011
Kategorie: Stars on Page

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3 Kommentare zu ““Es gibt keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung””

  1. Beeindruckend gut!

    Geposted von Anonymous | September 28, 2011, 23:24 | Antworten
  2. Israel kommt nicht zur Ruhe. Warum gibt es diese Provokationen? US Außenministerin Clinton zeigt sich verärgert, Kritik kommt auch von der EU und der Uno. Mitten in der Debatte über neue Nahost -Friedensgespräche genehmigt Israel 1100 Wohnungen in Ostjerusalem und stößt damit auch Verbündete vor den Kopf. Was wird damit bezweckt?

    Geposted von rhein-main | September 29, 2011, 02:01 | Antworten
  3. Beeindruckend gut, weil das geführte Interview durch den klaren themtischen Fokus einerseits und die auf das Verhältnis Israel – Deutschland zielenden Fragen andererseits eine wirklich runde Sache geworden ist. Die drei Fragen zum Schluss verdeutlichen das noch einmal.
    Beeindruckend ist auch, dass ihr es schafft, Interviews auf einem so hohen Niveau zu führen: als Schüler, parallel zu euren schulischen Verpflichtungen, im Abijahrgang. Es ist mir unbegreiflich, woher ihr die Zeit dafür nehmt, und ich finde es großartig, dass ihr so viel Einsatz für den Farbfleck zeigt!

    Geposted von Banshee | September 30, 2011, 10:01 | Antworten

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