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Die Welt da draußen

Die Desavouierung der Unschuldsvermutung

Bild: International Monetary Fund @ flickr.com

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Washington D.C. hat viel zu bieten. Das Weiße Haus, das Kapitol, das Washington Monument; die Aufzählung könnte man ewig so fortsetzen. Doch die Hauptstadt der Vereinigten Staaten hat mehr als nur Sehenswürdigkeiten. Hier tummeln sich auch die Mächtigen der USA – vom Abgeordneten bis zum Präsidenten, alle sind sie hier. Auch der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat hier sein Büro. Wollte man also vor wenigen Tagen noch Dominique Strauss-Kahn besuchen, so musste man lediglich in die 700 19th Street, Washington, fahren, wo sich der Hauptsitz des IWF befindet. Noch schnell den Aufzug bis in den obersten Stock, an den Security-Leuten vorbei, nach rechts abbiegen und schon hätte man ein anregendes Gespräch mit einem der mächtigsten Männer der Welt führen können.

Jetzt ist das schon ein bisschen anders. Dominique Strauss-Kahn, von den kürzelverliebten Franzosen liebevoll „DSK“ genannt, sitzt in einem Penthouse in New York City. Das Problem, das seinen Aufenthalt nicht ganz so angenehm gestaltet: Er darf sein Appartement nicht verlassen, außer um zum Arzt, zur Synagoge oder zum Gericht zu gehen. Sichergestellt wird das per Fußfessel und eigens für ihn engagiertem Sicherheitsteam. Grund für das ganze Spektakel: Dem 62-Jährigen wird vorgeworfen, am 15. Mai ein Zimmermädchen im Edelhotel „Sofitel“ in New York zu Oralsex genötigt, sogar gewaltsam dazu gezwungen zu haben. Die Anklage wurde bereits erhoben.

Mittlerweile ist er auch nicht mehr der Chef des IWF. Seinen Rücktritt reichte er vergangenen Donnerstag ein. In seiner Rücktritterklärung heißt es, er wolle seine Energie insbesondere dafür nutzen, um seine Unschuld zu beweisen. Obwohl er mit Ben Brafman einen der besten Anwälte in Amerika in seinen Reihen weiß, wird es unglaublich schwer für DSK die Gunst der Richter auf seine Seite zu ziehen. Diese Tatsache wiederum hat verschiedene Gründe. Zum einen gibt es anscheinend Indizien, die ihn erheblich belasten. Zum anderen jedoch fand und findet seit der Verhaftung des ehemaligen Direktors des IWF eine derartige Polarisierung der Gesellschaft in Amerika – aber vor allem in Europa! – statt, deren Ausmaß durch die gezielte Lenkung der Medien immer rasanter anwächst. Doch verfehlen die Medien hier nicht ihre Aufgabe? Sollten sie nicht möglichst unvoreingenommen sein und die Tatsachen zu Rate ziehen?

Den Anfang machte bereits das schon oft gesehene Bild Strauss-Kahns in Ketten, unrasiert und übermüdet. Mitten in der Nach wurde er von dem amerikanischen Justizbehörden der Haftrichterin vorgeführt – und auf dem Weg dorthin bereitwillig den Papparazzi präsentiert. Viele Stimmen sagen, es sei richtig gewesen, immerhin wird mit jedem Gefangenen so umgegangen. DSK soll wie jeder andere behandelt werden. Doch wie schon der französische Philosoph Bernard Henri Lévy im Gespräch mit der ZEIT meint, ist Strauss-Kahn nicht jeder andere. „Wenn ein gewöhnlicher Mörder mit Handschellen das Kommissariat verlässt, dann warten da eben nicht die Fotoapparate, ihn zu füsilieren. Aber wenn es Strauss-Kahn ist, dann ist die ganze Welt zur Stelle. So zu tun, als sähe man da keinen Unterschied, das ist die eigentliche Ungerechtigkeit.“, so BHL weiter. Einen Mann derart vorzuführen, weist die riesigen Defizite im amerikanischen Rechtssystem auf, wenn es um Privatsphäre oder ähnliches geht. Hierbei geht es nicht um die Sache, vielmehr um die Art.

Während die französischen Medien nicht aus ihrer Schockstarre entweichen können, und viele Franzosen noch immer eine Kampagne gegen den aussichtsreichen Präsidentschaftskandidat der Sozialisten wittern, sind die deutschen bereits in medias res.

Sonntag, 21.05. 21.45 Uhr. Anne Will hat geladen. Die Gäste sollen zum Thema „Sex, Lügen, Prozesse – was ist los mit unseren Vorbildern“ debattieren – wie immer natürlich eine ausreichend seriöse Basis für fundierte Argumente. Mittendrin statt nur dabei, naturgemäß Alice Schwarzer. Die Feministin und Chefredakteurin der „Emma“, für die jede Gestalt mit einem Glied zwischen den Beinen bereits verdächtig erscheint, darf selbstredend nicht fehlen, wenn es um Vergewaltigungsvorwürfe geht. Bereits im Fall Kachelmann bewies sie durch ihre objektive Berichterstattung für BILD („Darum ist es wichtig, dass Ex-Freundinnen aussagen“/ „Kachelmann ist sein eigenes Opfer“) eine Fachexpertise sondergleichen. Wie immer verweist sie darauf, dass eine Vergewaltigung unglaublich schlimm für die Betroffene sei, auch noch danach. Dass sich viele nicht zur Polizei trauen. Aus vielen richtigen Elementen schließt sie die falsche Folgerung: Strauss-Kahn ist sicher schuldig. Doch zum Glück diskutiert bei Anne Will nicht nur Alice Schwarzer mit sich selbst, sondern auch noch einige andere. So bereicherte der fachkundige Prominentenjurist Peter Raue die Sendung mit strafrechtlichen Einwürfen und klärt so ein Stück weit über die Hintergründe auf. Am Ende sind sich fast alle einig: Strauss-Kahn ist unschuldig – bis das Gegenteil bewiesen ist. Nur Alice Schwarzer ist anderer Meinung.

Montag, 23.05. Der SPIEGEL wirft mit seiner Titelstory „Sex & Macht – Anatomie einer gefährlichen Beziehung“ die These auf, Männer in mächtigen Positionen würden diese oft in sexueller Natur ausnützen. Obwohl die beiden Autoren Ullrich Fichtner und Dirk Kurbjuweit im Artikel selbst erwähnen, dass DSK noch nicht schuldig ist, schwebt über dem ganzen Text die Schuld und die Sexgeilheit des Strauss-Kahns, wie einst das Schwert des Dionysios über dem Haupt Damokles´.

Wie in vielen Berichterstattungen lassen die SPIEGEL-Redakteure leider ein fundamentales Element des Rechtssystems außer Acht: Die Unschuldsvermutung. Heißt, solange die Schuld des Angeklagten noch nicht bewiesen wurde, ist jener als unschuldig anzusehen. Natürlich gibt es Fälle bei denen jedermann die Unschuldsvermutung beiseitelässt – was streng genommen nicht dienlich ist – weil die Beweise von vornhinein so erdrückend lasten, dass von einer Schuld ausgegangen werden kann. Im Fall Dominique Strauss-Kahn sieht es indes anders aus. Bisher steht Aussage gegen Aussagen. Einvernehmlicher Sex oder Vergewaltigung?

Der Fall Strauss-Kahn legt wieder einmal dar, wie Heikel Vergewaltigungen in einem juristischen Verfahren sind. Auf der einen Seite ist es für das Opfer eine nahezu unmenschliche Prozedur und Aufarbeitung des Geschehenen. Für die Betroffenen bedeutet dies oft eine Tortur, die nur schwer zu überstehen ist. Überhaupt: Dieser Artikel ist nicht dazu gedacht, zu zeigen, dass alle Männer unschuldig sind. Ganz im Gegenteil. In der Vergangenheit wurde bei Sexualverbrechen in Deutschland oftmals zu milde geurteilt, in der Mitte des letzten Jahrhunderts waren – laut Justiz! – sogar häufig Frauen selbst schuld, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Solche Missstände darf es nicht geben, vor allem nicht bei solch einem sensiblen Thema.

Doch man muss auch die andere Seite der Medaille betrachten. Für einen Mann genügt eine Anschuldigung und er hat den Rest seines Lebens den Ruf eines Sexualverbrechers – ob er schuldig gesprochen wird oder nicht. Solche Mechanismen desavouieren nicht nur das juristische Prinzip der Unschuldsvermutung, sondern öffnen auch Tür und Tor für Rachegedanken enttäuschter Frauen. Die Unschuldsvermutung wird außer Kraft gesetzt. Denn es gibt auch schwarze Schafe unter den vermeintlichen Opfern. Der Mann ist in dieser Hinsicht so gesehen machtlos. Diese Perversität geht bereits soweit, dass sich in Amerika kein Mann mehr alleine mit einer Frau in einen Aufzug begibt, weil er Angst haben muss, dass wenn der 18 Stock erreicht ist, er wegen sexueller Belästigung angezeigt wird.

Jedes vermeintliche Sexualdelikt muss von den Behörden und der Gesellschaft aufs Äußerste verurteilt werden. Dies bedeutet hingegen nicht, dass vor einem Urteil bereits eine soziale Ächtung stattfinden darf – weder auf Täter-, nach auf Opferseite.

Es steht Aussage gegen Aussage. Solange, bis die Richter entscheiden. Und bis dahin sollte jeder das sein, was er ist: Ein Mensch mitten aus unsrer Gesellschaft und kein Verstoßener.

Von Johannes Gansmeier

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 24. May 2011
Kategorie: Die Welt da draußen

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Ein Kommentar zu “Die Desavouierung der Unschuldsvermutung”

  1. Ein guter, wenn auch kein sehr guter Artikel…
    Gut ist er, der Artikel, weil er in angemessener Sprache und dank guter Strukturierung einen schönen Lesefluss ermöglicht und den Leser nicht vor einem Wust von vielen, oftmals sogar guten Gedankengängen, stehen lässt, die aufgrund der Unordnung nicht die Würdigung erfahren können, die Ihnen eigentlich rechtmäßig zusteht. Zudem ist es erfreulich zu vermerken, dass sich die Fehler bei der Interpunktion und Rechtschreibung in (engen) Grenzen halten.
    Zusammenfassend ist also bei diesem Artikel formal nicht viel, bis gar nichts auszusetzten. Weswegen, wenn es so etwas denn gäbe wie ein dezidiertes Bewertungssystem, er von mir 4.5 Sterne bekommen würde in formaler Hinsicht.

    Inhaltlich weist er aber zuweilen eine subjektive Verzerrung des Sachverhaltes seitens des Autors auf. Ich möchte an dieser Stelle nicht missverstanden werden: ich begrüße es, wenn ein Autor wertend Stellung in seinen literarischen Werken bezieht und dies darf er auch mit Fug und Recht tun. Aber, und dieses Faktum ist aus meiner Ansicht nach elementar, ein subjektiver Eingriff darf es nicht bei der Darlegung des zu behandelnden Themas geben. Zumindest nicht dann, wenn es die ungehinderte Betrachtung auf den Sachverhalt beugt.
    Will sagen, eine Beschneidung von Informationen im Vorwege der eigenen Bewertung ist fatal und illegitim, denn sie entspricht nicht der Wahrheit und verfälscht diese und zeichnet ein falsches Bild des Geschehens, was unweigerlich den Leser beeinflusst, sofern er sich nicht außergewöhnlich gut mit der behandelten Materie auskennt. Hier zwei Beispiele:

    Ich gebe dir, Johannes recht in Bezug auf deine These, dass das seit der Antike geltende juristische Prinzip des „in dubeo pro reo“ gelten muss. Auch bei Strauß-Kahn.
    Hierbei darf aber nicht einfach der Sachverhalt unterschlagen werden, dass Herr Strauß-Kahn nicht das erste Mal in dieser Sache auffällig wurde und das der Grund, dass dieser Vorfall nicht wirklich publik wurde, der Tatsache geschuldet ist, das er zu dieser Zeit noch in Frankreich weilte und die Journalisten Frankreichs bekannt dafür sind, nach dem Gesetz des „jardin secret“, des „geheimen Gartens“, in dem alles erlaubt ist, solange seine Früchte nicht auf die öffentliche Straße wuchern, derlei Verhalten mit Kumpanei und ignoranter Augenzwinkerei abtun (was bei ähnlichen Vorfällen anderer Protagonisten, ebenfalls so gehandhabt wurde, z.B. Mitterand, d`Estaing), anstatt eine seriöse Berichterstattung zu fabrizieren. Im puritanischen Amerika sieht das schon ein wenig anders aus. Unter diesem Licht, erscheint das jetzige Verfahren unter einem etwas anderen Lichte.
    Zudem sollte der von dir aufgeführte Einschub des französischen Philosophen Levy` zwischenmenschlich eingeordnet werden. Levy` zählt nämlich zu den engsten und besten Freunden Strauß-Kahns, was seine Positionierung erklären dürfte.

    Abschließend fällt bei deiner Argumentation etwas auf: sie weist unter Berücksichtigung auf deine Positionierung im Zusammenhang mit dem „in dubeo pro reo“ Prinzip, gerade in diesem Punkt logische Löcher auf, wenn du nämlich zum Beispiel schreibst: „Jedes vermeintliche Sexualdelikt muss von den Behörden und der Gesellschaft aufs Äußerste verurteilt werden.“
    Richtig wäre nach deiner vorangegangen Argumentation zu sagen, „Jedes vermeintliche Sexualdelikt muss von den Behörden und der Gesellschaft ernst genommen werden.“
    Denn solange der Tatbestand vermeintlich ist, wäre eine Verurteilung durch staatliche Institutionen und Gesellschaft, nichts anderes als eine Vorverurteilung, die du ja ächtest und die die Aussage der „Desavouierung der Unschuldsvermutung“ unterminiert.

    Inhaltlich würde ich diesem Artikel also leider nur drei Sterne geben.
    Eben ein guter, aber kein sehr guter Artikel.

    Geposted von nothingISreal | May 25, 2011, 22:51 | Antworten

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