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Die Welt da draußen

Punkte

Täglich sehen wir so viele von ihnen, dass wir ihre eigentliche Beschaffenheit kaum noch wahrnehmen. Hinter einem Satz. Auf Kleidungsstücken. Das Muster auf dem Blatt nachdem der Füller ausgelaufen ist. Die Kerne in einer Kiwi. Die Regentropfen auf der Fensterscheibe. Die Sommersprossen auf dem Gesicht meiner Cousine. Viele kleine Punkte.

Von Anna Schweicher

Natürlich gibt es auch etwas größere Punkte. Beispielsweise den Punkt, mit dem die Stelle am Fenster eines Zuges gekennzeichnet ist, an der man im Notfall die Scheibe einschlagen soll.

Und solche, die wir Menschen erfunden, beziehungsweise so genannt haben und die meist vor allem von Lehrern für besonders bedeutend gehalten werden. Den Hochpunkt. Den Tiefpunkt. Den Sattelpunkt. Den Frühlingspunkt. Den Punkt an dem ihr Geduldsfaden reißt.

Man könnte noch zahlreiche andere Punkte nennen und doch bin ich sicher, dass man erst einmal darüber nachdenken müsste. Und gerade das zeigt doch schon, dass wir die Punkte und ihre Wichtigkeit aus dem Blick verloren haben.

Stellen wir uns doch mal eine Welt ohne Punkte vor. Unsere Körper hätten ohne Muttermale einiges an Individualität eingebüßt. Das Sternenzelt wolkenklarer Sommernächte bliebe uns verwehrt. Die Telekom müsste sich ein neues Logo einfallen lassen. Ein „i“ wäre kaum noch von einem einfachen Strich zu unterscheiden, geschweige denn ein „ü“ von einem „u“. Der Spielstand beim Tennis wäre um einiges schwerer zu ermitteln, das gleiche bei Basketball und Kniffel. Obwohl nun Kniffel auch nicht mehr spielenswert wäre, denn eine jede Seite des Würfels wäre ja identisch. Dem Mondgesicht würden die Augen fehlen.

Wenn wir nun einmal im größeren Rahmen denken, stoßen wir auf noch sehr viel fatalere Probleme. Der Punkt, an dem man wirklich glücklich ist, wäre nie erreicht. Bei der Berechnung der Geschwindigkeit eines Fahrzeuges oder Wurfgeschosses dürfte, um Hoch- und Tiefpunkte zu vermeiden, für jeden beliebigen x-Wert immer nur der gleiche y-Wert herauskommen. Die Straßenbahn müsste also konstant eine Geschwindigkeit durchfahren. Wir müsste aufspringen. Und nicht nur das. Um auch die Geschwindigkeit nicht motorisierter Gegenstände gleichbleibend zu halten, dürfte es keine Reibung geben. Das heißt keine Luft. Wir Menschen wären gezwungen entweder einem evolutionären Wunder gleich innerhalb von Sekunden auf Kiemen umzusteigen oder schlicht auszusterben, was auch für den Großteil aller anderen Lebewesen gelten würde.

Und noch mehr: Es gibt keine Form, die keinen Mittelpunkt hat, abgesehen von der Unendlichkeit. (Ich lege es hier nicht darauf an mich mit Herrn Fischer zu streiten ob die Unendlichkeit eine Form ist.) Haben wir also keine Formen, haben wir keine Dinge. Haben wir keine Dinge, haben wir keine Erde und keine sonstigen Himmelskörper.

Ich hoffe, verständlich gemacht zu haben, wie bedeutend Punkte sind. Ehren Sie Punkte. Vergegenwärtigen Sie sich ihre Wichtigkeit jeden Tag. Malen Sie Punkte auf den Rand Ihrer Chemie-Arbeiten und rechtfertigen Sie Ihr Bedürfnis, die Welt um ein paar Punkte zu bereichern, mit diesem Artikel. *

Und auch am Schluss dieses Artikels steht ein Punkt.

*Es wird keine Haftung für eventuelle Strafen oder die ein oder andere Rüge übernommen.

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 11. February 2011
Kategorie: Die Welt da draußen

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3 Kommentare zu “Punkte”

  1. “Wir müsste aufspringen” kleiner rechtschreibfehler, nur zur info :D

    Geposted von Julius Ehrsam | February 11, 2011, 22:45 | Antworten
  2. Das Gleiche gilt für das Gleiche und einige Kommas, lieber sveznalica Julius ;-)
    Aber das Interessante an diesem Text sind wohl kaum diese kleinen Fehler, sondern der Text selbst. Eine schöne Idee, Anna!

    Geposted von Katharina Matanovic | February 12, 2011, 18:57 | Antworten
  3. Ganz meine Meinung – und noch was Julius:Anna hat angesprochen,dass es ohne Punkte (im weiten Sinn gefasst) nichts geben würde.Eine ziemlich düstere Vorstellung,nicht wahr?Also lass Anna doch ihre kleinen Fehler – als Zeichen dafür,dass auch sie ihre Existenz dem Punkt zu verdanken haben.Und es ist ja auch eine kleine (unbeabsichtigte) Bekräftigung der Aussage des Artikels,nicht wahr?

    Auf ein letzten Turnus vor den Faschingsferien!
    lg Vivien

    Geposted von Vivien | February 19, 2011, 20:02 | Antworten

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