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“Wir geben unsere Inhalte nicht auf, nur um zu regieren”

Bild: DIE LINKE

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Das Superwahljahr 2011 ist noch keine zwei Monate alt, doch die Parteispitzen aller Parteien arbeiten bereits auf Hochtouren an deren Wahlergebnissen.
Besonders für DIE LINKE wird das Jahr viele wichtige Entscheidungen bringen, die, nach den Skandalen in den letzten Monaten, wohl durchaus richtungsweisend sein können.
derfarbfleck hat deshalb genauer nachgehakt, wie es um die Zukunft der Partei steht. Der Bundesparteivorsitzende Klaus Ernst stellte sich im farblfeck-Interview exklusiv unseren Fragen und stand Rede und Antwort.

derfarbfleck: Guten Tag Herr Ernst. Knapp sechs Jahre ist es nun schon her, dass Sie aus der SPD ausgeschlossen wurden. Grund hierfür war die von Ihnen mit-initiierte Gründung der WAsG, die Sie als wählbare, soziale Alternative proklamierten. Ist es für Sie persönlich eine Genugtuung, wenn Sie heute im Jahr 2011 sehen, dass Ihre Partei „Die Linke“, durchaus als Fusionsprodukt der WAsG und PDS zu bezeichnen, in manchen Bundesgebieten mittlerweile auf Augenhöhe mit der SPD zu sehen ist?

Ernst: Es ist richtig: DIE LINKE ist ein Erfolgsprojekt. Wir sitzen in 13 Landtagen, haben über 6.000 Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen, eine starke Bundestags- und Europafraktion. Klar freue ich mich, dass wir beispielsweise in Sachsen-Anhalt in den Umfragen deutlich vor der SPD liegen. Aber es geht uns nicht um Umfragen, sondern um einen Politikwechsel für die Menschen.

derfarbfleck: Durch den Erfolg der Linken bei den letzten Wahlen 2005 wurde die Parteienlandschaft signifikant geprägt, da seit jeher fünf Parteien im Parlament sitzen. Unabhängig von politischen Einstellungen, wird jedem Betrachter klar, dass durch diese Umstände eine Koalitionsbindung deutlich erschwert wird. Hinzu kommt, dass die Linke bei den restlichen Parteien als „koalitionsunfähig“ gilt. Wie wollen Sie die Linke koalitionsfähig machen?

Ernst: In der letzten Legislaturperiode haben wir Kurt Beck angeboten, ihn zum Kanzler zu wählen – wenn er einen gesetzlichen Mindestlohn einführt, die Rente mit 67 zurücknimmt, Hartz IV abschafft und die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht. Das Angebot war ernst gemeint – so viel zur Koalitionsfähigkeit. Wir werden von den Menschen gewählt, weil wir bei unseren Kernthemen verlässlich sind. Wir geben nicht unsere Inhalte auf, nur um zu regieren.

derfarbfleck: Unlängst postulierten Sie in der Süddeutschen Zeitung, es gäbe keine Annäherung an andere Parteien auf Initiative der Linken. Andere Parteien müssten den ersten Schritt machen. Doch ist es nicht suboptimal von der Parteiführung Ihrer Partei den Standpunkt zu vertreten, anderen Parteien wie der SPD oder den Grünen ohne ein eigenes Entgegenkommen zu begegnen?

Ernst: Warum sollten wir zum jetzigen Zeitpunkt unsere Positionen aufweichen? Heute reden alle über einen Abzugstermin in Afghanistan oder den gesetzlichen Mindestlohn – weil es DIE LINKE gibt. Die anderen Parteien müssen sich zu unseren Positionen verhalten und das ist gut so.

derfarbfleck: Der Passauer Neuen Presse gegenüber brachten Sie die Forderung auf, dass bei einer Kündigung eines Mitarbeiters ab 55 Jahren jedes Mal ein paritätischer Beirat abstimmen müsste, ob die Kündigung rechtens sei oder nicht. Denken Sie nicht, dass ein solches Gesetz von vornherein Unternehmen abschrecken würde Leute ab diesem Alter einzustellen?

Ernst: Eine solche Regelung würde dazu führen, dass ältere Beschäftigte gehalten werden. Und solche Regelungen brauchen wir. Die Älteren werden rausgedrängt – und gleichzeitig wird über Fachkräftemangel geklagt. Über 40 Prozent der jüngeren Beschäftigten haben nur noch einen befristeten Job – wie soll man denn da eine Familie gründen? Deshalb brauchen wir zum Beispiel einen besseren Kündigungsschutz und eine Ausbildungsabgabe zur Schaffung von ausreichend Ausbildungsplätzen.

derfarbfleck: Vor kurzem hat Ihre Kollegin Gesine Lötzsch in einem Artikel für die Junge Welt ein Bekenntnis zum Kommunismus abgelegt, in Stellungnahmen danach indes bekräftigt, dass das Ziel der Linken nicht der Kommunismus, sondern weiterhin der demokratische Sozialismus sei. Inwiefern denken Sie, dass solche Aussagen über den Kommunismus zum Imageverlust Ihrer Partei führen können?

Ernst: Der Kommunismus ist weder Gesines Ziel noch das der Partei DIE LINKE. Die Debatte darf aber nicht den Eindruck erwecken, dass wir uns nicht mehr um die Sorgen der Menschen kümmern. Deswegen gilt es jetzt wieder für gute Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und bessere Renten zu kämpfen.

derfarbleck: Was würde eine erneute Überwachung der Linken durch den Verfassungsschutz für die Partei bedeuten?

Ernst: In mehreren Ländern werden wir immer noch vom Verfassungsschutz beobachtet. Das ist absurd, denn an unserer Haltung zum Grundgesetz besteht keinerlei Zweifel. Vielmehr haben sich die letzten Bundesregierungen  ein paar Ausrutscher erlaubt, die dann vorm Bundesverfassungsgericht gescheitert sind: Vorratsdatenspeicherung oder Hartz IV Regelsätze. Vereinzelte Forderungen nach mehr Beobachtung zielen vielmehr darauf ab, Menschen davon abzuhalten, uns zu wählen, zu unterstützen oder beizutreten. Das ist eine undemokratische Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes.

derfarbfleck: Nun aber weg vom Politiker und Bundesvorsitzenden Ernst und hin zum privaten Klaus Ernst. Bleibt für einen Mann in Ihrer Position überhaupt einmal etwas Zeit zum Durchatmen und falls ja, was machen Sie gerne während Ihrer Freizeit?

Ernst: Auch als Parteivorsitzender muss man sich die Zeit für andere Dinge außer der Politik nehmen. Ich verbringe gerne Zeit mit meiner Freundin oder Bekannten. Zudem koche ich persönlich sehr gerne, fahre Ski oder im Sommer Fahrrad.

derfarbleck: Wie ist Ihre persönliche Meinung zum Thema Hochbegabtenförderung? Denken Sie in Deutschland wird genug dafür getan hochbegabte, junge Menschen optimal zu fördern oder erachten Sie es als nicht notwendig eine spezielle Förderung aufzubauen?

Ernst: Ich möchte eine optimale und individuelle Förderung für alle jungen Menschen. Kleinere Klassen und Gruppen, mehr Lehrpersonal, bessere Ausstattung, moderne Lehr- und Lernmethoden mit mehr eigenständigem Lernen und Projektarbeit Bildung statt Selektion. In einer solchen Lernatmosphäre können sich auch hochbegabte junge Menschen besser entwickeln – ohne aus einem Klassenverband zum Beispiel herausgerissen zu werden. Wirkliche Begabtenförderung umfasst für mich nicht nur eine kleine Gruppe, sondern alle.

derfarbfleck: Was wünscht sich der private Klaus Ernst für das neue Jahr 2011?

Ernst: Auch als Privatmensch bin ich ja Bayer. Ich wünsche mir den Einzug der LINKEN in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, damit wir uns für 2013 ganz dem Landtagswahlkampf in Bayern widmen können. Wenn wir als LINKE den bayerischen Landtag knacken gibt’s ne Riesenparty.

derfarbfleck: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.

Ernst: Sehr gerne. Ich wünsche Euch weiterhin viel Erfolg mit Eurem Magazin und alles Gute.

Das Interview führten Johannes Gansmeier & David Irion.

Klaus Ernst, geboren am 1.November.1954 in München,
1970-1974 Ausbildung zum Elektromechaniker,
1979-1984 Studium der Volkswirtschaftslehre und Sozialökonomie in Hamburg,
1995-2010 gewählter 1. Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt,
2004 Ausschluss aus der SPD,
Mitglied des Bundestages für DIE LINKE seit 2005,
seit 2005 Mitglied im Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion DIE LINKE,
ab 2007 stellvertretender Bundesparteivorsitzender,
seit 2010 Bundesparteivorsitzender DIE LINKE.

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 09. February 2011
Kategorie: Stars on Page

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8 Kommentare zu ““Wir geben unsere Inhalte nicht auf, nur um zu regieren””

  1. Ende Mai 2010 berichtete Der Spiegel, Ernst habe möglicherweise gegen das Abgeordnetengesetz verstoßen, da er sich Kosten für drei Reisen zu Gewerkschaftstreffen und Aufsichtsratssitzungen von der Bundestagsverwaltung erstatten ließ, anstatt von der Gewerkschaft und den jeweiligen Unternehmen.
    Quelle: Wikipedia

    Geposted von funeral | February 9, 2011, 13:36 | Antworten
  2. Lieber funeral,

    in der Tat bestand der von dir aufgeführte Verdacht.
    Dieser wurde jedoch schon längst widerlegt:
    (http://www.sueddeutsche.de/politik/linken-chef-verfahren-eingestellt-die-weisse-weste-des-klaus-ernst-1.1016572)

    Geposted von der farbfleck | February 9, 2011, 17:56 | Antworten
  3. Laut seiner Aussage würde es unter ihm also kein Landesgymnasium für Hochbegabte geben…

    Geposted von Bob | February 10, 2011, 15:42 | Antworten
  4. Ich hättte mir zusätzlich ein paar kritische Fragen zur Haltung der SED-Nachfolgepartei zur DDR-Vergangenheit gewünscht.
    Bspw. hätte man fragen können, was Ernst davon hält, wenn seine Stellvertreterin Sarah Wagenknecht öffentlich behauptet, die DDR sei “kein Unrechtsstaat” und die Mauer ein “notwendiges Ãœbel” gewesen.

    Ansonsten aber ein wirklich gelungenes Interview mit sehr schönen und sachlichen Fragen!
    Weiter so!

    Geposted von Cato | February 10, 2011, 15:52 | Antworten
  5. Mensch, mir dröhnen von diesen Paukenschlägen nur so die Ohren! (Wann kommt denn eigentlich das Interview mit Obama endlich raus?…) – Ach, aber eins vermisse ich dann doch: Beim Interview mit dem Ministerpräsidenten wurden schöne Bilder geschossen, die die Chefredaktion beim gepflegten Kaffee-Trinken in der Villa Reitzenstein zeigen. – WARUM GIBT ES ALSO KEIN BILD MIT KLAUS ERNST, WIE ER DIE CHEFREDAKTION IN SEINEM PORSCHE UM DEN BLOCK FÄHRT?!

    Geposted von Andreas Ehmer | February 11, 2011, 16:05 | Antworten
  6. Wirklich sehr gelungenes Interview, diesmal zum Glück mit etwas kritischeren Fragen und mehr Aufhängern als bei Mappus. Trotzdem hätte mich noch interessiert, inwiefern Herr Ernst die im Interview genannten Privatvergnügen unter einen Hut mit seinen politischen Zielen bringen will – hier hat sich ja schon des öfteren eine gewisse Diskrepanz bei ihm abgezeichnet.
    Zwar sehe ich die Idee eines demokratischen Sozialismus in Deutschland als eine sehr positive Weiterentwicklung unserer Gesellschaft, aber dennoch finde ich, dass dabei in jedem Fall die individualistische Grundlage gewahrt bleiben muss und keinesfalls soziale Gleichmacherei betrieben werden darf. Vielmehr würde ich dabei auf eine Herstellung von Chancengleichheit plädieren, mit der sich wiederum auch Hochbegabtenförderung rechtfertigen, ja sogar hinreichend begründen ließe.

    Geposted von JudAs | February 11, 2011, 16:30 | Antworten
    • Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat.
      Es existiert Chancengleichheit.

      Geposted von Cato | February 11, 2011, 17:56 | Antworten
  7. Ich finds echt gut, dass ihr auch in die andere politische Richtung interviewt. Ãœberhaupt, Respekt dass ihr an die ganzen Leute rankommt.

    Geposted von Jakob S. | February 11, 2011, 23:19 | Antworten

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