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Die Welt da draußen

Die Dagegen-Republik

Bild: Roger Blackwell @ flickr.com

Bild: Roger Blackwell @ flickr.com

Egal ob in Stuttgart, Gorleben, oder im trauten Bayernland – überall quer durch die Republik werden die ansässigen und verantwortlichen Politiker hilflos einer Naturgewalt sonders gleichen  ausgesetzt – dem Protest eines Teils der Bevölkerung.

Doch kann es wirklich sein, dass politisch legitimierte Entscheidungen ein fürs andere mal unterminiert und bezweifelt werden? Ist der Ruf nach mehr Basisdemokratie denn wirklich sinnvoll und berechtigt?

Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschlands 1949 herrscht in unserem Land die Repräsentativdemokratie. Diese ist sogar in unserem Grundgesetz Artikel 38 festgehalten, wo es heißt: „(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Das bedeutet salopp ausgedrückt, jeder Bürger darf (und sollte) bei Wahlen sein Kreuzchen bei der Partei oder der Person seines Gewissens machen und somit seinen Teil dafür leisten, diese in die Regierung zu bringen. Dort repräsentieren dann die von den Bürgern gewählten Politiker die Meinungen und Wünsche ihrer Klientel. Tun sie das nicht, werden die erzürnten und enttäuschten Wähler bei der nächsten Gelegenheit ihren Unmut über die Stimmabgabe kundtun. So einfach ist das Prinzip.

Doch seit geraumer Zeit indes ist es anscheinend zur Mode avanciert, Entscheidungen durch Großdemonstrationen derart ins Wanken zu bringen, dass diese tatsächlich nach jahrelanger Planung verworfen oder zumindest verzögert werden. Hierbei ist nicht die Rede von Entscheidungen auf Ebene der Kommunalpolitik, sondern von Projekten, dessen Auswirkungen ein ganzes Bundesland, ja sogar ganz Deutschland betreffen. Gegen ein solches Verfahren ist juristisch (meistens) nichts einzuwenden. Wenn wir wieder unser Grundgesetz zur Hand nehmen, finden wir dort unter Artikel 8 folgendes Grundrecht: „(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“. Doch darf dieses Recht soweit ausgereizt werden, dass es als Druckmittel gegen die repräsentative Demokratie gesehen werden kann?

Der Ruf nach mehr Basisdemokratie wird immer lauter, das Volk soll die wichtigen Bestimmungen selbst über Abstimmungen beschließen. So würde jede Stimme erhört und keiner würde benachteiligt sein. Bei Bedarf soll dieser Forderung durch wiederholte Demonstrationen Gehör verschafft werden.

Dass dieses Konzept in Zeiten einer globalisierten und rasend-schnell entwickelnden Welt nur als Utopie abgetan werden kann, scheint die Verfechter der Theorie nicht zu stören. Die von Helmut Schmidt in seinem Buch „Unser Jahrhundert“ den Deutschen attestierte „Großmannsucht“ scheint sich zu bewahrheiten. Ein jeder meint er könne am besten beurteilen, ob ein Konjunkturpaket von 14 Milliarden Euro zum Wohl der deutschen Bevölkerung ist. 14 Milliarden Euro! Ein Betrag, den man sich erst gar nicht vorzustellen vermag. Erst recht nicht, wenn man betrachtet, dass das durchschnittliche Nettoeinkommen eines Arbeitnehmers bei ca. 35 900 Euro im Jahr liegt. Wie soll ein einfacher Familienvater in Anbetracht dessen nun entscheiden können, was für ganz Deutschland (!) am besten ist?

Ein weiterer Aspekt, der von vielen gerne vergessen wird ist der Fakt, dass die Entscheidungsträger, die verantwortlich dafür sind, was im Land oder Staat passiert auf einer politisch legitimierten Basis stehen. Diese leiten Projekte oder Gesetze nicht nach gut Laune in die Wege, sondern kommen nach vielen Beratungen und Anhörungen von Spezialisten zu einem Ergebnis, dass nach demokratischen Maßstäben also das beste von allen möglichen sein muss. Natürlich ist nicht jedermann im Land- oder Bundestag ein Experte für z.B. Fernverkehrsanbindungen, doch wenigstens werden Experten angehört, befragt und einberufen. Diese Art von Informationsgewinnung ist doch etwas anders zu bewerten, als die einmalige Begutachtung einer Fernseh-Talk-Show zum Thema „Stuttgart 21“. Auch wenn es viele nicht gerne  hören – man ist kein Experte, wenn man die Meinung anderer aus Film und Fernsehen einfach wiedergibt. Eine fundierte Meinungsfindung setzt sich aus diversen Quellen zusammen.

Bild: GRÜNE Baden-Württemberg @ flickr.com

Bild: GRÜNE Baden-Württemberg @ flickr.com

Zudem muss man sich vor Augen führen, wem mehr Volksentscheide denn überhaupt zum Vorteil gereichen würden. Einige bekannte Beispiele aus der Vergangenheit sollten exemplarisch verdeutlichen, dass eine Masse, die gegen etwas stimmt, immer leichter zu mobilisieren ist, als eine neutrale oder positiv eingestellte Menge an Menschen.

So geschehen etwa in Hamburg. Die Bürgerinitiative „Wir wollen lernen“ brachte es fertig binnen weniger Wochen über 180.000 Unterschriften gegen die von der schwarz-grünen Regierung  geplante Einführung der Primarschulen zu sammeln. Beim Volksentscheid am 18.Juli.2010 wurde eine solche Umstrukturierung des Schulsystems tatsächlich abgewehrt. Qui boni? Wer hat einen Nutzen davon?

Vielleicht verrät ein Blick auf die von der Initiative auf deren Homepage aufgeführten Unterstützer, wer Interesse an der Abwehr der Primärschulen hatte. Dort befindet sich die Vereinigung der Hamburger Ärzte neben dem Zusammenschluss von Schulleitern und Unternehmerverbänden in bester Gesellschaft. Das Establishment sozusagen. Die „obere“ Schicht, für die es nicht akzeptabel wäre, ihr Kind noch zwei weitere Jahre auf dieselbe Schule zu schicken, wie jedermann. Durch diese „Angst“ getrieben, waren es natürlich gerade jene, die zur Wahlurne schritten.

Oder die Abstimmung über die Einführung des Raucherschutzgesetzes in Bayern, die ebenfalls im Juli 2010 über die Bühne ging.

Auch dort konnte die Seite den Erfolg verbuchen, die den Stein überhaupt ins Rollen gebracht hatte. Unglaubliche 37,7 Prozent entschieden über die Zukunft eines ganzen Landes, eines  jeden kleinen Ecklokals und Gasthauses, das nun einmal von seinen rauchenden Stammgästen überlebt hat. Nun herrscht in Bayern eines der strengsten Raucherschutzgesetze der ganzen Welt, Wirte müssen schließen und keiner will’s gewesen sein. Ist diese Legitimation größer als bei einer Repräsentativdemokratie? Ist das wirklich fairer?

Abschließend lässt sich konstatieren, dass Volksentscheide en masse bei weitem keine brauchbare Alternative zu unserem Subsidiaritätsprinzip sind. Alleine schon die Trägheit und Inflexibilität der selbigen ist ein nicht zu überwindendes Gegenargument, noch hinzu kommt die fehlende Legitimation in der Bevölkerung.

Nicht jeder sollte sich anmaßen alle Entscheidungen in Frage zu stellen. Dieser Artikel soll in Gottes Namen nicht dazu animieren nur zu kuschen und zu gehorchen. Vielmehr ist es das Ziel, darauf aufmerksam zu machen, dass nicht jede Entscheidung von Bedeutung angefochten werden sollte. Zu viele Köche verderben bekanntlich Brei. Man stelle sich einen Brei, zubereitet von 83.000.000 Köchen vor. Na dann guten Appetit!

Von Johannes Gansmeier

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 19. January 2011
Kategorie: Die Welt da draußen

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4 Kommentare zu “Die Dagegen-Republik”

  1. Nun es ist doch ein gutes Zeichen von Demokratie das sich Menschen über
    Beschlüsse Gedanken machen und gegebenen falls Demonstrieren wenn
    sie eine Sache wie z.B. S21 nicht gut finden. Es ist keines falls eine dagegen
    Haltung sondern eine andere Meinung bei der wie in Stuttgart für den Kopf-
    bahnhof Erhalt und Umbau demonstriert wird. Dies wird auch bei anderen
    Themen wie Gorleben und Atomausstieg klar wo sogar eine Vorhandene
    Entscheidung gekippt wurde. Um zum Volksentscheid in Bayern zu kommen
    muß man sagen in anderen Ländern hat das Verbot ohne Volksentscheid
    sehr gut geklappt. Es ist keines falls eine dagegen Haltung sondern ein dafür für mehr Demokratie.

    Geposted von wolfgang | January 23, 2011, 09:57 | Antworten
  2. Die parlamentarische Demokratie sieht vor, anstelle des gesamten Volkes lediglich aus dessen Mitte gewählte Vertreter den Willen eben dessen durchsetzen zu lassen. Das Volk wiederum nimmt darauf direkten Einfluss, indem es bestimmt, welche Meinung letztenendes prozentual überlegen sein wird. “Insider”, in diesem Falle die politisch Verantwortlichen, haben eine komplett andere Sichtweise auf die Sachverhalte und ein darauf geschärftes Urteilsvermögen; das kann dem Großteil der Bürger nicht zugestanden werden, womit wir wieder beim Thema Scheinexperterie wären. 2009 gingen nur knapp 72 Prozent der Deutschen zur Bundestagswahl, ist das also der richtige Weg, seine Meinung zu vertreten? Wohl kaum. Natürlich ist die Protestbewegung ein Zeichen von Demokratie, aber am Falschen Ende angefangen. Ein gelungener Artikel der ausspricht, was mir schon länger durch den Kopf geistert.

    Geposted von Moritz | January 26, 2011, 00:15 | Antworten
  3. Alles nicht falsch, wenn auch etwas einseitig. Was aber, wenn die Experten tatsächlich <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Lobbyismus&quot; Lobbyisten sind? Dann kommt auch keine unabhängige Meinung zustande, sondern geschulte <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Rhetorik&quot; Rhetoriker nehmen auf geschickte Weise Einfluss auf unsere Entscheidungsträger – in ihrem eigenen Interesse und im Interesse Dritter (Industrie, Verbände, etc.). Volksentscheide sind auch in diesen Fällen nicht zwingend besser, aber sie müssen auch nicht von vornherein schlecht sein.

    Geposted von Stefan | February 8, 2011, 11:35 | Antworten
  4. Ich stimme mit Wolfgang überein, dass Dagegen-Politik eindeutig der falsche Name ist. Eines der Fotos bietet dafür ein Beispiel. So kann ein GEGEN S21 doch genauso gut ein FÜR K21 sein.
    Außerdem ist es doch das Recht eines deutschen Bürgers zu Demonstrieren. Welchen Sinn hätte dies, wenn durch die Demonstrationen nichts zu bezwecken wäre?

    Geposted von annafarbfleck | March 11, 2011, 20:14 | Antworten

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