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Wir hier drinnen

Du hast die Wahl

Foto: twicepix @flickr.com

Neue Mitglieder unserer großen LGH-Familie sollen nicht wählen dürfen – im ersten Moment ist man gewogen zu glauben, der Sarrazinvirus greife auch am LGH um sich: Ein Tabubruch in Form einer provokative These, die sich scheinbar nicht begründen lässt; zudem „ Diskriminierung“ gegenüber den neuen Zuwanderern, über die sich unsere Schule seit Jahresbeginn freuen darf. Vielleicht wird auch die Reaktion der Farbfleckleser derjenigen der deutschen Bevölkerung gleichen: gemurmelte Zustimmung auf der einen Seite, krasse Ablehnung auf der anderen. Das einzige, was fehlt sind Eugenik, Statistiken und die Prominenz des Autors.
Selbstverständlich soll der Leser davon überzeugt, werden, dass dieser Artikel nicht aus der Feder eines Sarrazin 2.0 stammt. Die Argumentation soll daher – was bei „Tabuthemen“ oft vernachlässigt wird – in erster Linie sachlich sein.
Das Prinzip unserer Wahl beruht selbstverständlich auf der Demokratie: jeder LGH-Bürger soll ein Recht haben, seinen Vertreter zu wählen. Ein Grundsatz der tief in unserem Wertesystem verankert und deshalb so schwer zu kritisieren ist. Man sollte aber – gerade in der Jugend – auch diese Dogmen hinterfragen. Das fordert unausweichlich folgende Frage: Warum haben wir die Demokratie mit ihrem Grundgedanken zu unserer Staatsform (sowohl am LGH als auch in der Bundesrepublik Deutschland) gewählt?
Die Antwort kann nur wie folgt lauten: Weil wir glauben, dass dies die beste Form ist, unser Zusammenleben zu organisieren.
Man kann wohl ohne Vorbehalte behaupten, dass eine Gemeinschaft ein gutes Zusammenleben führt, wenn sie überlegte und verantwortungsvolle Entscheidungen trifft.
Eine Demokratie kann also nur dann gut funktionieren, wenn ihre Entscheidungen mit Verantwortung getroffen werden. Das setzt voraus, dass jeder einzelne Partizipant des Systems weiß, wie und warum er sich entscheidet. Man stelle sich zum Beispiel vor, ein Großteil der Wähler bei einer Bundestags wählt, ohne sich je ernsthaft mit dem politischen Tagesgeschehen auseinanderzusetzen. Genauso gut könnte man würfeln.
Der Philosoph Albert Camus äußerte folgenden Gedanken: „Die Freiheit besteht in erster Linie nicht aus Privilegien, sondern aus Pflichten“. Die Freiheit, wählen zu dürfen, ist so unmittelbar mit der Pflicht, seine Wahl verantwortungsvoll zu treffen, verbunden wie unser Demokratiebegriff mit gesellschaftlicher Gerechtigkeit verknüpft ist.
Die Schüler die neu bei uns an der Schule sind, kennen unsere Kandidaten zum Zeitpunkt der Wahl seit drei Wochen. Nach gewöhnlichen Maßstäben für menschliche Beziehungen ermöglicht das lediglich eine sehr oberflächliche Bekanntschaft. Ich möchte damit nicht im Geringsten behaupten, dass unsere neuen Familienmitglieder ein schlechtes Urteilsvermögen aufweisen. Ich möchte nur klarstellen, dass es selbst bei überdurchschnittlicher Menschenkenntnis an das Unmögliche grenzt, eine verantwortungsvolle Entscheidung (verantwortungsvoll heißt gut für die Gemeinschaft) zu fällen.
Folglich sollten neue LGHler entweder nicht wählen oder unsere Schulsprecherwahl sollte auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Von Frederik Benzig

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 30. September 2010
Kategorie: Wir hier drinnen

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Ein Kommentar zu “Du hast die Wahl”

  1. Interessanter Gedanke, wenn auch ziemlich provokativ formuliert. Die Frage ist, ob eine Verschiebung wirklich Besserung verschafft. Ich denke, das grundlegende Problem ist, dass das sich kennenlernen einfach sehr lange braucht. Und wir können die Wahl nicht ein halbes Jahr hinausschieben.

    Spannend wird es, wenn nur noch zwei siebte Klassen aufgenommen werden. Diese werden die Elftklässler, aufgrund des Altersunterschieds, wohl gar nie richtig kennenlernen, dennoch verfügen sie über ein Sechstel der Stimmen.

    Nun ist der Gedanke angebracht, ob es überhaupt so entscheidend ist, wer Schülersprecher ist und ob nicht auch diejenigen, derer erster Eindruck gut ist auch Vorteile haben.

    Geposted von Cornelius | October 17, 2010, 10:50 | Antworten

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