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Die Leiden eines Schopenhauers – Teil 1: Ein Spannungsfeld

In den folgenden Wochen werden wir an dieser Stelle eine Serie zum Thema “Die Leiden eines Schopenhauers” publizieren. Diese von Frederik Benzig angefertigte Arbeit unter dem Motto:”Literatur und Mathematik,” werden wir in  kommender Zeit in 4 Teilen hier auf derfarbfleck.de veröffentlichen.

Mathematiker pflegen einen für den Großteil der „normalen“ Menschen (Nicht-Mathematiker) sehr ungewohnten Sprachgebrauch, einen absurden würden die oben beschriebenen, normalen Menschen wohl sagen. Einer dieser Menschen, Johann Wolfgang von Goethe, formulierte diese Distanz zwischen normaler und mathematischer Sprache wie folgt: „Die Mathematiker sind eine Art Franzosen: Redet man zu ihnen, so übersetzen sie es in ihre Sprache, und dann ist es alsobald ganz etwas anderes.“

Das gegenseitige Unverständnis rührt wahrscheinlich daher, dass die Mathematiker versuchen, ihre so logische und konsistente Welt des Abstrakten mit einer Sprache zu beschreiben, die Manches offen hält und sich – gerade bei abstrakten Begriffen – vielseitig interpretieren lässt, sofern man ihr nicht, wie Mathematiker es tun, starre Bedeutungen aufzwingt. Außerdem ist in der Umgangssprache oft auch mit unpräzisen (aus Sicht der Mathematiker) Erklärungen oder Aufforderungen klar, was gemeint ist. Bei Mathematikern führen diese Ungenauigkeiten allerdings zu Ãœbersetzungsfehlern, und dem Betrachter kommt die resultierende Aussage spanisch – wenn nicht gar französisch – vor.

Einen Poeten oder Sprachliebhaber, der nie Vorlieben für die Mathematik hegte, brächte diese zarte Kritik richtig in Rage. Sie wäre ein Ansporn, endlich einmal loszuwerden, wie schlimm Mathematik doch wäre. Schon damals in der Schule… Mathematiker nähmen der Sprache ihren Reiz. Sie zwängten ihr die logische Denkstruktur auf. Und sie schrieben schlicht. Sehr schlicht. Dadurch ginge jegliche Interpretationsmöglichkeit verloren.

Diese Auffassung impliziert, dass man sich in einem Text über Mathematik über letztere auslassen sollte. Schrieben nur Mathematiker, so gäbe es keine interessante Literatur. Ohne Bedeutungsspielraum und Vielfalt wäre unsere Sprache langweilig. Sehr langweilig. Die Sätze wären kurz. Sehr kurz. Und der Stil wäre komisch. Sehr komisch. Mathematiker sollten bei ihren kalten, ausdruckslosen Zahlen (gegebenenfalls auch noch bei griechischen Buchstaben, aber ja nicht bei Wörtern oder gar Texten) bleiben.

Auf einen solchen Affront hin ließe sich sicherlich ein Mathematiker finden, der die Literatur für ihre Unschärfe kritisierte. Wenn ein Autor etwas zu sagen habe, so solle er es doch bitte direkt und klar tun und nicht in nebulösen Metaphern daherschwafeln. Die Suche nach der eigentlichen Meinung des Urhebers sei ja vergleichbar mit der Suche eines Blinden nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Und andauernd diese ständigen Ãœbertreibungen… Ganz zu schweigen von diesen lückenfüllenden, blumigen, unangebrachten und arabesken Adjektiven. Scheußlich, so etwas. Aber die Literaten würden schon sehen, sie würden ihr Waterloo schon noch erleben. Wer derart viele Vergleiche und Anspielungen verwendete, anstatt die nüchterne Wahrheit zu sagen, der müsste wie Robespierre scheitern, auch wenn er einige Hochphasen durchlebt hätte. Die Mathematiker hingegen würden ihren Weltgeist zu Pferde noch hervorbringen. Am Ende bezwänge die klare Mathematik die unreine Literatur so, wie einst die Französische Revolution den Absolutismus niederstreckte. Und etwas trotzig endete der Mathematiker damit, dass die Mathematiker gar nicht wie die Franzosen wären, man könnte sie sehr wohl verstehen.

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 14. July 2010
Kategorie: Farbflecken

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4 Kommentare zu “Die Leiden eines Schopenhauers – Teil 1: Ein Spannungsfeld”

  1. Und sie schreiben schlicht. Sehr schlicht. Nein, tun sie nicht, ein Glück, sonst wäre uns ja dieser wunderbare Text entgangen. Ich freu mich auf die nächsten Teile

    Geposted von Girlyman | July 14, 2010, 13:42 | Antworten
  2. Genialer Coup des farbslecks sich solch ein Meisterwerk zu besorgen :D
    Wenn ich es lese, komme ich mir ungemein simpel, unkreativ und ungebildet vor und entwickle eine große Achtung vor dem Autor, ich ziehe den Hut.

    Geposted von Florence | July 16, 2010, 08:47 | Antworten
  3. Alle Achtung, den Mathematiker dahinter droht man ob der Sprache beinah zu verkennen.

    Geposted von Timon | August 2, 2010, 18:59 | Antworten
  4. Genial, Freddy! Hut ab!

    Geposted von Cornelius | October 13, 2010, 23:18 | Antworten

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