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Die Welt da draußen

Der Ball ist virtuell und ein Spiel dauert 10 Minuten

von David Irion

„Write the future.“
Mit einem dreiminütigen Werbespott zu diesem Slogan eröffnete der größte Sportartikelhersteller der Welt das
Medienspektakel Fußball-Weltmeisterschaft. Nur wenige Stunden nach Veröffentlichung auf der Internetplattform YouTube, hatten schon drei Millionen Menschen das Video gesehen. Die vermeintlich größten Stars der Weltmeisterschaft 2010 zeigten ihre perfekt durchgestylten Tricks und ersannen dabei was geschehen würde, wenn sie Weltmeister werden würden, oder eben wenn nicht.
Die Menschen waren begeistert von diesem Rausch der Fertigkeiten.

Doch nur einige Wochen später ist kein einziger dieser Superstars mehr dabei, wenn es darum geht Geschichte zu schreiben.
Denn sie konnten allenfalls nur eine marginale Rolle spielen.
Ihre Artistik,  ihre Dynamik, ihre Fähigkeiten, ihr Glanz, alles was sie darstellten, fand nur im computeranimierten Werbespot statt, nicht in der Wirklichkeit des grünen Rasens im Stadion.
„Was macht ein Engländer, nachdem sein Team Weltmeister geworden ist?
Er schaltet seine „Playstation“ wieder aus.“
Dieser Witz war in den Tagen nach dem Achtelfinal-Aus der Nationalmannschaft Englands gegen die deutsche Auswahl  immer wieder zu hören. Hier schwingt nicht nur Hohn und Spott mit den Dauerverlierern aus England mit, sondern auch der Hinweis auf eine sich in den letzten Jahren entwickelte Parallelwelt. Eine Parallelwelt für die auch der Werbespot ein Paradebeispiel ist.
„Doch noch mehr als die Werbung, beeinflusst die Welt der Spielkonsolen das Bild des Fußballs, “ schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 01.07.10.
Denn in einer Zeit, in der in den westlichen Industrienationen so gut wie jeder Zugang zu einem Computer, einer „Playstation“ oder einer „Xbox“ hat, wächst die Kluft zwischen einer uns vorgespiegelten Wirklichkeit und der eigentlichen Wahrheit.  Der Computer ist der bessere Fußballer und wird immer perfekter sein, als es der Spieler aus Fleisch und Blut auf dem realen Fußballplatz  je werden könnte. Dennoch versuchen Fußballer wie Cristiano Ronaldo ihrem eigenen virtuellen Kunstbild hinterherzujagen. Was dabei herauskommt ist eine einzige große Inszenierung, die sich in ihren immer neuen Showeffekten selbst  zu übertreffen versucht.
„ Ronaldos WM bestand aus etwa einem Dutzend Szenen, in denen er mit Solo-Dribblings, 35-Meter-Schüsse  oder ziellosen Zirkusnummern partout etwas besonderes zeigen wollte, was nicht gelang, “ heißt es weiter im Artikel der FAZ.
Es ist allerdings kein ganz neues Phänomen, dass man nach dem Kunstbild seiner selbst strebt. Denn Porträts sind keine Erfindung des 21. Jahrhunderts.

Ein Porträt und das ist so ein virtueller Fußballer im Computerspiel letzten Endes auch, ist eine künstlerische Darstellung einer Person. Die Absicht so eines Bildnisses ist es, neben der Darstellung der anatomischen Ähnlichkeiten auch das Wesen und ein wenig auch die Persönlichkeit des Porträtierten zum Ausdruck zu bringen. Und schließlich ist es auch Projektionsfläche für den Betrachter.
Diesem komplexen Zusammenspiel subjektiver als auch objektiver Faktoren gesellt sich die eine alles bestimmende Frage: Wie wird der menschliche Körper am wirkungsvollsten inszeniert?  Hierbei war die realistische Wiedergabe oftmals gerade nicht erwünscht, sondern der oder die Abgebildete sollte je nach Funktion verstärkende Attribute erhalten. Ein König sollte also noch mächtiger, ein Philosoph noch weiser und ein Fußballer, ja ein Fußballer sollte einfach noch besser sein.
Die heutigen Möglichkeiten des Virtuellen und der digitalen Bildbearbeitung eröffnen noch nie da gewesene Formen an Manipulationen, sodass es uns als außenstehenden Betrachter Zusehens schwer fällt zu unterscheiden, was Fiktion und was real ist.  Ist uns eigentlich bewusst, wie sehr diese Bilder unser Bild von der Welt, unser Bild vom Leben beeinflussen? Wie sehr sie unsere Wirklichkeit prägen?
Menschen die man auf ihre Reaktionen bezüglich der uns umgebenen Künstlichkeit anspricht, behaupten von sich, sie wüssten sehr wohl zu unterscheiden. Und dennoch darf bezweifelt werden, ob wir nicht doch zuweilen in unserem ganz normalen Leben die uns vorgetäuschte Wirklichkeit mit der Wahrheit verwechseln.
Cristiano Ronaldo scheint dies  offensichtlich zu tun. Und auch seine Fans, die ihn trotz dürftiger Leistungen in allen drei Vorrundenspielen auf der offiziellen
FIFA-Website zum „Man of the match“, dem spielbestimmenden Mann wählten.

Nur einer der großen Superstars konnte  während der WM annähernd seiner Rolle gerecht werden. Lionel Messi, der sich nach eigener Verlautbarung selber gerne am Computer spielt, zeigte, wenn auch nicht bei allen seinen Auftritten, guten Fußball. Er ist einer der besten Fußballer der Welt. Und das weiß er. Das, was ihn gut spielen lässt, ist die Tatsache, dass er nur er selbst sein muss, um einer der Besten zu sein.
Er bringt  Fiktion und Realität in Einklang, weil er beide noch zu unterscheiden vermag und Einklang nicht als etwas versteht was um des Einklangs willen gleich sein muss.

Schwierig bleibt die Frage nach dem was die Zukunft noch bringen wird. Wie solche Entwicklungen weiter gehen ist aus jetziger Sicht nicht abzusehen.
Bisher haben sich Bilder und Filme an tatsächlichen Menschen orientiert, wurden digitale Helden nach Helden aus Fleisch und Blut geschaffen.
Im Beispiel Cristiano Ronaldos ist es fast umgekehrt: Er, der menschliche Ronaldo ist das Surrogat, der computeranimierte das Original.
Was, wenn wir eines Tages diesen menschlichen Ronaldo nicht mehr benötigen, weil seine digitale Kopie das in allen Belangen bessere Original ist?
Schöner, schneller, trickreicher, dynamischer, besser.
Dann muss man sich fragen: Was ist der Mensch?

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Quelle: derfarbfleck
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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 10. July 2010
Kategorie: Die Welt da draußen

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Ein Kommentar zu “Der Ball ist virtuell und ein Spiel dauert 10 Minuten”

  1. Ein sehr schöner Artikel, der ein großes Problem der (Werbe-)Medien aufzeigt. Gut geschrieben, lässt es an Kritik nicht mangeln und scheint noch dazu gut recherchiert zu sein. Weiter so!

    Geposted von daveneukirch | July 10, 2010, 21:20 | Antworten

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