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Die Welt da draußen

Werden wir tatsächlich immer dümmer?

illustration Credit: Benedict Campbell. Wellcome Images

von Marie Völkering

Überall hört man es, in den Nachrichten, Zeitungen, in Dokumentationen, Büchern und im Radio: Die Menschheit wird immer dümmer, ist immer mehr auf den technischen Fortschritt angewiesen,  verblödet regelrecht.
Doch kann man das so überhaupt ausdrücken? Oder kommt uns das nur so vor, weil der Fortschritt wächst und die Welt um uns immer humanoider wird? Vielleicht waren wir auch in der Vergangenheit schon so klug, dass der Fortschritt zur Gewohnheit wurde und uns der aktuelle Stand nicht mehr ausreicht? Wir müssten uns also fortlaufend weiterentwickeln, weil ein gleichbleibender Standard langweilig wäre und uns somit als ein Zeichen der Verblödung erschiene?

Ich werde, wie auch sehr viele andere Leute, fast täglich mit diesem Thema konfrontiert. Am Anfang ging es mir eigentlich nur auf die Nerven, allerdings merkte ich irgendwann an der Häufigkeit dieses Themas, wie wichtig es den Menschen erscheint und wie sie doch teilweise einfach in dieser Meinung festgefahren sind, dass die Bevölkerung dümmer wird.

Ich möchte diese These auch gar nicht in Frage stellen, weil ich weiß, dass zum Beispiel der Durchschnitts-IQ seit zehn Jahren nachweislich sinkt. Oder die Jugendlichen immer weniger Zeit mit Lernen, dafür mehr mit ihren PCs, Fernsehern oder Konsolen verbringen. Und das macht bekanntlich dumm.

Allerdings finde ich jedesmal einen kleinen, aber schwerwiegenden Denkfehler in dieser Äußerung, die Menschheit würde immer weiter an Intelligenz und Logik abnehmen: Wenn dies wirklich stimmen würde, wären wir dann überhaupt in der Lage, jetzt neuartige Taschencomputer mit Touchscreen zu produzieren? Wäre es dann überhaupt möglich, dass in den letzten Jahren so viel über den Klimawandel nachgedacht wurde? Könnten wir dann, wie oben genannt, auf den technischen Fortschritt angewiesen sein, wenn er inexistent wäre, weil die Menschheit nicht mehr fähig wäre, ihn am Leben zu erhalten? Wenn die Menschheit wirklich verblöden würde, gäbe es die Welt in dieser Form dann überhaupt?

Denn die Menschen haben die Welt offensichtlich verändert, mit Industrie, Verkehr, Technik etc. Und die Welt verändert die Menschen. Gäbe es die Welt nicht so, wie wir sie Tag für Tag sehen, wäre auch der Gedanke der Menschheitsverdummung nicht existent, weil es ja angeblich die Technik ist, die uns dümmer werden lässt, zum Beispiel das Fernsehen. Die gäbe es aber ohne uns  gar nicht. Wenn die Menschen tatsächlich so dumm wären, gäbe es aber zum Beispiel kaum so moderne Fernseher wie unsere heutigen, dementsprechend könnten sie die Menschheit auch nicht dümmer machen.

Ich denke, der Logikfehler ist offensichtlich: Wenn die Menschen dumm wären, wären sie nicht dumm. Andersherum geht es natürlich auch: Wäre die Menschheit total klug, würde sie sich extrem schnell weiterentwickeln, Verdummung vorprogrammiert. Das ist ungefähr so logisch wie das allseits bekannte Gedicht „Dunkel wars, der Mond schien helle“.

Fazit: Die Menschheit ist vielleicht nicht so schlau, wie sich das manche wünschen würden, und  statistisch gesehen mag eine Veranschaulichung der Durchschnittsintelligenz auch in eine eher weniger wünschenswerte Richtung gehen, aber dass wir extrem dumm oder gar an der Grenze zur absoluten Verdummung und Lebensunfähigkeit (zumindest ohne Technik) sind, ist unlogisch. Vielleicht sind wir ja auch genau auf dem richtigen Stand: Nicht zu dumm, aber auch nicht zu schlau.

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 17. May 2010
Kategorie: Die Welt da draußen

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5 Kommentare zu “Werden wir tatsächlich immer dümmer?”

  1. Mein Senf dazu: Technik als solche macht nicht blöd, sondern blöd macht das, was sie vermittelt bzw. ermöglicht. Und das ist in den meisten Fällen Bequemlichkeit. Es gibt sicher einen gewaltigen Unterschied zwischen Intelligenz und Geist, wie es einen solchen Unterschied zwischen Sklave und freiem Menschen gibt. Und darin liegt das Verhängnis, das ist der Teufelskreis. Denn noch gewaltiger ist oder entwickelt sich der Unterschied zwischen Erfindern/Entwicklern sogenannter fortschrittlicher Technik und den Konsumenten. Da gibt es eine Elite und da gibt es das riesige Heer der Anwender. Beispiel Auto: früher haben ziemlich viele Leute selber Autos repariert oder sogar gebaut, die Technik verstanden und entsprechend genutzt. Das ist heute gänzlich anders. Wer kann schon noch nachvollziehen, wie so ein Touchscreen-Dings funktioniert? Gebraucht wird nur noch das bisschen Intelligenz, das Ding zu bedienen und der “Geist”, im Besitz dessen und großartig zu sein. Eine Illusion. Schon ein Nachdenken darüber, ob man so ein Ding überhaupt braucht, fällt aus. Besitz allein ist die “Leistung”. Und das ist nunmal nicht viel. Sieh Dich um.

    Geposted von monologe | May 17, 2010, 06:26 | Antworten
  2. Natürlich macht die Technik allein nicht dumm, sondern die Bequemlichkeit – aber Technik verleitet nun mal gern zur Bequemlichkeit, weil es einfach viel einfacher ist, den Computer für sich arbeiten zu lassen.
    Und dazu, dass es immer nur ein paar Leute gibt, die etwas zu einem Thema versteen und dann für die anderen arbeiten: Das ist auch ganz gut so. Denn man kann ja nicht alles wissen und können. Und Experten machen es halt viel besser. Es ist dementsprechend auch viel logischer, wenn immer eine Gruppe an einem Thema arbeitet – so kann man den anderen helfen, und die helfen einem selbst auch.

    Geposted von mariefarbfleck | May 17, 2010, 11:49 | Antworten
  3. Du generalisierst ein bisschen stark – nicht alle sind gleich. Und du wirst der Technik und dem, was sie ermöglicht, nicht ganz gerecht. Technik ist kein Selbstzweck und auch nicht (zumindest meist nicht) Spielzeug, sondern soll die Produktivität erhöhen.

    Geposted von My 2 ¢ents | May 20, 2010, 19:51 | Antworten
  4. Das stimmt zwar, aber ich sah mich nicht so recht in der Lage dazu, für jeden Typ von Mensch einzeln zu schreiben.
    Und ich weiß auch, dass der Sinn der Technik ist, die Produktivität zu erhöhen. Aber die, die die Technik unter anderem zu einem großen Teil nutzen sind Jugendliche, so wie ich und älter. Und allein schon aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis weiß ich, dass sie nun mal oft als Spielzeug oder sinnloser Zeitvertreib genutzt wird. Ich kenne natürlich auch Leute, die die Technik im Nutzen der Wissenschaft, Arbeit etc. nutzen, aber eben auch viele, von denen man nur das Gegenteil behaupten kann.

    Geposted von mariefarbfleck | May 21, 2010, 17:56 | Antworten
  5. Naja, zu diesem Thema möchte ich auch mal meinen Beitrag abgeben:

    Normalerweise, und dass ist typisch für die Menschheit,
    versteht sie nur einen Bruchteil dessen, was sie umgibt.
    Immer, wenn sie an einem Übergangspunkt war, wurden neue Wahrheiten gefunden und Entdeckungen gemacht, welche die alten entweder über den Haufen warfen oder an sie anknüpften.
    Es gibt so viele Beispiele, dass ich müßig bin, viele aufzuzählen.
    Aber eins wäre z.B. die Entwicklung der Chemie in Bezug auf das kleinste unteilbare Teilchen.
    Wer die Geschichte nicht kennt, dem empfehle Ich Prof. Dr. Harald “Leschs Kosmos”, darüber gab es sogar eine Sondersendung.

    Was ich sagen will , ist, dass die Menschheit nie komplett verstanden hatte, wie das wirklich funktionierte, was sie gerade benutzte
    Auch Entdeckungen wie das Feuer sind da keine Ausnahme.

    Der Unterschied besteht doch darin ,dass wir heute durchaus in der Lage wären, den Gesamtaufbau eines Automobils nachzuvollziehen und es auch selbst zu reparieren, es dauert halt nur exponentiell länger.
    Aber das Wissen ist doch vorhanden.
    Na gut, dann promoviere ich eben in Maschinenbau dafür und setze mich die nächsten zehn Jahre dafür hin, aber prinzipiell geht es und es gibt ja Leute, die so etwas können.

    Mal von diesen abwegigen Beispielen weg hin zur Praxis.
    Um dennoch bei der Metapher zu bleiben:
    Grundsätzliches wie das Zusammenspiel der Komponenten oder die Funktionsweise derselbigen an sich sind schnell in Erfahrung zu bringen.
    Wenn man es nicht unbedingt die Prämisse anlegt, ich muss alles selbst reparieren können, dann kann man durchaus dav0n sprechen, dass jeder Mensch mit Interesse das Konstrukt gut und schnell mindestens rudimentär verstehen kann.

    Und mehr sollte man wirklich nicht erwarten, denn selbst damals waren Universalgenies, trotz des erheblich geringeren Wissensberges, schon “recht knapp” ;).

    Geposted von C. M. | July 26, 2010, 21:08 | Antworten

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