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Die Welt da draußen

Ein später Nachruf

Foto: Moe @flickr.com

von Johannes Gansmeier

Knapp über sechzig Prozent. Knapp über sechzig Prozent der deutschen Bevölkerung hielt es für notwendig, im vergangenen September an die Wahlurnen zu schreiten und dort ihrem Unmut, Ärger oder sonstigen Gefühlen freien Lauf zu lassen und zwar in Form eines kleinen Kreuzchens.

Ihres Kreuzchens. Ihrer Stimme.

Was sagt uns das? Etwa, dass es dem Großteil der Deutschen schlicht weg egal ist, was in unserem Land passiert? Oder doch nur, dass die meisten denken, dass es ohnehin gleichgültig ist, wer die Regierung bildet? Man könnte aber auch assoziieren, die Menschen wollten der Regierung ein Zeichen zukommen lassen. Mit uns nicht oder ähnliches.

Aber eventuell hatte die überwältigende Wahlbeteiligung der letzten Wahl auch einen anderen Grund. Die Krise.

Die schon so oft diskutierte Krise, die in den Medien teilweise sogar schon eine eigene, angsteinflösende Titelmusik hat, die Inkarnation des Bösen, ein Werk, das so grausam ist, dass es sogar die Exkommunizierung nach sich ziehen müsste. Jawohl diese Krise, die indes schon wieder bald aus unserem Gedächtnis verschwunden sein wird, ist schuld an einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung. Die Leute fragen sich welche Wahl sie nur treffen sollen. Der durch die Krise wieder aktivierte animalische Überlebenstrieb im menschlichen Körper erblickt mit einem male alle möglichen Optionen, um sein Leben zu retten. Auch die, seine Stimme zu enthalten oder sich nicht an der Wahl zu beteiligen.

Aber was ist mit den ca. 50 Millionen Menschen, die trotz alledem zur Urne geschritten sind? Welche Wahl blieb ihnen in Zeiten wie dieser überhaupt? Man fühlt sich wie ein Höhlenforscher, wenn man in die Gebirge der Politik vordringen will. Die Verzweigungen sind derart kompliziert, dass man sie kaum mehr zu durchblicken vermag. Ja, natürlich gibt es grob gesagt Rechts, Links und Mitte. Aber wo der Weg hinführt, wenn man sich für eine der Richtungen entscheidet ist nicht klar. Das ist übrigens bei der Höhlenforschung genauso.

Es gibt diverse Parteien, die sich auf Ansprachen gegenseitig schlecht reden- insofern das Wahljahr schon begonnen hat. Jede dieser Parteien verfolgt Ziele, oder sollte zumindest Ziele verfolgen, die in einem Wahlprogramm, das extra festgelegt wird, festgehalten sind. Schon bei diesem Punkt fängt die Fassade zum Bröckeln an. Jeder, der diesen Essay liest und schon einmal ein komplettes Wahlprogramm von vorne bis hinten durchgelesen hat soll bitte die Hand heben. Ich denke es gibt ähnlich viele Meldungen wie im Deutschen Bundestag, wenn über Steuererhöhungen für Politiker abgestimmt wird.

Heißt das, dass der Großteil der Wähler keine Ahnung hat für wen er gerade wählt? Nein, durchaus nicht, da man jeden Tag durch die Medien aller Art mit wild geführten Diskussionen über etliche Punkte dieser Parteiprogramme konfrontiert wird.

Wenn man sich also die ungefähren Ziele der Parteien vor Auge geführt hat, sollte man entscheiden ob diese mit seiner eigenen moralischen und ethischen Weltanschauung unter einen Hut zu bringen sind. Ist dies der Fall hat die Partei die zweite Hürde überstanden und ist in den Endkampf um die Gunst des Wählers vorgestoßen. Aber jetzt schon die Arme zu heben, wie einst Usain Bolt, wäre wohl das falsche Konzept zum Sieg. Man muss weiter die Bürger mit süß klingenden Wahlversprechen in sein kleines Hexenhäuschen locken, um sie dort nach der Wahl zu braten, ohne dass es jemanden auffällt. Also macht man sich daran, all das, was die Wähler verärgern könnte von der Öffentlichkeit fern zu halten. Wie kann man auch nur im Entferntesten daran denken bei einer Staatsverschuldung, wie es sie noch nie gab, die Steuern zu erhöhen? Im Gegenteil die Steuern müssen gesenkt werden, am besten wir schaffen die Steuern ganz ab. Ungefähr so muss man sich diese Wahrheitsverdrehungen der Politik vorstellen.

Diese weitere Hürde überwunden sind es nur noch wenige Hundertstel bis zum Ziel.

Die letzte Entscheidung trifft jedoch der Wähler ganz allein. Er muss demnach entscheiden, ob der Staat im Vordergrund stehen soll, die Bürger oder das Individuum. Genau das ist jedem selbst überlassen. Wenn man sich über diesen schwerwiegenden Grundgedanken nach vielen, vielen Stunden, die man alleine in seinem Kämmerchen verbracht hat und über den Sinn des Lebens sinniert hat, im klaren ist, kann man die über Wochen im Gehirn angereiften Gedanken und Wägungen über die Parteien führen und beobachten, bei welcher es zur Deckungsgleichheit kommt. Dann kann man den heiligen Bund der Wahl miteinander eingehen.

Aber um ehrlich zu sein trifft wohl niemand seine Wahl, nachdem er die oben aufgeführten Punkte akribisch durchgearbeitet hat.

Um es sich leichter zu machen, immerhin muss man sich sein kleines Köpfchen ohnehin bereits mit nimmer endenden Problemen belasten, kann man auch einfach nach Personen gehen. So konnte man etwa sagen, mir gefällt das sehr glaubhafte und wunderschöne Lächeln der Angela, die sehr oft auf “Staatsbesuchen” ist, dann wählte man die CDU. Oder man mochte etwa den uns allen gut bekannten und allseits beliebten Sanitäter  Frank-Walter, der sobald ein Unternehmen nach Hilfe rief mit Geld zu Hilfe eilte, dann machte man ein Kreuz bei der SPD. Man konnte aber auch Guido nett und sympathisch finden, der tag ein tag aus in der Tagesschau die Regierung kritisierte und ansonsten freundlich lächelte, wie es ein Oppositionsführer halt so macht, dann ist wohl die FDP die richtige Wahl. Oder man fand Horst Schlemmer lustig und amüsant, dann kann man ja auch die HSP wählen, für die bereits in etlichen Kinos Werbung gemacht wurde.

Wählen oder nicht wählen, das ist hier die Frage, denken sich jedoch auch viele der Kinobesucher. Man muss immerhin bedenken, wer nicht wählen geht, dem kann später niemand vorwerfen er hätte das Falsche gewählt. Wer nicht wählen geht, der kann später fleißig meckern und nörgeln was das Zeug hält und sagen er hätte es besser gemacht. Keiner kann ihm das Gegenteil beweisen. Man entzieht sich seiner Verantwortung.

Aber eben in einer Krisenzeit wie dieser, brauchte das Land die Verantwortung von jedem. Es war fatal genau in dieser so wegweisenden Wahl seine Stimme verfallen zu lassen, um den Regierungsmachern seinen Missmut kund zu geben. Man hätte sich gerade jetzt damals mit den Zielen beschäftigen und eine Wahl treffen sollen, die man mit seinem Inneren in Einklang bringen kann. Ob die Wahl die richtige war, erfährt man erst jetzt. Es ist eben wie beim Höhlenforschen. Man weiß nicht wohin man kommt. Wenn aber die breite Masse der Meinung ist, nicht zur Wahl zu gehen, dann muss ich mich Heinrich Heine anschließen, der einst sagte: Wenn ich denk an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.

Die Krise hat zwar die Wirtschaft geschwächt, nicht aber die Demokratie. Möglichkeiten gibt es demnach genügend, auch trotz der Krise. Man muss sich nur für die Richtige entscheiden.

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Quelle: derfarbfleck
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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 15. May 2010
Kategorie: Die Welt da draußen

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2 Kommentare zu “Ein später Nachruf”

  1. Ich glaube, da hat sich jemand verrechnet: 60 Prozent Wahlbeteiligung bedeutet, dass 60 Prozent aller _Wahlberechtigten_ zur Wahl gegangen sind, und nicht, dass 60 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung (also knapp 50 Millionen Menschen wie in dem Artikel) gewählt haben.

    Geposted von Rechenfreak | May 16, 2010, 16:24 | Antworten
  2. ….und im Zusammenhang mit einer Krise das Wort der Exkommunizierung ins Spiel zu bringen halte ich wohl doch zu sehr aus dem Zusammenhang gegriffen..(auch wenn da jemand unglaublich gerne Metaphernverwendet…:D )

    Geposted von RatzingerJ | June 14, 2010, 12:53 | Antworten

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