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Wir hier drinnen

Klamottentausch

von Julia Becker und Juliane Goetzke

Eine ganz besondere Woche für Julia und Juliane: Sie haben in einem Selbstversuch ihren kompletten Kleiderschrank getausch. Abgewetzte Chucks gegen schwarze Absatzschuhe, Julias schicker Kleidungsstil gegen Julianes Ökooutfit. Wie haben die andern reagiert, was sagen sie selbst? Wie wichtig ist Kleidung wirklich?

Julias Bericht: (Hier geht es zu Julianes Artikel)

Irgendwie kam die Idee auf dem Weg zur Oper in Stuttgart auf und jetzt haben wir den Salat. Die gesamte B-Woche in Lias Klamotten. Damit es auch wirklich stilecht ist, tauschen wir alles bis auf Unterwäsche und Schulränzen (beides aus praktischen Gründen).

Obwohl ich auf ihren Kleiderschrank prinzipiell schon seit der Zehnten, also seit nunmehr drei Jahren, uneingeschränkten Zugriff habe (sie auf meinen übrigens auch), so habe ich dieses Angebot bis jetzt doch eher zurückhaltend genutzt (sie meinen, soweit ich mich erinnern kann, noch nie. Hmm…).

Viele werden sich fragen, wieso wir das machen. Und, um ehrlich zu sein, habe ich mich das auch schon gefragt. Doch nachdem ich am Anfang dachte, dass es vor allem lustig wäre, sind mir mittlerweile auch einige interessante Fragen zum Thema eingefallen. Vor allem interessiert es mich, wie sich die Kleidung auf die Wahrnehmung durch andere auswirkt. Verhalten sich Menschen anders, wenn ich ihnen in Lias Kleidung begegne? In wie weit assoziieren wir Menschen und die mit ihnen verbundenen Gefühle mit ihrer Kleidung?

Ein weiterer interessanter Punkt ist die Frage, ob ich meine Kleidung auch noch dann schön finde, wenn sie jemand anderes trägt. Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht so ganz sicher, wohingegen Juliane sich eher ärgert, weil ich ihre Kleidung tragen darf…

Montag, erster Tag:

Heute war der erste Tag, an dem ich total „verändert“ in der Öffentlichkeit unterwegs war: Außer den normalen Kleidungsstücken wie Hose und Pulli trage ich auch Lias Chucks, Ohrringe und zahlreiche Leder-„Schmuck“-Stücke an Hals und Handgelenk sowie einen Schal und einen Pferdeschwanz. Mmh. Irgendwie hat dieses Mädchen im Spiegel nur eine geringe Ähnlichkeit mit dem, was ich dort sonst so erblicke.

Erste Konfrontation der Umwelt mit meinem neuen Look: Das Bad.

Rebekka: „Uii! Das sieht ja ganz anders aus! Richtig gut!“ Das geht ja schon mal gut los. 5 Minuten später läuft Lia in meinem grauen Strickpulli und hohen Schuhen, schwarzem Mantel und rosa Schal durchs Bad. Reaktion: „Oh Gott, Lia! Du siehst 20 Jahre älter aus!!“ Auch so ein Punkt über den ich mal nachdenken sollte. Wie schön, wenn dass mal jemand so deutlich ausspricht (auch wenn die Kommentatorin wohl nicht davon ausging, dass ich direkt vor der Badtür stand…).

Nächste Etappe: Mensa.

Verwirrte Blicke, Grinsen, weitere Kommentare.

In der ersten Pause werde ich mit „Lia, gut, dass du da bist, ich habe dich schon die ganze Zeit gesucht!“ angesprochen. „Tut mir leid, da muss ich dich enttäuschen“, sage ich und drehe mich um. „JULIA?!?“ Ein völlig perplexes Gesicht ist doch immer wieder amüsant.

Am ungerührtesten reagieren bis jetzt die Lehrer. Entweder sie verbergen ihr Erstaunen oder ihnen fällt nichts auf. Irgendwie tippe ich eher auf Zweiteres. So geschickt sind sie im Verstecken ihrer Gefühlsregungen doch wirklich nicht, wie ich aus Erfahrung weiß.

Resümé:

Die ersten Reaktionen sind erwartungsgemäß ausgefallen. Alles in allem habe ich heute sehr viele Komplimente bekommen und musste mir auch circa zehnmal anhören, dass ich zwanzig Jahre jünger aussehe. Außerdem sollte ich öfter so rumlaufen.

P.S.: Da sie das vermutlich verschweigt, möchte ich noch anfügen, dass auch Lia ein Kompliment in Bezug auf meine Kleidung bekommen hat… (zugegeben eins zu zwanzig, aber gut…)

Nun ein kleiner Bruch in der Berichterstattung: Mittlerweile sind die Osterferien ins Land gezogen und ich sitze daheim auf dem Sofa. Hatte ich den ersten Tag noch am selben Abend schriftlich fixiert, so ist die Motivation dazu sofort danach unter null gesunken. Und deshalb wird der Rest des Artikels nun mehr eine Retrospektive auf die verbleibenden drei Tage jener B-Woche.

Dies ist insofern vielleicht noch nicht mal ungünstig, als dass mir natürlich mittlerweile nur noch die prägenderen Erlebnisse im Kopf sind.

Ich weiß nicht mehr so genau, was ich noch alles Seltsames anhatte in dieser Woche, nur an ein „Outfit“ kann ich mich noch ganz genau erinnern:

Es muss der Dienstag gewesen sein, denn ich hatte die Erste frei und danach Französisch. Diesmal waren die zahlreichen Komplimente meiner Meinung nach eher zweifelhafter Natur, denn ich trug eine der schrecklichsten Kombinationen, die Lias Kleiderschrank überhaupt hergibt: Braune Lederhalbschuhe mit Holzperlen an den Schnürsenkeln, eine hautfarbene Strumpfhose, darüber rot-weiße Ringelfeinstrumpfkniestrümpfe, die kurz unter einem irgendwie zu weiten Jeansminirock endeten, irgendein vermutlich nicht ganz so schräges Top (da ich mich nicht mehr erinnern kann) samt einer weißen Cardigan mit Lochmuster.

Ja, es war der Tag, an dem wir die Extreme des Unbekannten erproben wollten.

Was auch immer sie gegen meine Schuhe sagt, keiner kann mir erzählen, dass klatschnasse Lederschuhe angenehmer sind, als wasserabweisende Schuhe mit Absatz, bei denen erstens die hintere Hälfte des Fußes garantiert trocken bleibt und zweitens die vordere Hälfte auch schnell wieder trocknet. Und ein Paar Seidenkniestrümpfe sind wärmetechnisch auch nicht der große Gewinn.

Ich würde sagen, der Dienstag ging ganz eindeutig zu meinen Gunsten aus, denn selbst Lia musste zugeben, dass die von mir getragene Kombination doch nicht so der Hit war. Und meiner Meinung nach sah sie in meinen Sachen richtig gut aus. (Eine Einschätzung, die sie aber vermutlich nicht teilt…)

Dem Urteil, dass Lias Klamotten praktischer sind, muss ich mich jedoch vorbehaltlos anschließen. Und eine Jacke, die aus regenabweisender Außen- und Fleece-Innenjacke besteht ist einem nahezu bodenlangen Wollmantel bei strömendem Regen eindeutig vorzuziehen.

Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich merkwürdig unsichtbar gefühlt habe, als ich zweimal mit ihren Klamotten in der Stadt war. Alles, was ich am LGH an Aufmerksamkeit mehr bekommen habe als normalerweise, wurde von den an mir vorbei laufenden Menschen wieder ausgeglichen.

Entweder mich streifte ein kurzer Blick von der Sorte, bei denen man genau weiß, dass das Gesehene im Gehirn sofort in die Kategorie „irrelevant“ eingestuft wird und gar nicht erst ins Bewusstsein dringt. Oder nicht einmal das.

Bei Müller wurde ich von den Verkäuferinnen misstrauisch beäugt, als ich wie immer eine Weile in der Parfumabteilung vor den Regalen stand und ein paar Parfums ausprobierte. Als ich es später sogar wagte, mir das neue Make-up von Chanel, ganz offensichtlich weit jenseits meiner finanziellen Möglichkeiten, näher zu betrachten, fürchtete ich tatsächlich, gleich mit diesem scheinheiligen, herablassend-gelächelten-Was-willst-du-denn-hier?-„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“ angesprochen zu werden.

Eine allgemeine Feststellung zum Rest der Woche ist jedoch, dass ihre Kleidung zum Im-eigenen-Zimmer-Rumhängen sehr viel bequemer und gemütlicher als meine ist, außerdem hat man so viele Sachen an, dass man immer etwas ausziehen kann, sollte es einem zu warm werden (was bei mir allerdings eher selten bis nie der Fall ist).

Trotz allem war die Woche wirklich interessant. Prinzipiell ist alles eine Sache der Perspektive (welch tiefschürfende Erkenntnis!), und ich bin überzeugt, dass wir beide in den Klamotten nicht so krass ausgesehen hätten, wenn nur eine die Sachen der anderen getragen hätte. Außerdem sind wir unsere eigenen Kleidungsstücke vermutlich einfach so gewohnt, dass wir uns auch natürlicher darin bewegen und normaler verhalten.

Ach ja, ich habe mir übrigens eine neue Jeans gekauft. Ohne Bügelfalte.

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Quelle: derfarbfleck
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Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 17. April 2010
Kategorie: Wir hier drinnen

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Ein Kommentar zu “Klamottentausch”

  1. Ich hab hier etwas, für alle Bloggerfreunde:
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    Sternchen

    Geposted von Sternchen | September 20, 2010, 16:17 | Antworten

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