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Die Welt da draußen

Abitur mit 17 – Vom Regen in die Traufe

Foto: Hans-Jochen Fritz Karl Krank-Hover

von Lena Langhoff

Das achtjährige Gymnasium wurde eingeführt um Deutschland im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn wettbewerbsfähiger zu machen. Soweit, so gut – doch ich bin jetzt 17, hab bald mein Abitur, aber keine wirklichen Perspektiven.


Meine Mitschüler sprechen von Weltwärts, dem Freiweilligendienst des Bundesministerium für Entwicklung, sie sprechen von Studieren in Städten weit weg von Zuhause, sie sprechen von all den Freiheiten die sich ergeben mit dem Abitur in der Tasche – und dem Geburtsjahr 1992.
Doch ich bin ein 93er und damit 17 bei meinem Abitur und auch noch ziemlich lange danach. Das achtjährige Gymnasium ist der Grund dafür. Meiner Meinung nach ist gegen das G8 nichts einzuwenden, die Einführung war meiner Meinung nach sogar längst überfällig, eben damit unser wir unsere Chancen im internationalen Wettbewerb erhöhen und mit anderen europäischen Ländern auf Augenhöhe bleiben. Die vom statistischen Bundesamt 2002 veröffentlichte Tabelle mit dem Alter der Abiturienten zeigt das ein Abitur mit 19 oder 20 Jahren völlig normal ist. Im europäischen Vergleich liegen wir damit am unteren Ende. Von dem Gesichtspunkt ist das G8 also völlig legitim.

Alter der Absolventen
18 Jahre und jünger 05,4 %
19 Jahre 41,5 %
20 Jahre 43,9 %
21 Jahre 08,0 %
22 Jahre 01,1 %

Doch meiner Meinung nach fehlt dem achtjährigen Gymnasium immer noch die komplette Durchdachtheit. Verschiebt man die Altersangaben jetzt um ein Jahr nach vorne, so sind mindestens 5,4 % der Abiturienten unter 18 Jahren. So viele sind also in der gleichen Position wie ich. In meiner Stufe haben fast ein Drittel meiner Mitschüler ihr Abitur mit 17. Die Möglichkeiten sind hier deutlich eingeschränkt.

Studieren mit 17 ist zwar prinzipiell möglich, doch unabhängig sein nicht. Meine Eltern müssen zum Beispiel für mich den Mietvertrag unterschreiben.
Zudem bin ich immer das Küken, denn studieren mit 17 ist nicht Durchschnitt, der liegt bei knapp 20 Jahren. Und Donnerstags auf Studentenparties ist auch nicht drin, um 24:00 Uhr muss ich nach Hause, ich schließe mich selbst aus.
Auch meine ehemalige Wunschuni, die Henri-Nannen-Journalistenschule schreibt unter den Bedingungen für eine Bewerbung: „Zugelassen für den 33. Lehrgang sind Bewerber, die bei Ausbildungsbeginn am 5. Juli 2010 mindestens 19 Jahre (…) alt sind. Ausnahmen sind nicht möglich.“. Damit ist sie kein Einzelfall, viele private Universitäten nehmen Bewerber unter 18 nicht auf.

Foto: Toni V @flickr.com

Weltwärts schreibt von sich selbst „Der Freiwilligendienst soll einem möglichst großen Kreis junger Erwachsener offen stehen.“, doch für unter 18 jährige gilt das nicht. In Ausnahmefällen dürfen jedoch auch Jugendliche ab 16 Jahren am Freiwilligendienst teilnehmen, teilt mir Eurodesk nimmt, die auf ihrer Website rausvonzuhaus.de Projekte für Jugendliche in ganz Europa vorstellen. Doch als Ausnahmefall gilt eine Behinderung oder ein fehlender Schulabschluss. Abitur mit 17 gehört da nicht dazu.

Die meisten Aupairagenturen vermitteln nur Bewerber ab 18 Jahren, auch Praktika sind schwer zu bekommen. Eine Weltreise kommt nicht in Frage.

Abitur mit 17 oder sogar 16 ist kein Einzelfall mehr, doch wird immer noch so gehandhabt. Die Gründe, vor allem die rechtlichen Grundlagen, viele Projekte erst ab 18 Jahren anzubieten sind mir durchaus bewusst, doch ich würde mir mehr Offenheit und Vertrauen für 17- jährige Abiturienten wünschen. Nur weil wir rechtlich gesehen noch nicht volljährig sind, so haben wir doch die gleiche schulische und moralische Erziehung genossen und haben damit bestimmt die gleiche Reife wie unsere teilweise nur ein paar Monate älteren Mitschüler, die aber weitaus mehr Möglichkeiten haben.
Im Moment haben wir durch unser Abitur mit 17, eine Leistung die eigentlich gewürdigt werden sollte, mehr Nachteile als Vorteile. Das Jahr, welches wir durch die Verkürzung vom neunjährigen Gymnasium gewonnen haben, können wir nicht nach unseren Vorstellungen und womöglich ineffektiv nutzen. Ich sehe es nicht ein, Statusmeldungen von meinen ehemaligen Mitschülern aus der ganzen Welt auf Facebook zu lesen, während ich immer noch in Deutschland bin. Oder auf eigene Kosten ein Jahr im Ausland zu verbringen, wo meine Möglichkeiten ähnlich eingeschränkt sind wie hier.
Das G8 ist noch lange nicht perfekt und seine jüngsten Absolventen, auf die alle so stolz sind, werden vergessen und allein stehen gelassen. Abitur, egal in welchem Alter, sollte heißen, dass einem nun alle Türen offen stehen. Leider sind davon für mich und alle anderen die nach dem Stichtag geborenen wurden, viele verschlossen.

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 02. April 2010
Kategorie: Die Welt da draußen, Farbflecken

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3 Kommentare zu “Abitur mit 17 – Vom Regen in die Traufe”

  1. Du bringst meine Meinung und mein Problem genau auf den Punkt. Ich komme voraussichtlich mit 16 aus der Schule und kann noch nicht mal 50 km entfernt zum Studieren gehen. Mein Wirtschaftslehrer hat gesagt, die Menschen seien mit 16 am kreativsten und “intelligentesten”, kommen aber erst mit 30 aus dem Studium. Es war gut, dass du dieses Thema ansprichst!!

    Geposted von Henrik | April 5, 2010, 14:56 | Antworten
    • Naja, generell ist es so, dass man an staatlichen Unis mit 17 studieren kann. Sofern du vor dem 30.9. 17 wirst, sollte es also keine größeren Probleme mit der Einschreibung geben. Und sonst kannst du ja immernoch nachfragen, ob da nicht eine Ausnahmegenemigung möglich wäre. Aber du musst selber wissen, ob du wirklich mit 16 anfangen willst, zu studieren.

      Geposted von Lorenz | April 6, 2010, 13:54 | Antworten
  2. Jop, so ging es mir auch – und ich war sogar noch einen Zacken jünger als du. Abi mit 16.
    Zumindest an der Uni ist es aber so, dass es dann doch keinen interessiert, ob man jetzt 17 oder 20 ist. Viele glauben es einem zwar erstmal nicht, wenn man sagt, dass man erst 17 ist, aber who cares?
    Im Leben außerhalb des Hörsaals ist man wegen der rechtlichen Einschränkungen (die zugegebenermaßen recht ätzend sind, sofern man sich dran hält *ähem*…) dann doch ein bisschen “anders”. (Was aber auch keinen Unterschied mehr macht, wenn die letzte Bahn um halb zwölf fährt. Was das ganze aber nicht unbedingt besser macht.)
    Insgesamt ist die Situation dann zwar nur halb so wild, aber immernoch dämlich. Man kommt sich doch ein bisschen zweitklassig vor.
    Andererseits, wie sollte das deiner Meinung nach gelöst werden? “Volljährig ist, wer über 18 Jahre alt ist oder die allgemeine Hochschulreife erlangt hat”? So einfach zu lösen dürfte das (leider) auch nicht sein.
    Vielleicht wäre es wirklich sinnvoll, ein Jahr zwischenreinzuschieben, aber auch da bleibt einem leider vieles verschlossen. So habe ich in der Regelstudienzeit mit 19 einen Bachelor. 53% haben da noch nichteinmal das Abi. Und selbst den Master habe ich bevor 9,1% überhaupt erst mit dem Studium anfangen (können).
    Im Nachhinein frage ich mich gelegentlich, ob das alles überhaupt sinnvoll war – Abi mit 16. Klar, alle freuen sich für einen, sagen einem wie toll das ist, was einem das für Chancen gibt – Zwei Studienabschlüsse, wenn andere nur einen haben. Aber bringt einem das mehr, als wenn man ein Jahr später vielleicht deutlich besser gewesen wäre, nicht nur in Form von höheren Zahlen auf einem Zettel, sondern auch besser vorbereitet? Und mit welchem Alter ist man reif genug fürs Abitur? Ich weiß es nicht.

    Geposted von Lorenz | April 6, 2010, 13:49 | Antworten

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