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Wir hier drinnen

Das Kilian-Interview

von Juliane Goetzke und Franziska Gromann

Wir haben uns mit unserem Internatsleiter Herr Kilian getroffen, um ihm unsere Fragen zu verschiedenen Themen wie Homosexualität und seinem Glauben zu stellen.

Zwei Stunden lang hat er uns Rede und Antwort gestanden.

der farbfleck: Herr Kilian, wie stehen Sie zum Thema Homosexualität? Was sagen Sie als Internatsleiter dazu?

Uff. Da habt ihr euch aber ein brisantes Thema rausgesucht. Ich möchte zuerst einmal meine grundsätzliche Position zur Homosexualität erklären.
Es gibt meines Wissens mindestens 3 verschiedene Einstiege in die Homosexualität. Es scheint Menschen zu geben, die von der Geburt an homesexuell sind, sozusagen eine angeborene homosexuelle Neigung besitzen. Davon sind jedoch nur sehr wenige Menschen betroffen.
Dann gibt es die erworbene Homosexuelität, die sozusagen eine defizitäre Sexualentwicklung darstellt, eine verlustigte Heterosexualität. Ich vergleiche diese Art der Homosexualität immer gerne mit einem Milchzahn. Es gibt Jungen, die spielen mit 12, 13 Jahren durchaus mal mit anderen Jungen, berühren sich, probieren aus. Aber wie der Milchzahl irgendwann ausfällt, verschwindet das wieder.
Dann scheint es so zu sein, dass Homosexualität wie eine Plombe in einem Zahn ist – sie schließt eine entstandene Lücke. In diesem Fall wäre Homosexualität eine Reaktion auf eine defizitäre Erfahrung in der Kindheit, die damit ausgeglichen werden soll.

Diese Formen der Homosexualitäten unterscheiden sich: während der angeborene Homosexuelle sein Coming-Out auf jeden Fall erst später, in einer nach-pubertären Phase, hat, ist die eine erworbene Homosexualität („Milchzahn-Theorie“) nur eine Durchgangsphase der Entwicklung zum erwachsenen Menschen, während die zweite erworbene Form in der Regel eine stabile Form der geschlechtlichen Orientierung darstellt.

der farbfleck: Wenn Sie sagen, dass Homosexuealität meistens nur ein Experiment während der Pubertät ist, bedeutet das doch aber, das es hier im Internat viele Fälle gibt.

Das glaube ich nicht, aber sie hat dann nichts mit einer tiefen, eindeutigen Leidenschaft zu tun. Es handelt sich mehr um ein zeitweiliges bisexuelle Verhalten.

der farbfleck:
Das stellt im Fall des Falles ja aber keinen Unterschied dar. Wie würde es im Internat bei einem Camming-Out gehandhabt werden?

Es wäre im Internat für die Gemeinschaft sicher ungewohnt. Ganz klar müssen gleiche Bedingungen für Homo-/wie Heterosexuelle gelten, denn die Homosexualität hat in dem einen Fall ihre Dominanz ja nur in einer Phase der Entwicklung des Schülers.

der farbfleck: Wäre es theoretisch möglich, dass ein homosexuelles Paar gemeinsam ein Zimmer bewohnt?

Im Bezug auf die Intergration eines schwulen Schülers bzw. einer lesbischen Schülerin in einer gemeinsamen WG muss auf jeden Fall auf Einhaltung der Würde des Menschen werden. Jede Entscheidung muss im Dialog mit allen Betroffenen getroffen werden. Keiner darf aufgrund irgendwelcher Ansichten oder Orientierungen diskriminiert werden. Allerdings ist natürlich zu beachten, dass in einer Jugendeinrichtung, wie das Internat eine ist, Sexualität nur bedingt auszuleben ist. Aber es darf wie gesagt keinen Rausschmiss eines Schülers wegen seiner sexuellen Orientierung geben. Homosexuelle sind ja keine schlechteren Schüler oder Schüler zweiter Klasse.

der farbfleck:
Sind Homosexuelle Ihrer Ansicht nach überhaupt internatsfähig? Wäre Homosexualität ein Ausschlusskriterium im Aufnahmeprozess? Wie sieht es dem Bedürfnis nach einem Einzelzimmer aus?

Homosexuelität ist nicht grundsätzlich ein Ausschlusskreterium, aber Internatsfähigkeit heißt immer auch Doppelzimmerfähigkeit. Natürlich werden wir alles im Rahmen unserer Möglichkeiten tun, um einem Schüler das Internat zu ermöglichen und sinnvolle Alternativen suchen. Dies ist aber nicht nur auf Homosexuelle bezogen, sondern auch auf andere, welche aus krankheitsbedingten oder psychischen Gründen sich als nicht doppelzimmerfähig erweisen, im Laufe ihrer Internatskarriere. Aber noch mal: Es gibt kein Recht auf ein Einzelzimmer, die Bedingung zum Eintritt in die Schule ist, dass man bis zum Abitur in einem Doppelzimmer durchhält.

der farbfleck: Was wäre, wenn sich heraustellen würde, dass ein homosexuelles Pärchen schon gemeinsam in einem Zimmer wohnt?

Es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit die Mentoren und die Internatsleitung darüber informiert sind. Natürlich erfahren wir die meisten Dinge schon auf kurz oder lang, andererseits ist uns so ein Fall bisher noch nicht bekannt geworden, dass heißt, so richtig konkret kann ich nur die Antwort der Campusordnung geben, die besagt, dass sexuelle Intimitäten im Internat nicht gestattet sind. Da müsste eine Zimmerteilung vorgenommen werden, denn sonst wäre das nicht fair gegenüber anderen heterosexuellen Paaren.

der farbfleck:
Gibt es im Internat homosexuelle Pärchen?

Ich habe mir schon gedacht, dass es im Internat homosexuelle Pärchen gegeben hat. Rein statistisch muss es ja welche geben und bei einigen hatte ich schon die Vermutungen, dass sie zwar nicht „offiziell“ aber doch schwul oder lesbisch sind. Ich bin mir sicher, dass es bereits Homosexuelle gab, die hier erfolgreich Abi gemacht haben.

der farbfleck:
Und wenn es Probleme gibt, im Internat, in der WG? Wenn es anderen Schülern unangenehm ist?

Das homosexuelle Paar müsste sich, wie jedes heterosexuelle Paar, seiner Außenwirkung bewusst sein. Sie erhalten natürlich auch eine höhere gesellschaftliche Aufmerksamkeit, wenn sie sich zum Beispiel in der WG öffentlich als Paar zu erkennen gäben. Aber es gibt Grenzen der gegenseitigen Toleranz, und beide Seiten sind verantwortlich für die gegenseitige Akzeptanz in der Gemeinschaft.

der farbfleck:
Wie ist Ihre persöhnliche Haltung zur Homosexualität?

Es gibt da einen Zwiespalt zwischen meiner rationalen begründeten und meiner emotionalen Seite. Ich kenne das Gefühl der Homosexualität für mich selber nicht, ich kann es also emotional nicht direkt nachvollziehen. Jeder braucht seine Zeit. Aber ich verurteile sie nicht, ich toleriere sie als eine menschliche Form von Zuneigung einem anderen Menschen gegenüber.

der farbfleck:
Wie vereinbaren sie das mit ihrem Glauben?

Die Kirche hat eine sehr ambivalente, teilweise sehr gespaltene Haltung zur Homosexualität. Es gibt da die Ansicht, dass Homosexualität Sünde ist. Sie sei etwas unnatürliches, also gegen Gottes Schöpfungsordnung gerichtetes, da die biblische Schöpfung nach 1. Mose 2 nur die Liebe zwischen Mann und Frau kennt, die dann „ein Fleisch werden“. Andere Theologen sagen, dass Homosexualität absolut wertungsfrei bis positiv  zu betrachten sei. Es komme wie bei heterosexuellen Paaren darauf an, dass beide Personen die Beziehung in Freiheit gewählt haben, in gegenseitiger Verantwortung und Treue leben, die von Liebe getragen ist. Diese Pastoren trauen, bzw. segnen dann auch homosexuelle Paare.
Ich persönlich würde mich zwischen beiden Punkten verorten.  Ich würde aber nie soweit gehen und Homosexualität moralisch abwerten. Nein, ich sitze in diesem Fall eher zwischen den Stühlen. Ich weiß auch nicht, wie ich handeln würde, wenn nun ein homosexuelles Paar mit der Bitte auf mich zukommen würde, es zu trauen. Das ist bisher noch nicht vorgekommen.

der farbfleck:
Sie sind Pastor und gleichzeitig Internatsleiter und außerdem als Mensch mit festen christlichen Grundwerten bekannt. Hat ihre Überzeugung Einfluss auf ihre „weltliche“ Tätigkeit? Setzen Sie christliche Grundwerte als die des Internats?

Also hier muss ich klar feststellen, dass es keine Diskrepanz zwischen dem Religionslehrer und dem Internatsleiter Bernd Kilian gibt. Natürlich bin ich für die freie Wahl der Religion und des Weltbildes für den Schüler. Eine Angebotslosigkeit und damit Orientierungslosigkeit wäre aber fatal, deswegen biete ich ja auch Kirchgänge und Andachten an. Aber alles auf einer Basis der Freiheitlichkeit und des gegenseitigen Respekts. Es muss am LGH ein Dialog und Auseinandersetzung in alle Richtungen möglich sein.

der farbfleck:
Es würde am LGH also auch ein Muslim zum Bepsiel für das Freitagsgebet den Unterricht verlassen dürfen?

Das ist zuerst eine Entscheidung der Schulleitung, bzw. des Kultusministeriums des Landes. Natürlich muss ein Muslime die Möglichkeit erhalten, seine Religion in Freiheit ausüben zu dürfen. Ob eine Befreiung vom Unterricht möglich ist, kann ich nicht einschätzen, ich selber war in meiner Grundschulzeit immer am Samstag vom Unterricht befreit, da ich den Gottesdienst meiner Kirche am Vormittag besuchte. Auch ein interkonfessioneller Gebetsraum, wenn denn eine Nachfrage besteht und dieser den Ansprüchen der Religionen gerecht käme, wäre denkbar. Es darf keine Ausgrenzung geben.
Trotz aller Freiheit müssen wir Religionen auch gewichtend betrachten, dass die Würde des Menschen immer respektiert wird, okay, aber etwas wie schwarze Messen für Satanisten sind im Internat sicher nicht denkbar. Wenn über die Grundwerte Einigkeit herrscht, passt es ja.

der farbfleck:
Sie meinen also, es gibt an unserer Schule eine ausreichend große, gemeinsame Wertebasis?

Tja, gemeinsame Werte sind schwierig, da herrscht immer ein großes Konfliktpotential. Man sieht das ja am Beispiel der Smartphones, welche Medienethik greift denn bei diesen ungefilterten Internetzugängen? Da haben wir in der Mentorenkonferenz auch lange diskutiert.

der farbfleck:
Ein Thema möchten wir noch anschneiden: Das Verhältnis von Internat und Schule. Von Schülerseite wird oft geklagt, dass es eine zu große Vermischung gibt. Was sagen sie dazu?

Prinzipiell sollte das Verhalten im Internat keinen Einfluss haben auf den schulischen Erfolg. Wir wollen absichtlich keine Schulsituation im Internat herstellen, um den Druck von den Schülern zu nehmen. Obwohl natürlich der schulische Bereich nicht komplett vergessen wird, durch Studierzeit und alle diese Angebote. Aber auf jeden Fall wird auch von den Mentoren versucht, alle Entscheidungen möglichst so zu treffen, dass Schule und Internat getrennt sind.

der farbfleck: Sie müssen aber zustimmen, das dies nicht immer gelingt.

Meiner Meinung nach wäre eine solche Trennung in persona auch nicht natürlich. Es gibt eigentlich keine Diskrepanz zwischen den Kopfnoten und dem Verhalten im Internat. Dennoch müssen örtliche und zeitliche Bereiche des Internates frei von Schule bleiben. Eine LGH-11-Tage-Woche mit 3 „freien“ Heimfahrtstagen, die dann auch nicht frei von Schule bleiben, lehne ich entschieden ab. Auch für das LGH muss gelten: „Sechs Tage sollst du arbeiten und am 7. Tag sollst du ruhen!“.

der farbfleck:
Sehen Sie die Nachteile, die es für einen Schüler haben kann?

Natürlich kann es für den Schüler von Nachteil sein, dass er im Internat dem gleichen Menschen begegnet wie in der Schule, wenn denn der Mentor den fordernden Lehrer im Internat darstellt. Hier geht es um Förderung und um Unterstützung, nicht um Leistungsabrufung, die gehört hier nicht hin in! – wenn ich einmal die Studierzeit ausklammere. Das wäre ein Makel des Mentorensystems. Dennoch halte ich unser Mentorenmodell für deutlich besser als ein geteiltes Erzieher-Lehrer-Kollegium, wie es viele andere Internate haben. Die Vorteile liegen meiner Ansicht klar zu Gunsten des Mentorenmodells. Aber das wäre ein anderes Thema.

der ferbfleck: Vielen Dank, Herr Kilian, dass Sie sich so lange Zeit für uns genommen haben.

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 14. March 2010
Kategorie: Wir hier drinnen

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5 Kommentare zu “Das Kilian-Interview”

  1. Sehr interessantes Interview.
    Ich versteh den Zusammenhang zu dem Bild zwar nicht, aber ihr habt euch dabei sicher was gedacht, zumindest habt ihr Geschmack ;P
    Ich bin schon gespannt auf den Fasten-Artikel.

    Geposted von Dave | March 15, 2010, 08:41 | Antworten
  2. Trotzdem wird Homosexualität -obwohl er immer wieder das Gegenteil bestärkt- irgendwie negativ betrachtet.

    Geposted von Girly | March 15, 2010, 17:24 | Antworten
  3. Stimmt, Girly hat recht.

    Aber (wie Dave auch) würde mich interessieren, wie das Bild mit dem Inhalt zusammenhängt.

    Geposted von Morre | March 15, 2010, 18:19 | Antworten
  4. Da bin ich ganz deiner Meinung Dave,
    und wie ebenfalls schon gesagt wurde Homosexualität wird immernoch ein bisschen negativ bewertet, viele reagieren auch mit einem “IIHH” darauf finde ich aber ziemlich schwach, könnte man dann auch nicht sagen dass sexualtät generell eklig ist?
    Naja.

    Geposted von Isi | March 18, 2010, 15:49 | Antworten
  5. Ich denke, das Bild beschreibt einen (beschränkten) Blickwinkel auf das Internat/die Welt draußen, wie die Kategorie so schön sagt/etc.
    Auch ich befinde das Interview für interessant, die Kommentarleiste aber ausnahmsweise mal nicht als die richtige Stelle, um über den INhalt zu diskutieren.

    Geposted von Florence | March 19, 2010, 19:33 | Antworten

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