derfarbfleck

Die Welt da draußen

Gandhi schlägt den Raab

gezeichnet von Jeo Crawford


von Juliane Goetzke

Wer ist dein Held? Wer ist deinVorbild? Hast du keines? Dann geht’s dir wie mir.

Unser Leitthema lautet Helden. Ein Leitartikel soll eine zentrale Frage des Themas behandeln, damit er sich so nennen darf. Die zentralste aller Fragen lautete für mich: Was oder wer ist mein Held? Was ist dein Held? Wer ist dein Vorbild? Hast du keines? Dann geht’s dir wie mir.

Vielleicht erinnerst du dich noch an den Vortragsabend des „Friedenshüttentyps“ aus Mutlangen, der uns Bilder zeigte, wie der Campus früher einmal aussah und erzählte, was er und andere angestellt haben, um gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen vorzugehen. Das Spinnrad war immer mit dabei, denn Gandhi war sein Vorbild. Irgendwann im Laufe des Vortrags zeigte er uns Fotos einer Sitzblockade, es fiel der Satz „Und auch da haben wir gesponnen.“ und ich dachte mir „Genau, das habt ihr. Ein bisschen rum gesponnen, mit eurer Friedenshütte aus Wellblech und einem Spinnrad.“

Doch er war ganz in seinem Element, auf den Fotos waren große Gruppen entschlossener Menschen zu sehen. Mit der Zeit fing ich an, sie zu beneiden, um ihre Entschlossenheit und ihre Gemeinschaft, um ihr Ziel und ihre Vorbilder.

Wo findet man heute solche Menschen? Menschen, die Vorbilder haben und sich in ihrer Sache nicht beirren lassen, die wissen was sie wollen und dafür kämpfen? Wo wird heute überhaupt noch für irgendetwas gekämpft? In der Politik ist immer wieder von Veränderung die Rede, Verbesserungen des Systems ist das Ziel. Und immer wieder vom progressiven Potential der Jugend gesprochen. Und wirklich, die Geschichte zeigt, die großen Dinge wurden von Menschen in etwa meinem Alter ins Rollen gebracht. Lassen sich die Helden von heute also bei politischen Jugendorganisationen finden?

Ein kurzer Ortswechsel, weg vom Spinnrad, hin zu einem Treffen einer beliebigen Jungpartei. Hier sitzen in einem Kreis bei Café Latte und Kuchen interessierte junge Menschen. Interessiert an Politik und Gesellschaft, an dem, was ist und wie es werden soll. Sie wollen etwas tun, sind politisiert und könnten ein paar Vorbilder gut gebrauchen.  Ein paar wenige, in ihrem Kreis unumstrittene Menschen, die Ihnen zeigen, was und wie sie es tun sollen. Doch bei einem Blick auf die politische und gesellschaftliche Landschaft fällt auf: die gibt es nicht. Die Menschen an der Spitze einzelner, einflussreicher Gruppen geben kein Vorbild her. Was hie und da als Vorbild ausgezeichnet wird, ist nur das Statuieren eines Exempels. Man will beweisen, dass sich auch in unserer Gesellschaft noch etwas bewegt, dass Menschen und Menschengruppen sich für die gute Sache engagieren. Doch wirkliche Vorbilder sind sie nicht. Ihnen fehlt das Revoluzzerhafte, die Ideale und Ziele, für die sie kämpfen. Es fehlt ihnen das Heldenhafte, wonach man streben möchte. In einer Zeit, in der Politiker austauschbar wirken und die Mächtigen in Wirtschaft nur sich selbst zu bereichern scheinen, wächst die Sehnsucht nach einem Vorbild.

Was sind aber die Vorbilder unserer Generation?

Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Iconkids&Youth stehen bei den 1400 befragten Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren Stefan Raab ganz oben, gefolgt von Michael Ballack und Heidi Klum. Die Jungs stehen eher auf Fußballer, die Mädchen auf  Heidi Klum und Robbie Williams. Als ein Vorbild gilt, wer etwas ist oder besser hat: Schönheit, Erfolg, eine tolle Stimme. Kurz, wer auf den Bühnen der Welt steht und sich dies hart erkämpft zu haben scheint, wer es zu etwas gebracht hat. Noch mehr Erfolgschancen hat, wer sich dann um die kümmert, denen es schlecht geht. Ganz rührend, mit monatlichen Spenden und Besuchen in Afrika.  Doch dann ist die Frage: Was machen die Jugendlichen heute aus so einem Vorbild, wozu führt es, was bewirkt es? Sie wollen auch so schön sein wie Heidi Klum und so bekannt wie Stefan Raab. Da die Welt für so viel Selbstinszenierung aber gar keinen Platz hat, ist das Vorhaben gleich zu Beginn zum Scheitern verurteilt.

Wir brauchen also andere Vorbilder, denen nach zu machen es sich lohnt. Mir geht es nicht um ein Idol, das bewundert werden kann, von weiten verklärt wird und unnahbar scheint. Ein Idol wird verehrt, ein Vorbild hingegen reizt zum Nacheifern an und dient zur Identifikation. Und das ist es, was unserer Generation fehlt. Selbst wer sich Gruppen zuwendet, deren Forderungen und Ziele danach schreien, etwas zu tun, wird merken: auch da hält nur der noch Vorträge in Schulen, der noch nicht schläft, sonst tut sich nichts. Greenpeace zum Beispiel, eine Umweltorganisation, die bekannt ist  für spektakuläre, meist illegale Aktionen, der Kritiker zu wenig Dialog und zu große Kompromisslosigkeit vorwerfen, auch Greenpeace dämmert vor sich hin. Wer eine Unruhe in sich spürt und gerne etwas bewegen möchte, der findet auch beim Greenpeace-Treffen in der nächsten Stadt nur Tee und Plätzchen. Mit Rohrzucker und Dinkelmehl.

Auch die Hochzeit der Pressehütte in Mutlangen ist lange vorbei, es gibt noch einen festen, harten Kern, der aber inzwischen Gewaltprävention an Schulen anbietet und mehr belächelt als bewundert wird und in meinen Augen nicht mehr so ganz zum Vorbild taugt. Was bleibt, sind die Fotos. Sie zeigen die gleichen Menschen, die enthusiastisch die Faust einem Panzer entgegenstrecken. Denen glaubt man, dass sie kriegen, was sie wollen. Und wenn es der Weltfriede ist.

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 13. December 2009
Kategorie: Die Welt da draußen

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