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Kurzgeschichten

Die Künstlerin

Schnelldampfer "Europa", Ballsaal

von Dana Labun

Nur heute noch, ein exklusives Konzert, für die Reichsten, Kultiviertesten, und bringen Sie doch bitte einen Fächer mit, es wird eine große Menschenmasse erwartet.

Die Farben strömen in den Saal, verklebt und starr von all den Tönen, die bereits hier widerhallten, oder doch glatt poliert? Denn das Lachen der durchaus anschaulichen Damen erscheint mir glänzender und perlender, und schmeichelt die Weste dem Herren dort drüben nicht ungemein?

Die Diener und Kellner huschen durch den kerzenlichtdämmrigen Raum, ein
Glas Champagner, Mademoiselle? Oh, herzlichen Dank, überaus freundlich.
Dezent pusten die Diener einzelne Kerzen aus, aller Augen richten sich auf
den glänzenden, einsamen Flügel am Ende des Saals.

Nehmen Sie bitte Ihre Plätze ein, die Künstlerin kommt gleich,

Augen beginnen zu leuchten und das Flüstern wird leiser.

Eine wahrhaftig große Künstlerin soll sie sein, schallt es durch den
Raum, ich hörte, sie sei jung? Nein, nein, schon beinahe eine Greisin,
doch noch immer brillant.

Der ganze Saal ist dunkel, nur neben dem Flügel steht eine einzelne,
weiße Kerze, das Wachs rinnt schon hinunter, sie ist alt.

Die Künstlerin tritt auf die Bühne, doch man nimmt nur eine Bewegung im
Schatten wahr.
Sie liegt im Dunkeln, selbst als sie am Flügel sitzt und das Schaben des
Hockers über das teure Parkett das einzige Geräusch im Saal ist.

Als sie anfängt zu spielen, ziehen alle erschrocken die parfümgetränkte
Luft ein. Das ist wahre Virtuosität, flüstern sie, und wahrhaftig, die
C-Dur-Tonleiter, die die Künstlerin zum Besten gibt, ist ein Beispiel an
Disziplin und Übung, die Töne so sanft gespielt und auch so voll,
genießerisch schließt eine Dame in der vordersten Reihe die Augen.
Himmlisch, wie zart, wie wunderschön, hört man die Leute im Raum wispern.

Niemand bemerkt das Wachs, das die Kerze hinunterrinnt, direkt auf den Fuß
der Künstlerin. Als das heiße, flüssige Wachs ihre Haut berührt,
kreischt sie auf, und die Tonleiter bricht abrupt ab. Mit einer Lampe eilen
zwei Diener nach vorne, und endlich, endlich, sieht man das Gesicht der
Künstlerin.

Sie ist weder Kind noch Greisin, die gerade Haltung passt nicht zu den
Falten in ihrem Gesicht, die Augen sind zu jung für die schrumpeligen
Hände.
Sie schreit, weil sie brennt.

Ja tatsächlich, sie brennt, niemand weiß wieso, aber ist das wichtig? Die
Gesellschaft starrt sie an, mit geöffneten Mündern und leeren Augen, bis
die Hitze unerträglich wird und die Farben wieder aus dem Saal strömen;
der Saal wird grau und leer zurückgelassen.

Die Damen und Herren sind begeistert, das Konzert war großartig, dieser
Ausdruck, ganz exquisit!

Und doch, die Klavierspielerin brannte.

 

 Bild: Fotograf unbekannt; BArchBot über Wikimedia Commons

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 02. December 2013
Kategorie: Kurzgeschichten

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