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Die Welt da draußen

Das braune Getränk und die braune Diktatur

Bild: Reinhard Jahn

Wie Coca-Cola unter der NS-Herrschaft den deutschen Markt eroberte

Kaum ein Produkt der amerikanischen Konsumgüterindustrie ist so erfolgreich wie das Erfrischungsgetränk Coca-Cola. Seit 1886 zunächst als Medizin gegen Kopfschmerzen und Ermüdung verkauft, avancierte die braune Mischung aus Zuckerwasser und Sirup bald zum beliebtesten nicht-alkoholischen Getränk überhaupt. – Aber: „Coca-Cola ist mehr“, wie ein erfolgreicher Werbespruch des Unternehmens verkündete: Coca-Cola ist nicht nur ein Getränk, es ist ein Symbol für den freiheitlichen „American Way of Life“. (nebenstehendes Bild: Reinhard Jahn)

Umso mehr verwundert es, dass Coca-Cola in Deutschland ausgerechnet während der Nazi-Herrschaft immer beliebter wurde: 1933 verkaufte Coca-Cola in Deutschland gerade mal 100 000 Kästen. Bis 1936 verzehnfachte sich der Verkauf aber, um im Jahr 1939 auf rund 4,5 Millionen Kästen im Jahr zu steigen. Ganz Deutschland trank Coca-Cola – und ausgerechnet am Berliner Sportpalast, wo Goebbels 1943 nach der Niederlage von Stalingrad den „totalen Krieg“ ausrief, prangte eine Dauerreklame der Coca-Cola GmbH.

Selbst die unausgesetzte antiamerikanische Propaganda der Nazis, für die ausgemacht war, dass die USA von Juden regiert wurden, konnte dem Coke-Konsum in Deutschland in keiner Weise etwas anhaben. – Wie ist es also zu erklären, dass ein Produkt, das wie kein anderes als Synonym für die USA verstanden werden kann, in Deutschland unter den Nazis, derartig populär werden konnte?

Der Mann hinter dem unglaublichen Verkaufs-Erfolg von Coca-Cola in Deutschland war Max Keith, der Geschäftsführer der Coca-Cola GmbH in Deutschland. Ihm ist es zu verdanken, dass sich ein nicht-alkoholisches Erfrischungsgetränk auf dem deutschen Markt, der v.a. von Bier überschwemmt war, überhaupt durchsetzen konnte. Dies gelang ihm unter anderem mit äußerst effizienten Werbe-Maßnahmen, die an Propaganda-Aktionen der Nazis erinnerten: In Kneipen und Restaurants wurden Millionen von Flugblätter mit der Aufschrift „Was ist Coca-Cola?“ verteilt, die aber nicht Aufschluss über die Inhaltsstoffe, sondern lediglich Auskunft darüber gaben, dass Coca-Cola ein erfrischendes Getränk sei. Durch die endlose Wiederholung schlich sich der Produktname in die Hirne der Deutschen.

Ein Höhepunkt für die Vermarktung von Coca-Cola stellten die olympischen Spiele 1936 in Berlin dar. Für sie richtete Coca-Cola einen eigenen Erfrischungsdienst ein. Fortan trat Coca-Cola vor allem bei sportlichen Ereignissen in Erscheinung; so z.B. bei der „Deutschland-Rundfahrt“ 1937, dem zentralen Radsport-Ereignis im damaligen Deutschland.

Der Erfolg ist aber auch auf das sehr moderne Produktmarketing der Coca-Cola Lizenznehmer in Deutschland zurückzuführen, denen es v.a. unter der Herrschaft der Nazis darum zu tun war, die amerikanische Herkunft des Produkts zu vertuschen. Diese Strategie war sehr erfolgreich. Das lässt sich an der Anekdote ablesen, die man sich bei Coca-Cola immer wieder gern erzählt: Als im Jahr 1945 in Hoboken (New Jersey), in Sichtweite der Freiheitsstatue, eine Gruppe deutscher Kriegsgefangener vom Schiff ging, entstand beim Anblick eines Coca-Cola-Schildes an einer Hauswand merkliche Unruhe. Zur Rede gestellt soll ein Deutscher erklärt haben, dass die deutschen Soldaten überrascht seien, dass die Amerikaner auch Coca-Cola hätten.

Der Aufstieg von Coca-Cola in Deutschland war auch begleitet von Neidern und Konkurrenten, die alles versuchten, dem Image von Coca-Cola zu schaden. Zu jenen gehörte der Inhaber der Firma Blumhoffer, Karl Flach, der ein Nachahmer-Produkt namens „Afri-Cola“ herstellte. Flach unternahm im Jahr 1936 mit anderen Vertretern der Deutschen Arbeitsfront (DAF) eine Reise in die USA, wo sie unter anderem ein Coca-Cola-Abfüllwerk in New York besuchten. Während des Rundgangs entdeckte Flach Coca-Cola-Kronkorken, die in hebräischen Lettern Auskunft darüber gaben, dass Coke „koscher“ sei. Da der Bevölkerungsanteil an Juden in New York recht hoch ist, garantierte diese Aufschrift, dass Juden nicht vom Konsum einer Coke Abstand nahmen. Flach entwendete einige dieser Kronkorken, die er in Deutschland auf einem Flugblatt abbildete, das behauptete, Coca-Cola sei eine jüdisch-amerikanische Firma und werde von einem prominenten Juden aus Atlanta namens Harold Hirsch geleitet. – In Wirklichkeit war Harold Hirsch lediglich Anwalt der Coca-Cola Company und saß im Verwaltungsrat des Unternehmens.

Die Folgen für die Coca-Cola GmbH in Deutschland waren verheerend. Der Absatz rutschte in den Keller. Auch die Zentrale der NSDAP stornierte in aller Eile ihre Aufträge. Gegendarstellungen oder rechtliche Schritte wurden nicht in die Wege geleitet, weil man die damit verbundene Negativ-Publicity scheute. Der Werbeleiter der Coca-Cola GmbH in Essen, Rudolf Brandes, bemühte sich mühsam, das Ansehen des Unternehmens wieder herzustellen, indem er Anzeigen im „Stürmer“ schaltete, dem antisemitischen Hetzblatt der Nazis. Dies wiederum stieß in den USA auf wenig Gegenliebe. Amerikanische Zeitung titelten nun: „Coca-Cola finanziert Hitler“.

Den Image-Schaden versuchte das Unternehmen im folgenden Jahr wieder auszubessern: In Düsseldorf fand die Reichsausstellung „Schaffendes Volk“ statt, eine Propaganda-Veranstaltung der Nazis, um sich vor dem In- und Ausland als moderne Industrienation zu präsentieren. Keith ließ auf der Anlage unmittelbar neben dem Propaganda-Büro der Nazis eine Coca-Cola-Abfüllanlage im Zentrum der Ausstellung aufbauen, die dem Publikum den neusten Stand der Technik im Bereich Abfüllanlagen vorführte. Die dort produzierten Flaschen wurden unmittelbar an durstige Besucher ausgegeben.

Um sich das lukrative Geschäft in Deutschland durch den Krieg, der sich Ende der Dreißiger Jahre am Horizont zusammenbraute, nicht vermiesen zu lassen, schreckte Coca-Cola vor direkter Zusammenarbeit mit dem diktatorischen Regime nicht zurück: Hermann Göring, der 1936 Beauftragter für den Vierjahresplan wurde, hatte es sich zum Ziel gesetzt, Deutschland für den Fall eines Krieges in die wirtschaftliche Autarkie zu führen. Daher beschränkte er Einfuhren aus dem Ausland auf das Notwendigste. Die Schwierigkeit aber war, dass Coca-Cola in Deutschland auf Lieferungen des Coca-Cola-Konzentrats aus den USA angewiesen war. Daher wurde der Coca-Cola-Unternehmensführer in den USA, Robert Woodruff, selbst tätig, der in diesen Dingen durchaus opportunistisch dachte: Mit Hilfe eines Agenten gelang es ihm, auf Göring Einfluss zu nehmen, von dem bekannt war, dass er Geschenken nicht abgeneigt sei.

Im März 1938 wurde der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen. Zu den Profiteuren dieses handstreichartigen Erfolges Hitlers gehörte auch Coca-Cola, denn mit dem „Anschluss“ hatte sich ein neues Absatzgebiet aufgetan: Bereits im September 1938 wurde in Wien eine Zweigniederlassung der Firma gegründet. Die Ausweitung des deutschen Hoheitsgebiets sowie des Coca-Cola-Absatzgebietes sedimentierte sich auch in der Werbung des Unternehmens: In der Zeitschrift „Die Wehrmacht“ erschien in der zweiten Oktoberhälfte eine Ausgabe, die die Besetzung des Sudetenlandes zum Thema machte und auch mit einer Anzeige von Coca-Cola aufwartete: Die Werbung zeigt eine Weltkarte, vor der eine Hand siegesbewusst eine Cola-Flasche in die Höhe reckt. „…Ja! Coca-Cola hat Weltruf“, kündet der daneben stehende Text.

Mit dem „Anschluss“ seines Heimatlandes Österreich im Frühjahr sowie mit der Annexion des Sudetengebiets in Folge der Münchner Konferenz im Herbst 1938 hatte Hitler Deutschland in den Augen der Deutschen wieder zu Ansehen und Weltgeltung verholfen – und das, ohne Krieg zu führen. Das war der Grund für die schrankenlose Verehrung, die ihm entgegenschlug und auch bei Coca-Cola geteilt wurde: 1939 wurde das 10-jährige Bestehen von Coca-Cola in Deutschland gefeiert. In diesem Zusammenhang verglich Max Keith in seiner Rede „10 Jahre Aufbau“ die Vergrößerung des Deutschen Reichs mit der phänomenalen Ausbreitung von Coca-Cola im deutschen Herrschaftsgebiet. Auf der „Geburtstagsparty“ forderte Keith daher auf, in ein „Sieg Heil!“ auf Hitler einzustimmen, „um unsere tiefste Bewunderung und Dankbarkeit für den Führer zum Ausdruck zu bringen, der unsere Nation in eine höhere Sphäre gehoben hat“.

Mit dem Ausbruch des 2. Weltkriegs am 1. September 1939 änderten sich auch für die Coca-Cola GmbH die Rahmenbedingungen für erfolgreiches Wirtschaften. Man fürchtete, dass das Unternehmen als „ausländische“ Firma verstaatlicht werden könnte. Außerdem rechnete man täglich damit, dass die Einfuhr des Coca-Cola-Konzentrats aus den USA aufgrund der Kriegsereignisse gestoppt werden könnte. Mit einer doppelten Stoßrichtung versuchte Max Keith diesen beiden Gefahren zu begegnen.

Mit Hilfe von Walter Oppenhoff, dem Anwalt der Coca-Cola GmbH, der gute Kontakte ins Reichsinnenministerium hatte, gelang es zum einen, einen Posten im Amt für Feindbesitz zu bekommen. Als Feindvermögensverwalter vermochten sie dadurch in der Folgezeit, in den von Nazi-Deutschland eroberten Gebieten bei den dort ansässigen Coca-Cola-Gesellschaften zu assistieren oder sie ganz zu übernehmen, so z.B. in Frankreich, Holland, Luxemburg oder Belgien.

Der Gefahr des mangelnden Nachschubs an Cola-Konzentrat wurde zum anderen mit der Erfindung eines neuen Getränks begegnet. Während die Produktion von Coca-Cola gedrosselt wurde, mischte Keith ein gänzlich neues Getränk mit Fruchtgeschmack, dem allerlei beigemischt wurde, darunter Molke sowie Apfelreste aus Mostpressen. Dieses aus diversen Abfallprodukten gewonnene Getränk wurde 1941 von der Zuckerrationierung freigestellt und konnte fortan 3,5 Prozent Rübenzucker enthalten. Da man in der Notsituation viel „Fantasie“ walten ließ, wurde das neue Getränk „Fanta“ getauft. Fanta verkaufte sich schließlich so gut (1943 waren es drei Millionen Kästen), dass das neue Getränk die Coca-Cola GmbH über den Krieg rettete. Das war notwendig, weil mit dem Kriegseintritt der USA Ende 1941 die Lieferungen des Coca-Cola-Konzentrats aus den USA tatsächlich eingestellt wurden. Ende 1942 waren dann auch die letzten Coca-Cola-Flaschen in Deutschland aufgebraucht. So versüßte Fanta während entbehrungsreicher Jahre den Alltag der Deutschen. Wegen der strengen Zuckerrationierung wurde Fanta nämlich gerne als Süßungsmittel verwendet.

Am 8. Mai 1945, als Nazi-Deutschland kapitulierte, hatte Max Keith sein Ziel erreicht: Er hatte die Coca-Cola GmbH beschädigt zwar, aber im Kern unbeschadet durch den Krieg gebracht. „Coca-Cola GmbH läuft noch“ telegrafierte er triumphierend dem Coca-Cola-Chef Robert Woodruff in die USA. 1949 füllte Keith schließlich – nach einer 7-jährigen Unterbrechung – wieder Coke ab, um im beginnenden Wirtschaftswunder die Erfolgsgeschichte von Coca-Cola fortzusetzen. Hierbei konnte er auf die erfolgreiche Vermarktung von Coca-Cola während der Nazi-Zeit bauen. Obwohl Coca-Cola als Getränk seit 1942 auf dem deutschen Markt gar nicht mehr erhältlich war, ergab eine statistische Befragung zu den bekanntesten Markenartikeln aus dem Jahr 1947, dass Coca-Cola im Bereich der alkoholfreien Erfrischungsgetränke die bei Weitem bekannteste Marke war.

Die Nazi-Herrschaft konnte dem Siegeszug von Coca-Cola in Deutschland also nichts anhaben. Aber hat sie ihn vielleicht sogar begünstigt? In der Anfangsphase des Krieges, während der Gebietsexpansion des Dritten Reichs, war dies durchaus der Fall. Mit dem Kriegseintritt der USA hingegen verschoben sich die Gewichte und bei Coca-Cola musste man danach sehen, die Substanz des Unternehmens überhaupt aufrecht zu erhalten. – Dennoch bleibt bei allem Genuss des braunen Getränks der bittere Nachgeschmack, dass hier ein Unternehmen um des Profits willen mit der braunen Diktatur kollaboriert hat.

Von Andreas Ehmer

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 18. April 2012
Kategorie: Die Welt da draußen, Farbflecken

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2 Kommentare zu “Das braune Getränk und die braune Diktatur”

  1. hey toller artikel hat mir echt gefallen, aber im vorletzten artikel ist ein kleiner rechtschreibfehler glaub ich. da steht “beschädigt zwar” statt “zwar beschädigt” :D

    Geposted von Grammer Nazi | April 18, 2012, 11:28 | Antworten
  2. @Grammer Nazi: Erstens heißt es “grammAr” und zweitens ist es durchaus korrekt so wie es im Artikel steht (außerdem hat das mit Grammatik/Satzbau und nicht Rechtschreibung zu tun).
    Ehrenwerte Grüße!

    Geposted von funeral | April 23, 2012, 03:30 | Antworten

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