Seit Jahren habe ich mich auf diesen Augenblick gefreut, muss ich ganz ehrlich zugeben an dieser Stelle. Denn das Abitur ist ja nicht nur das Ziel sämtlicher Schullaufbahn, sondern ebenfalls eine grandiose Erfahrung ohnegleichen. Endlich darf man einmal in kleinkarierten Reihen unter den Argusaugen spezifisch dafür vom Staat bezahlter Pädagogen fünf Stunden lang an einem Text arbeiten. Und das ist noch nicht alles: Dieser Text bestimmt danach zu großen Teilen auch noch die persönliche Zukunft. Zu schön, um wahr zu sein.

Sackdoof, feige und verklemmt / ist Erdogan, der Präsident. / Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner / selbst ein Schweinefurz riecht schöner. / Er ist der Mann, der Mädchen schlägt / und dabei Gummimasken trägt (…)

Würde man nach den Gemeinsamkeiten der beiden Textbeispiele gefragt, so ergeben sich inhaltlich vor allem Diskrepanzen. Das Deutschabitur und der türkische Präsident – das klingt wie eine schlechte Werkvergleichsaufgabenstellung.

Fündig wird man bei der Frage nach den Gemeinsamkeiten erst, betrachtet man Methodik und Intention der zwei Texte, denn, so unterschiedlich sie auch sein mögen, sie berufen sich beide auf das gleiche Stilmittel der Ironie, der ironischen, überzogenen Übertreibung, und fallen so unter den Begriff der „Satire“.

Trotz des Umstands, dass es sich beides Mal um satirische Texte handelt, fallen die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Texte sehr unterschiedlich aus. Den ersten der beiden kann man lustig finden, wenn man möchte, oder man betrachtet ihn als ermüdendes Beispiel langweiliger Essay-Einleitungen im Deutsch-Abitur (hihi, ein Bezug zur „Rahmenhandlung“). Den zweiten der beiden Texte kann man natürlich auch lustig finden oder auch nicht, man kann allerdings sogar noch weiter gehen und sich fragen: Darf Satire das?

Das zumindest hat die deutsche und türkische Öffentlichkeit getan, als Böhmermann mit den Zeilen des zweiten Textes eine ironische Schmähkritik eröffnete. Beantwortet wiederum hat diese Frage, wenn wir es genau nehmen, allerdings lediglich die deutsche Öffentlichkeit. Pressefreiheit und so. Doch obwohl in der deutschen Öffentlichkeit zumindest diese als Common Ground herrscht, kam man auch hierzulande zu keinem eindeutigen Ergebnis, ob Böhmermann das darf, ob Satire das darf, was Satire überhaupt darf – alles?

Beginnt man die Betrachtung der geteilten Meinungen bei dem schwächsten Glied des Falls, so entpuppt sich dieses schnell als Sujet des Gedichtes selbst – der türkische Präsident Erdogan. Und vielleicht all jene, die türkischer Abstammung sind, zusätzlich Homosexuelle, denn das Gedicht enthielt auch eine homophobe Beleidigung. Kurz und gut: Vor allem die, die sich persönlich davon angegriffen fühlen, könnten die Frage, ob Satire das darf, mit nein beantworten.

Und das ist vermutlich auch das Hauptproblem, beantwortet man die Frage, ob Satire im Allgemeinen alles darf, positiv. Denn verpflichtet man sich nicht damit dazu, sämtliche Satire zu akzeptieren? Ich persönlich finde die Schmähkritik Böhmermanns nicht sonderlich amüsant, allerdings auch nicht so dramatisch, als dass sie als „verboten“ klassifiziert werden müsse. Auch die meisten Beiträge von Satiresendungen wie der heute-Show oder extra3 halte ich für vollkommen in Ordnung – ich als Person oder meine politischen Überzeugungen werden dort allerdings auch selten angegriffen. Andere Beispiele wiederum verurteile auch ich als geschmacklos. Sich als Zeichen seines SUV-Stolzes abgeschnittene blonde Zopfimitate aus dem Kofferraum hängen zu lassen und das als satirischen Akt gegen die „Klimahysterie“ zu betiteln, beispielsweise. Viele rassistische, homophobe oder sexistische Witze ebenfalls.

An diesen Beispielen fällt auf: Was man selbst als Tabubruch bezeichnen würde, ist stark abhängig von der eigenen Betroffenheit und der politischen Ausrichtung, oder zumindest sehr stark davon eingefärbt. Um die Frage nach den Grenzen von Satire also politspektrumsübergreifend und unabhängig von persönlicher Betroffenheit beantworten zu können, taugt die Antwort „alles“ nicht (zumindest nicht, wenn man sich nicht in einer Diskussion darüber verlieren möchte, was Satire ist und was nicht).

Satire darf also nicht alles. Bleibt nur noch, zu definieren, was sie nicht darf. Beantwortung der Frage ex negativo: Satire darf alles, außer ein paar Einzelfällen – außer, sie überschreitet gewisse Common-Sense-Regeln.

Begründet wird die allgemeine Freiheit der Satire mit der Meinungs- und Pressefreiheit. Jeder Mensch hat das Recht darauf, zu äußern, was er denkt, darüber stimmen der Großteil der Weltbevölkerung und die Machthaber der demokratischen Staaten überein. Für Freiheiten gilt jedoch zumeist auch jener schöne Satz, der bereits im Kindergarten gelehrt wird: Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit eines anderen beginnt. Ich darf frei sein, so viel ich will, solange ich dabei nicht die Freiheit eines anderen einschränke.

Satire befindet sich also in einem Spannungsfeld, zwischen dem Schutz der Satire auf der einen Seite, legitimiert durch die Meinungsfreiheit, und dem Schutz der Persönlichkeit auf der anderen Seite. Auf der einen Seite steht die Möglichkeit, sich über eine Person lustig zu machen – auf der anderen Seite steht die Einschränkung, dass man sich nicht über eine Person lustig machen darf. Schwierig, sich in diesem Gegenfeld zurechtzufinden, solange nicht differenziert wird – beispielsweise zwischen öffentlichen und privaten Personen.

Man stelle sich Jan Böhmermann vor, wie er vor versammeltem Publikum anfängt, sich über seine Nachbarin lustig zu machen. Über ihren Namen, über ihre Intelligenz oder eben über die nicht-vorhandene, über ihren Körperumfang – all das würde im Resultat das Sujet, die arme Frau, vor allem bloßstellen und diese würde Böhmermann vermutlich verklagen.

Aber dieses Gedankenexperiment weist ein Problem auf. Man stelle sich Jan Böhmermann vor, wie er vor versammeltem Publikum anfängt, sich über seine Nachbarin lustig zu machen. Jan Böhmermann würde sich nicht über seine Nachbarin lustig machen. Sich über Privatpersonen zu mokieren, vollkommen unabhängig von deren Tätigkeit oder Amt, funktioniert nicht, zumindest nicht unter dem Begriff der „Satire“ – allein schon deshalb nicht, weil das Publikum sich dem bloßen Versuch querstellen und die bezweckte Reaktion, ein Lachen, verweigern würde. Wenn Böhmermann tatsächlich das Bedürfnis hat, sich über eine dicke, dumme Dame lustig zu machen, dann erfindet er eine dicke, dumme Dame, dann gibt er dem Stereotyp einen stereotypischen Namen, reißt einen Witz, das Publikum lacht. Und seine Nachbarin kann ihn nicht verklagen.

Der Witz über eine dicke, dumme Dame braucht keine Persönlichkeit, denn der Witz lebt allein von diesen Charakteristika. Ein Witz über den Verkehrsminister Andreas Scheuer jedoch braucht die Ikone Scheuers, um einen Inhalt zu haben. Prominente Personen, die im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, sind keine bloßen Privatpersonen mehr. Es kann ja sein, dass Böhmermann Scheuer auf persönlicher Ebene sogar ganz nett finden würde, würde er ihn kennen. Und trotzdem kann Böhmermann sich über Scheuer als politische Person lustig machen und sein Publikum so satirisch unterhalten, ohne dabei direkt den Schutz der verkehrsministrischen Persönlichkeit zu verletzen.

Prominente Personen scheinen also mit ihrer Prominent-Werdung eine Art Einverständnis gegeben zu haben: Über mich darf sich lustig gemacht werden, ich darf Gegenstand von Satire werden – denn der Schutz der Persönlichkeit betrifft nur mich als Privatperson, während ich als Person des öffentlichen Lebens unter dem Gebot der Meinungs- und Pressefreiheit stehe.

Problematisch wird diese These allerdings, fällt die Meinungs- und Pressefreiheit als Common Ground weg. Ohne Erdogan persönlich zu kennen, würde ich jetzt mal behaupten, dass sein und mein Verständnis von Meinungsfreiheit weit auseinanderliegen. Und Erdogan ist bei weitem nicht der einzige, der sich nicht auf freiheitlichem Parkett bewegt – international betrachtet fällt es schwer, einen Common Ground zu finden, den alle teilen. Ist das Ziegengedicht Satire – oder Präsidentenbeleidigung und somit Strafbestand? Ist die Karikatur eines Propheten noch Satire – oder doch Gotteslästerung und somit Grund für den Mord an den Karikaturisten?

Wenn sich also nicht mehr anhand der Meinungsfreiheit argumentieren lässt, was Satire darf und was nicht, wie soll dann argumentiert werden? Und vor allem, wer soll dann argumentieren, wer beurteilen, wer verurteilen? Der Karikaturist? Das Sujet der Satire? Oder das Publikum? Ist die Reaktion des Publikums auf die Satire vielleicht schon Urteil genug – wenn genug Lacher folgen, war die Satire in Ordnung? Womit wir allerdings wieder bei dem klassischen Fall wären: Neun von zehn Leuten finden Mobbing lustig.

Vielleicht brauchen wir auch einen Internationalen Gerichtshof für Satire. Ein Unterorgan des allgemeinen Internationalen Gerichtshofs, ähnlich dem UN-weiten Tribunal für Menschenrechtsverbrechen im Völkermord von Ruanda. Ein Internationaler Gerichtshof für Satire, in dem, nach welchen Prinzipien auch immer, Regeln für den Humor der Menschheit festgelegt werden.

Als Nebenwirkung wäre ein solches Gerichtsurteil allerdings vielleicht auch der neueste Satirepreis – herzlichen Glückwunsch, von ihrer Satire hat sich ein Mensch tatsächlich angegriffen gefühlt. Hiermit wurden Sie nominiert für den Internationalen Gerichtshof für Satire. Und spätestens, wenn aus den Vereinten Nationen dann die emotional Vereisten Nationen geworden sind, wird hoffentlich die Frage gestellt werden, was das denn für eine Gesellschaft ist, die ihre eigenen Witze juristisch kontrollieren muss…

Aber Satire definiert sich ja nicht ausschließlich über das behandelte Sujet. Vielmehr ist mit Satire ja das Stilmittel der Ironie verknüpft, ebenso wie die Methodik von Spott und Übertreibung – und wenn die Satire über ihre Methoden definiert ist, können dann nicht auch die Grenzen von Satire über die Methoden gesetzt werden?

Vielleicht sollte zukünftig einfach nur noch qualitative und stilvolle Satire erlaubt sein. Man muss sich das ja gar nicht wie die Sternebewertung eines Restaurants vorstellen, auch nicht wie eine Prüfung, die ein Koch ablegen muss, um Koch zu werden (Satiriker als Ausbildung oder gar Studium – man stelle sich das vor), sondern vielmehr als eine Art regelmäßige Hygieneprüfung in der Küche. Bei mangelnder Hygiene wird ein Restaurant geschlossen, unabhängig davon, ob es nun vegetarisches, veganes oder fleischhaltiges Essen serviert, denn relevant ist für die Zulassung als Restaurant nicht, was serviert wird, und auch nicht wem, sondern eine gewisse Grundqualität: Essen darf nicht auf Tellern serviert werden, die lediglich vom Hund sauber geleckt wurden.

Wieder werden also Regelwerke verfasst, wieder werden Prinzipien gesetzt, heraus kommt: „Mindesthaltbarkeitsdatum von Satire“. Und: „Wie oft darf ich den Trump-Witz servieren, bevor das Zensuramt bemerkt, wie ausgelutscht er ist?“.

Auch der Versuch, die Grenzen der Satire über ihre Methoden festzulegen, kann also als gescheitert vermerkt werden. Sujet und Methodik – es bleibt das Ziel, worüber sich die Satire definiert. Und tatsächlich, man mag es kaum glauben, scheint die Frage nach dem Ziel zunächst unser Problem der Geschmacklosigkeit bestimmter Satire ein Stück weit zu lösen, ebenso das Spannungsfeld des Schutzes von Satire und Personen: Ziel der Satire ist es nämlich eben nicht, lediglich Personen zu diffamieren. Auch wenn das vielleicht in der Umsetzung teilweise damit einhergeht, besteht darin nicht die Intention.

Die Ziele von Satire lassen sich viel mehr in die folgenden drei Punkte unterteilen:

Zum einen besteht der Sinn von Satire in der politischen Äußerung an sich, in einer Demokratie legitimiert durch das Recht auf freie Meinungsäußerung, das als solches direkt nicht einschränkbar ist.

Zweitens wird durch diese politische Äußerung automatisch zur politischen Meinungsbildung beigetragen, sei es in der Richtung, dass man die geäußerte Kritik teilt, sei es, dass man sie für unangebracht hält. Auch politische Meinungsbildung ist einer der Grundpfeiler einer Demokratie, die als Herrschaft des Volkes von der Miteinbeziehung des demos lebt und somit von politischer Partizipation.

Und drittens hat Satire, gerade durch diesen durch die Meinungsbildung hervorgerufenen Diskurs, eine Kontrollfunktion. Wenn Medien als die vierte Gewalt gelten, so könnte man Satire aus dieser Kategorie herausnehmen und als fünfte Gewalt bezeichnen, da sie in besonderem Maße die Bevölkerung miteinbezieht.

Zum Problem wird auch hier wieder eine Gesellschaft, die heilige Objekte und Personen besitzt, die dogmatisch von dieser Kontrolle ausgenommen sind: Eine Gesellschaft, in der das Volk nicht diese Rechte besitzt und auch nicht selbst regiert. Doch aus der Betrachtung der Ziele hat sich gezeigt, dass Satire dieser Gesellschaft per Definition nicht entspricht, sondern komplett konträr dazu steht. Satire lässt sich mit nicht-demokratischen Gesellschaften nicht oder nur schwer vereinbaren, denn in ihnen sind die drei genannten Ziele keine gewollten Ziele – Satire kann also nicht als politische Äußerung, Meinungsbildungsmaßnahme und Kontrollfunktion verstanden werden, sondern wird, ungeachtet des eigentlichen Ziels, mit in die Kategorie der Diffamierung geworfen, weil diese, wie bereits erwähnt, oft im Hintergrund mit der Satire einhergehend, als einzige Kategorie bleibt, in die die Satire nun noch eingeteilt werden kann.

In allen anderen Gesellschaften, also in den demokratischen Staaten, braucht es allerdings Satire, und vor allem auch den Diskurs, den Satire über sich selbst hervorruft. „Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechttrommel gegen alles, was stockt und träge ist.“, schrieb bereits Kurt Tucholsky und erkannte dabei die wichtige Funktion der Satire, eine Gesellschaft zu mobilisieren und voranzubringen. Dabei kontrolliert bei weitem nicht die Gesellschaft die Satire, sondern die Satire kontrolliert die Gesellschaft und versucht zu definieren, was Gesellschaft darf und was nicht. Satire selbst ist, per Definition, ein Graubereich, der von Grenzüberschreitungen lebt – Satire hat als Aufgabe, Grenzen der Gesellschaft zu überschreiten, mit diesen Grenzüberschreitungen zu schocken und diesen Schock über Lacher zu kompensieren.

Zu fragen, was Satire darf, ist also vergleichbar damit, zu fragen, ob ein Messer schneidet oder auch wie Kunst aussehen soll. Ein Messer schneidet, und es ist müßig, das zu debattieren. Erst über das Schneiden wird ein Messer zu einem Messer. Kunst sieht aus, ohne sich an Vorgaben darüber zu halten, wie Kunst aussehen darf – erst dadurch wird Kunst zu Kunst.

Zu fragen „Was darf Satire?“ ist also die falsche Frage – denn Satire darf nichts. Und tut es trotzdem.

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